TV-Tipp: "Tatort: Schoggiläbe"

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TV-Tipp: "Tatort: Schoggiläbe"
28. Februar, ARD, 20.15 Uhr
Bei seinem zweiten Einsatz ermittelt das neue Schweizer "Tatort"-Team im Mord an einem Schokoladenfabrikanten.

Was war das für ein Auftakt im letzten Jahr! „Züri brännt“, der erste Fall für das neue Schweizer „Tatort“-Duo, erzählte eine reizvoll verschachtelte Geschichte, in der die Kommissarinnen Tessa Ott (Carol Schuler) und Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) tief in die Zürcher Vergangenheit eintauchten mussten, um einen aktuellen Mordfall zu lösen. Der Film machte Lust auf mehr, setzte aber gerade nach den oft nur mittelmäßigen Krimis aus Luzern auch hohe Maßstäbe; und an denen scheitert „Schoggiläbe“. Dabei sind die kreativen Köpfe die gleichen: Das Drehbuch stammt von Lorenz Langenegger und Stefan Brunner, Regie führte Viviane Andereggen. Auf dem Niveau des Auftakts bewegen sich allein die Arbeit von Kameramann Martin Langer, dessen Bildgestaltung den Film erneut sehr hochwertig wirken lässt, sowie die hörenswerte elektronische Musik von Fabian Römer.

Aus unerfindlichen Gründen hielt es außerdem irgendjemand für eine originelle Idee, den Handlungsfluss mehrfach zu brechen: Plötzlich halten die Kommissarinnen und die Staatsanwältin (Rachel Braunschweig) inne und sprechen in die Kamera. Ihre Aussagen sind jedoch völlig aus dem Zusammenhang gerissen und haben nichts mit der Handlung zu tun. Grandjean zum Beispiel erzählt von einem Obdachlosen, den sie am Morgen auf dem Weg zur Arbeit in ihrem Hauseingang gefunden habe. Weil sie sich nicht entscheiden konnte, ob sie ihm einen Kaffee bringen oder Geld für ein Frühstück geben sollte, sei sie schließlich weitergegangen – „Was hätten Sie getan?“ Die Wirkung dieser Einschübe ist vergleichbar mit einem Kinobesuch, bei dem mitten im Film plötzlich das Licht angeht.

Die Geschichte ist dagegen weit weniger originell und zudem längst nicht so fesselnd wie bei der Premiere des Duos, das sich auch beim zweiten Fall immer noch anzickt. Zumindest das lässt sich rechtfertigen: Grandjean ist vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag nach Zürich gewechselt. Als sie wider Erwarten nicht die Führungsposition bekommt, mit der sie fest gerechnet hat, hält sie nichts mehr in der Stadt, mit der sie ohnehin nicht klarkommt; von den Vorbehalten gegen ihre Kollegin, die gänzlich andere soziale Wurzeln und ihren Job vermutlich allein ihrer Herkunft zu verdanken hat, ganz zu schweigen. Auch diesmal ist Ott persönlich in den Fall involviert: Die Familie Chevalier wohnt in der Nachbarschaft ihres Elternhauses auf dem Züriberg, dessen Bewohner auf der Sonnenseite leben; daher der Titel („Schokoladenleben“). Einer allerdings nicht mehr: Der Besitzer der traditionsreichen Schokoladenfabrik Chevalier ist ermordet worden, und das ziemlich blutig; der Mörder hat ihm erst in den Hals geschossen und ihn dann erschlagen. Krimifans wissen: Ein „Overkill“ deutet immer auf eine Beziehungstat hin. Verdächtige gibt es zuhauf, denn die Familie ist offenkundig zerrüttet. Matriarchin Mathilde, deren Verkörperung durch Sibylle Brunner an die künstlerisch allenfalls halbseidenen Edgar-Wallace-Filme aus den Sechzigerjahren erinnert, konnte mit ihrem unter Depressionen leidenden Sohn nie viel anfangen, weshalb sie seine Tochter Claire (Elisa Plüss) zur Nachfolgerin aufbauen will. Erst soll die junge Frau jedoch „erwachsen“ werden, sprich: die „Fair Trade“-Flausen aus ihrem Kopf vertreiben; bis dahin will die betagte Mathilde das Unternehmen höchstpersönlich aus den roten Zahlen holen.

Immerhin sorgt das Drehbuch für einen höchst verblüffenden kleinen Effekt, der an den Polanski-Klassiker „Chinatown“ (1974) erinnert, als sich Claires wahre Herkunft herausstellt. Auch optisch gibt es besondere Momente: In einer Szene steht Claire im Garten und schaut einem Mann zu, der den Tatort reinigt; in diesem Augenblick wirkt sie wie eine Statue. Ähnlich ungerührt verfolgt sie später den Tod der Matriarchin; zwei sehr intensive Szenen in einem ansonsten allenfalls durchschnittlich spannenden Krimi. Die Geschichte bedient sich ohnehin diverser bekannter Versatzstücke: ein verschwundenes Testament, ein habgieriger zukünftiger Schwiegersohn, eine kaschierte sexuelle Orientierung. Immerhin ist die kriminaltechnische Ebene interessant: Der Tathergang wird mit Hilfe virtueller 3D-Bilder rekonstruiert. Auf diese Weise erfahren die Kommissarinnen, dass nach der Tat neben dem Mörder noch zwei weitere Personen am Tatort waren.

Vor seinem Tod hatte Chevalier eine Geldtasche im Tresor eines Hotelzimmers deponiert. Dank der in Zürich zahlreich vorhandenen Überwachungskameras führt die Fahnung nach dem Mann, der die Tasche abgeholt hat, zu einer packend inszenierten Konfrontation, die Grandjean endgültig an Otts Tauglichkeit für den Polizeidienst zweifeln lässt: Die Kollegin leidet unter Schießhemmung; Grandjean überlebt nur, weil das Magazin des mutmaßlichen Mörders leer ist. Warum die Kommissarin nicht schießen kann, bleibt ebenso offen wie die Hintergründe von Grandjeans Beziehung zu einem Lokalbesitzer mit anscheinend schillernder Vergangenheit, der sie am Ende zum Bleiben überredet. Anders als in „Züri brännt“ ist auch die Besetzung der Episodenrollen nicht weiter bemerkenswert. Und dann gibt es noch eine Irritation, die sich auch in anderen Krimis beobachten lässt: Obwohl öffentlich nach ihm gefahndet wird, verändert der Unbekannte aus dem Hotel sein Äußeres nicht. Er trennt sich weder von seinem Bart noch von der Schiebermütze, die auch auf dem Foto zu sehen ist. Aus Sicht des Films ist das zwar die Voraussetzung dafür, dass er den Behörden ins Netz geht, aber unlogisch ist es trotzdem.