Überschüssige Impfdosen - viele Berufsgruppen wollen zum Zug kommen

Schneller geimpft werden die Sozialarbeiterinnen nicht.
©epd-bild/Thomas Rohnke
Oft wissen Sozialarbeiter nicht, wie die Coronasituation in den Familien ist, die sie besuchen. Ein unbefangener Besuch, wie 2017 von den Sozialarbeitern und Flüchtlingsbetreuern Nadim (M.) und Tahrir (li.) Ghanayemi in der Flüchtlingsunterkunft der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Frankfurt ist erst nach einer Corona Impfung so wieder vorstellbar.
Überschüssige Impfdosen - viele Berufsgruppen wollen zum Zug kommen
Die neue Impfstrategie der Bundesregierung ermöglicht, dass Kita-Personal und Grundschullehrer bevorzugt geimpft werden. Das weckt Begehrlichkeiten vieler anderer Berufsgruppen, etwa der Jugendhilfe, auch der Diakonie. Unterdessen gerät die Priorisierung ins Wanken.

Pädagogische Fachkräfte der ambulanten Jugendhilfe suchen Kinder, Jugendliche und Familien direkt zu Hause auf - in Zeiten der Corona-Pandemie ein heikles Unterfangen. "Oft wissen die Kolleginnen nicht, was sie hinter der Wohnungstür erwartet. Es kam schon vor, dass sie erst während des Besuchs erfuhren, dass Familienmitglieder an Covid erkrankt waren", berichtet Karin Raudszus, Leiterin des Ambulanten Erzieherischen Dienstes (AED) der Rummelsberger Diakonie in Nürnberg. Doch schneller geimpft werden die Sozialarbeiterinnen nicht - noch nicht.

"Ich wünsche mir, dass sich die Mitarbeitenden aus der Kinder- und Jugendhilfe gemeinsam mit Erziehern und Lehrern impfen lassen können", sagt Raudszus Kollege Werner Pfingstgraef, Dienststellenleiter der Rummelsberger Diakonie: "Unsere Betreuungsarbeit findet zu weit über 80 Prozent 'face to face' statt". Es gebe also regelmäßige Kontakte zu weit über 600 Menschen.

"Es ist für die Kinder- und Jugendhilfe eine herbe Enttäuschung, dass sie hier nicht mitgedacht wird", bedauert Susanna Karawanskij, Präsidentin der ostdeutschen Volkssolidarität. Das gelte besonders für stationäre Einrichtungen: "Die Gefahr einer Infektion ist hier präsent, auch durch den regelmäßigen Kontakt zu Familien und Freunden der jungen Schutzbefohlenen."

Verweise auf erhöhtes Infektionsrisiko

Der Deutsche Kinderschutzbund hat für diese Forderungen Verständnis, äußert sich in Sachen Priorisierung aber diplomatisch. "Es gibt auch in der Jugendhilfe einen hohen Bedarf an Impfschutz, der Hinweis darauf ist richtig. Aber man muss genau abwägen, wer zuerst geimpft wird, weil das erst nach und nach geht", sagte die stellvertretende Geschäftsführerin Martina Huxoll-von Ahn dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zumal in einigen Bundesländern die schnellere Immunisierung etwa der Sozialarbeiter zumindest angedacht sei.

Weil Millionen Dosen des Vakzins von Astra-Zeneca keine Abnehmer finden, wird die Liste derer, die schneller ihre Spitzen bekommen wollen, immer länger. Lehrende in Pflegeschulen, Personal in Hospizdiensten und Werkstätten für behinderte Menschen, Obdachlose, Asylbewerber und die Hausärzte verweisen auf ein erhöhtes Infektionsrisiko.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) lobt den Ansatz des Berliner Senats, überzählige Vakzine an obdachlose Menschen zu verimpfen. Das sei "vernünftig und richtig", sagte Geschäftsführerin Verena Rosenke, dem epd. Man habe immer deutlich gemacht, dass es unter wohnungslosen Menschen viele mit Vorerkrankungen und aufgrund der prekären Lebensverhältnisse stark geschwächte Personen gibt, die so früh wie möglich geimpft werden sollten. Das Berliner Beispiel sollte Nachahmer finden.

Impfpriorisierung wackelt

"Auch für die Mitarbeitenden der Wohnungslosenhilfe sollte diese Möglichkeit gelten. Hilfesuchende und Mitarbeitende müssten aber nicht in der Priorisierung nach vorne rücken, betont Rosenke: "Sie sind ja bereits in Gruppe 2, in die nun auch Lehrer und Kita-Personal aufgenommen worden sind."

Um diese gefährdeten Berufsgruppen schneller impfen zu können, müsste sich die Regierung über die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko) und des Ethikrates hinwegsetzen, die weiter an der bevorzugten Impfung der über 80-jährigen Senior:innen festhalten. Doch diese Richtlinien entstanden, als noch nicht klar war, dass Millionen Impfdosen der Firma Astra-Zeneca nicht an über 65-Jährige verimpft werden können.

Unterdessen beginnt die Impfpriorisierung zu wackeln. Mit Blick auf überschüssigen Impfstoff von Astra-Zeneca schlugen Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und sein baden-württembergischer Kollege Winfried Kretschmann (Grüne) am Wochenende vor, diesen Impfstoff für alle Bürger freizugeben. Bevor er liegenbleibe, weil Teile der Bevölkerung ihn ablehnten, müsse die Priorisierung aufgegeben werden.

Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums lehnte dagegen Änderungen bei der Impfreihenfolge ab. Er sagte am Montag in Berlin, die Priorisierung müsse "nachvollziehbar" sein. Der Impfstoff werde je nach Bevölkerungszahl an die Bundesländer verteilt. "Bei diesem Verteilmechanismus bleibt es."