TV-Tipp: "Martha & Tommy"

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TV-Tipp: "Martha & Tommy"
24. Februar, ARD, 20.15 Uhr
Der schlichte Titel "Martha & Tommy" ist im Grunde zu bescheiden für dieses berührende und vorzüglich gespielte Drama. Der mehrfache Grimme-Preisträger Autor Holger Karsten Schmidt ("Mörder auf Amrum") steht eigentlich für sehenswerte Thriller und Krimis - etwa als Schöpfer der ARD-Reihen "Harter Brocken" und "Nord bei Nordwest". Mit „Martha & Tommy“ erzählt er eine gänzlich andere Geschichte.

In "Martha & Tommy" widemt die Hamburger Ärztin Martha (Senta Berger), einst für Hilfsorganisationen in der ganzen Welt unterwegs, ihr Leben nach der Pensionierung und dem Unfalltod ihrer Tochter den Kindern aus der Umgebung, für die sie stets ein offenes Herz hat; und eine offene Tür sowieso. Eines Tages bekommt sie neue Nachbarn: Tommy Skagen (Jonathan Berlin) zieht mit seinem kleinen Bruder Winnie (Emile Chérif) ein. Er studiert Jura und arbeitet nebenher als Dockarbeiter; sagt er. In Wirklichkeit verbringt er die Abende mit illegalen "Mixed Martial Arts"-Kämpfen. Hinter dem klingenden Namen verbirgt sich eine brutale Prügelei, bei der außer Tiefschlägen alles erlaubt ist.

Eine kurze Internetrecherche genügt Martha, um rauszufinden, was mit den Eltern der Jungs passiert ist: Vater Viktor (Peter Lohmeyer), ein bekannter Pianist, ist wegen Totschlags an seiner Frau verurteilt worden. Nach verbüßter Haftstrafe will er nun das Sorgerecht für Winnie zurück; und weil sein Anwalt weiß, wie Tommy seinen Lebensunterhalt verdient, stehen die Chancen dafür nicht schlecht.

Auch für Petra K. Wagner ist "Martha & Tommy" (NDR) ein eher ungewöhnlicher Stoff. Die Regisseurin hat die meisten ihrer Filme für den Hessischen Rundfunk gemacht. Die Qualität dieser Zusammenarbeit war allerdings wechselhaft. Zuletzt hat sie einen "Tatort" aus Frankfurt gedreht ("Die Guten und die Bösen", 2020); Peter Lohmeyer spielte darin einen Polizistin, der das Gesetz in die eigene Hand nimmt. "Frankfurt, Dezember ’17" (2018) war ein im Ansatz interessantes, in der Umsetzung aber verunglücktes Drama über ein Ereignis, das das Leben von drei Frauen verändert.

Eher enttäuschend war auch das übersinnliche Drama "Lisas Fluch" (2011). Andere Arbeiten wie der rätselhafte romantische Thriller "Sprinter" (2012), das Ehedrama "Nie mehr wie immer" (2014) oder die Mutter-Blues-Geschichte "Viel zu nah" (2017) waren dagegen ausgesprochen sehenswert. Ihr "Tatort"-Debüt zeichnete sich zudem nicht zuletzt durch die Bildgestaltung aus. Das gilt auch für "Martha & Tommy" (Kamera: Peter Polsak).

Sehenswert ist der Film aber vor allem wegen der Schauspieler. Senta Berger allein wäre schon ein Grund, das Drama zu empfehlen. Nicht minder bemerkenswert ist die Leistung von Jonathan Berlin, der seit seiner ersten großen Rolle in Friedemann Fromms Nachkriegsdrama "Die Freibadclique" (2018) lauter herausragende Leistungen abgeliefert hat, allen voran als Erzähler in "Preis der Freiheit" (2019), einem ZDF-Dreiteiler über den Untergang der DDR, sowie zuvor in "Kruso" (2018), der ARD-Verfilmung des gleichnamigen Romans von Lutz Seiler über den Sommer 1989 auf Hiddensee.

In Wagners Film macht der gebürtige Schwabe auch im Ring eine perfekte Figur; die Kämpfe sind ohnehin ausgezeichnet choreografiert, was sie für empfindsame Gemüter allerdings unangenehm echt wirken lässt. Gerade darin liegt ein Reiz des Films: Tommy ist ein begnadeter Pianist, sein Vater hat ihn stets gedrängt, Musik zu studieren. Wenn der Sohn diese Hände, die einem Klavier so zauberhafte Töne entlocken können, lieber als Waffe einsetzt, ist das natürlich auch eine Form des Protests. Berlin hat sowohl das Kickboxen wie auch das Musizieren monatelang trainiert, aber seine Leistung ist nicht nur deshalb preiswürdig.

Den zehnjährigen Emile Chérif, Sohn von Schauspieler Karim Chérif (Partner von Lina Wendel in der ARD-Reihe „Die Füchsin“), hat Wagner gleichfalls sehr gut geführt; die Szenen der beiden Brüder sind von inniger Glaubwürdigkeit.

Über Senta Berger sind dagegen längst alle Würdigungen geschrieben. Wie sie die Fragilität hinter Marthas selbstbewusster Fassade andeutet, ist große Schauspielkunst. Dass die Ärztin und der Kickboxer in ihrer jeweiligen Verletztheit verwandte Seelen sind, liegt an den Verlusten, die sie beide erlitten haben, zumal Martha über den Tod ihrer Tochter, auch sie eine begabte Pianistin, nicht die ganze Wahrheit sagt; Helmut Zerletts zärtliche Musik sorgt dafür, dass einem nicht nur die Kampfszenen an die Nieren gehen. "Wie lebt man mit den Toten?", fragt Martha in einem Brief; das Drama erzählt auch eine Geschichte des Loslassens. Diese Ebene bricht in einer Szene durch, die es an Intensität durchaus mit den Kämpfen aufnehmen kann, als Martha dem jungen Nachbarn das Klavier ihrer Tochter überlässt und er mit dem Instrument auch ihre Freundschaft zertrümmert.

Bleibt noch Max. Dank Uwe Kockisch wird diese Rolle, die stark an Clint Eastwoods Boxtrainer in "Million Dollar Baby" (2004) erinnert, neben dem Titelduo zu einer entscheidenden Figur. Ex-Boxer Max würde gern den Lebensabend mit Martha verbringen, aber die ziert sich noch. Nach seiner Profikarriere hat er einen Boxstall eröffnet, was zu einer der wenigen witzigen Szenen des Films führt: Er engagiert Tommy als Sparringspartner für ein großmäuliges Nachwuchstalent. Der junge Mann nennt sich "Cobra" und labert Tommy solange voll, bis der ihn einfach umhaut.

Eine Begegnung Tommys mit einem von Martha empfohlenen Anwalt ist zwar für die Handlung nicht weiter wichtig, aber trotzdem eine Erwähnung wert: Der Mann wird ganz selbstverständlich von einem dunkelhäutigen Darsteller verkörpert; allein die Tatsache, wie sehr das in Auge fällt, verdeutlicht, wie viel in dieser Hinsicht noch zu tun ist.