Musikalisches Hoffnungssignal

Oratorium EINS zum ÖKT 2021 in Frankfurt
© Jörn von Lutzau
Alles auf Abstand - Probe und Aufnahme des Oratoriums "Eins" waren für alle Beteiligten eine große Herausforderung
Musikalisches Hoffnungssignal
Das Kirchentagsoratorium "Eins" wird als Filmproduktion online uraufgeführt
Geplant war es als Großereignis mit mehreren Tausend Sänger:innen und Musiker:innen im Frankfurter Eintracht-Stadion. Unter Corona-Bedingungen veränderte sich das Kirchentagsoratorium "Eins" wesentlich. Nun wird das Stück - eine Beschwörung christlicher Einheit - am 14. Mai als Filmproduktion beim Ökumenischen Kirchentag uraufgeführt.

Konzentration und Anspannung liegt in der Luft. Immer wieder, oft nach nur wenigen Takten, muss Dirigent Valentin Kunert abbrechen, weil die Klänge nicht zusammenstimmen. Musiker:innen der Neuen Philharmonie Frankfurt, eine fünfköpfige Band, Chorsänger:innen und Solist:innen sitzen und stehen in weiten Abständen – rund 50 Personen in einem Saal der Frankfurter Messe, der normalerweise mehreren hundert Menschen Platz böte. Hier treten die Vorbereitungen für das Oratorium "Eins" – ein Auftragswerk für den Dritten Ökumenischen Kirchentag Ende Mai – in die letzte und entscheidende Phase. Die Produktion unter Corona-Schutzauflagen ist eine Herausforderung für alle Beteiligten. "90 Minuten Musik in zwei Tagen proben und aufzeichnen – eigentlich ein Unding", sagt Jakob Haller, Kulturreferent des Kirchentags, und ist sich zugleich sicher: "Das wird ein Zeitzeugnis dieses Jahres."

Die Entwicklung des Kirchentages unter den durch die Corona-Pandemie bedingten Unabsehbarkeiten des letzten Jahres spiegelt sich in der Entstehung des Oratoriums "Eins" wider: Die Anfänge des Stückes gehen auf ein Treffen von Kirchenmusiker:innen im Herbst 2018 zurück, zu dem Landeskirchenmusikdirektorin Christa Kirschbaum (EKHN) und Diözesankirchenmusikdirektor Andreas Großmann (Bistum Limburg) eingeladen hatten. "Verschiedene musikalische Gestaltungsmöglichkeiten beim Kirchentag wurden diskutiert – etwa das Singen auf Schiffen oder Brücken", sagt der Theologe und Textdichter Eugen Eckert. Eckert, der auch Stadionpfarrer in Frankfurt ist, erinnert sich an einen Guiness-Rekordversuch im Jahr 2016 – damals kam in der Commerzbank-Arena das größte Orchester der Welt zusammen – und entwickelt die Idee kurzerhand weiter: "Wir bilden den größten ökumenischen Chor."

Der Frankfurter Stadionpfarrer Eugen Eckert ist einer der Textautoren des Oratoriums "Eins"

Daraus wächst die Vision eines musikalischen Großereignisses, stil- und genreübergreifend, mit szenischen und interaktiven Elementen. Ein 80-köpfiges professionelles Ensemble soll das Rückgrat der Aufführung bilden. Außerdem sind Erwachsenen-, Kinder- und Bläserchöre aus ganz Deutschland zur Teilnahme eingeladen, und auch das Publikum soll mit einstimmen. "Ein großes Oratorium zum Mitsingen und Mitspielen", sagt Eckert, in dem die ökumenische Vorstellung einer "Einheit in Vielfalt", einschließlich aller Hoffnungen rund um das gemeinsame Abendmahl, Platz findet und sinnfällig wird.

Dieses eingebettete Video wird von YouTube bereitgestellt.

Beim Abspielen wird eine Verbindung den Servern von YouTube hergestellt.

Dabei wird YouTube mitgeteilt, welche Seiten Sie besuchen. Wenn Sie in Ihrem YouTube-Account eingeloggt sind, kann YouTube Ihr Surfverhalten Ihnen persönlich zuordnen. Dies verhindern Sie, indem Sie sich vorher aus Ihrem YouTube-Account ausloggen.

Wird ein YouTube-Video gestartet, setzt der Anbieter Cookies ein, die Hinweise über das Nutzer:innenverhalten sammeln.

Weitere Informationen zum Datenschutz bei YouTube finden Sie in der Datenschutzerklärung des Anbieters unter: https://policies.google.com/privacy

Video abspielen

Mit dem Schreiben und Komponieren des Stückes wird ein ökumenisch besetztes Viererteam beauftragt. Für den Text ist neben Eckert, der außer zahlreichen bekannten Liedern schon mehr als ein Dutzend Oratorienlibretti verfasst hat, der Franziskanerpater Helmut Schlegel zuständig. Auch Schlegel hat rund 300 geistliche Lieder geschrieben, von denen mehrere im katholischen "Gotteslob" vertreten sind. Außerdem verfasste er das Oratorium "Laudato si", das 2016 im Limburger Dom mit der Musik von Peter Reulein erklang. Reulein, Organist und Chorleiter an der Frankfurter Liebfrauenkirche, zählt zu den profiliertesten katholischen Kirchenmusikern. Von evangelischer Seite komplettiert Bernhard Kießig, Kirchenmusiker in Frankfurt-Bockenheim und Popularmusik-Referent der EKHN, das Autorenteam. Die gemeinsame Arbeit an einem Werk ist komplex aber auch reizvoll und spiegelt wiederum die Kernbotschaft wider. "Wir gehen den Weg der Ökumene exemplarisch miteinander", sagt Reulein dazu.

"Musiker und Techniker sind froh, endlich mal wieder arbeiten zu können", sagt Jakob Haller, Kulturreferent des Kirchentags

Eine zentrale biblische Aussage fanden Eckert und Schlegel im vierten Kapitel des Epheserbriefes, in dem der Schreiber die Gemeinde auffordert, die "Einheit des Geistes" zu wahren und den "Frieden, der euch zusammenhält" beschwört. Im Anschluss sind die Kernstücke der Gemeinsamkeit auf die berühmte Formel gebracht: "Ein Gott – ein Glaube – eine Taufe".

Zwei Frauen und zwei Männer als Protagonisten

Ausgehend vom Konflikt zwischen Juden- und Heidenchristen in der Urgemeinde haben die Autoren ihre Geschichte entwickelt: Zwei Frauenfiguren übernehmen die Rolle der Erzählerinnen. Die Person der "Junia" ist im Römerbrief als "Stammverwandte" und "berühmt unter den Aposteln" benannt. "Sie ist eine Galionsfigur der feministischen Theologie", erläutert Eckert, der bereits vor elf Jahren ein Stück über "Junia" geschrieben hat. Im Oratorium "Eins" wird sie zur Protagonistin für die Rolle der Frau in der Kirche – ein Hauptthema der Ökumene, das durch die Aktivitäten von "Maria 2.0" neuerlich virulent geworden ist. Als modernes Pendant tritt "Julia" auf, eine Journalistin, die über Botschaft und Vision der Christen berichten soll und sich mit ihren kritischen Fragen auf Zeitreise begibt.

Männliche Hauptfiguren sind die Apostel Petrus und Paulus. Sie beziehen Position zu den Anfragen der Frauen und tragen den für die Kirchengeschichte so zentralen Gegensatz zwischen "Gesetz" und "Freiheit" aus. Die Dramatik, die sich daraus entwickelt, kulminiert in der Szene der Steinigung des Stephanus. Dem gegenüber stehe, so Eugen Eckert,  die Frage Martin Niemöllers: Was würde Jesus dazu sagen? "Wie lange können sich die Kirchen den Dissenz noch leisten?" Mit dem Appell "Lasst uns eins sein", Hoffnung und Ziel der Ökumene aus Sicht der Autoren, schließt das Oratorium.

Dirigent Valentin Kunert hat die musikalische Leitung der Produktion übernommen

Musikalisch bringen die beiden Komponisten klassische Idiome mit Elementen aus Jazz, Rock, Folklore und Klezmer zusammen. Vielfältige Übergänge und Mischungen machen das Zuhören reizvoll. Der Chor spielt eine zentrale Rolle. Stücke wie der Choral "Sonne der Gerechtigkeit" haben einen hohen Mitsingfaktor. Die sinfonische Orchestrierung klingt teilweise an Filmmusik an und gibt eine Ahnung davon, welche Wirkung das Stück im Stadion wohl gehabt hätte.

Das Stück war fertig und die Ensembles probten bereits, als das Corona-Virus Deutschland und die Welt bannte. Im Rahmen eines reduzierten Kirchentags-Programms sollte das Oratorium dann in der Frankfurter Festhalle aufgeführt werden. Doch im November wurden auch die Vorbereitungen dafür gestoppt. Der Aufführungsort wurde zum Impfzentrum, der Kirchentag unter dem Motto "digital und dezentral" weiter reduziert.

Ein Zeichen für die Kulturszene

Nahezu das gesamte Kulturprogramm fällt nun den Einschränkungen zum Opfer. Das Oratorium "Eins" soll als Beitrag und nach dem Willen der einladenden Kirchen – Bistum Limburg und EKHN – aber zum Klingen kommen. "Wir wollten auf keinen Fall resignieren", betont Eckert. "Wir versuchen, die Spielräume zu nutzen, die noch bleiben." Die gewohnten Arbeitsabläufe funktionierten nicht mehr, ergänzt Komponist Reulein. Man habe sich auf neue Herausforderungen eingelassen. "Ziel ist, ein Ergebnis zu produzieren, mit dem alle zufrieden sein können."

So wird nun also eine gekürzte Version als Film produziert und am 14. Mai, dem Kirchentagsfreitag, online gezeigt. Musiziert wird in reduzierter Chor- und Orchesterbesetzung mit weiten Abständen. Rund 30 Minuten Musik fallen dem Rotstift zum Opfer – "ein schmerzhafter Vorgang", wie Eckert bekennt. Hinzu kommen Einblendungen auf einer Videowall – eine Choreografie der Co-Op Dance Company sowie Einspielungen von 100 Kirchenmusiker:innen der Region, der Frankfurter Domsingschule, der Frankfurter Bläserschule und weiteren Bläsergruppen.

Für die Gesamtregie zeichnet Uwe Hausy, Referent für Spiel und Theater im Zentrum Verkündigung der EKHN, verantwortlich. "Wir geben der Musik Bilder mit", sagt er. "Etwas, das sich anzuschauen und anzuhören lohnt." Außerdem sende die Oratorienproduktion auch ein Signal in die von der Pandemie dramatisch beeinträchtigte Kulturszene, sagt Kulturreferent Haller. "Musiker und Techniker sind froh, endlich mal wieder arbeiten zu dürfen."

Die digitale Uraufführung des Oratoriums "Eins" erfolgt am Freitag, 14. Mai 2021, um 20 Uhr auf oekt.de.