TV-Tipp: "Bhagwan - Die Deutschen und der Guru"

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TV-Tipp: "Bhagwan - Die Deutschen und der Guru"
15. Februar 2021, ARD, 23.30 Uhr
Ende der 70er Jahre machten sich viele Deutsche auf den Weg ins indische Poona, um dort in einem sogenannten Ashram zu leben. Gut 40 Jahre später versucht Jobst Knigge in seinem Film "Bhagwan - Die Deutschen und der Guru" zu ergründen, was diese Menschen damals bewogen hat, alle Brücken hinter sich abzubrechen.

Die Kommune war 1970 von Chandra Mohan Jain gegründet worden war, einem Philosophen, der sich als spiritueller Lehrer den Namen Bhagwan Shree Rajneesh gegeben hatte; für die meisten war er schlicht "der Bhagwan". Alsbald kursierten abenteuerliche Gerüchte über die Vorgänge innerhalb der meist als Sekte bezeichneten Kommune. Der Dokumentarfilm "Ashram in Poona" (1980) gab ihnen zusätzliche Nahrung: Junge Leute, überwiegend nackt, taten seltsame Dinge, die ein konservatives Publikum schockieren mussten.

"Bhagwan - Die Deutschen und der Guru" ist durchaus faszinierend, wenn auch nicht in filmischer Hinsicht, denn die Anmutung ist eher schlicht: Knigge lässt seine Protagonisten erzählen und illustriert ihre Berichte mit dokumentarischen Aufnahmen, die er mit einer interessanten zeitgenössisch klingenden Musik (Hush Hush) unterlegt hat. Die Spannung resultiert aus der Dramaturgie. Weil Knigge auf einen Kommentar verzichtet hat, müssen die Hintergrundinformationen durch die Aussagen vermittelt werden. Deshalb schildern die Männer und Frauen, alle mindestens 60 plus, zunächst die Rahmenbedingungen.

Deutschland in den späten 70ern war ein Land in Aufbruchstimmung, zumindest unter akademischen Jugendlichen, die oft eine radikal linke und entsprechend ignorante Haltung vertraten: Wer nicht für sie war, war gegen sie und wurde ausgeschlossen. Deshalb wählten die späteren Sanyasins eine andere Form der Revolution und gingen nach Indien. Dort hatten viele bei der Begegnung mit Rajneesh eine Art Erweckungserlebnis. Es war, heißt es im Film, "als ob einer die Wolken weggepustet hätte. Übrig blieben Glückseligkeit und Liebe". Eine Frau versichert, sie halte nichts von Personenkult und sei auch keine Esoterikerin, aber den Bhagwan habe sie wie eine "Lichtgestalt" empfunden; ein Effekt, den die Bilder jedoch nicht einfangen.

Damit wäre die Sache aus hiesiger Sicht womöglich erledigt gewesen, doch dann kehrten die Anhänger zurück, und plötzlich war das Belgische Viertel in Köln bevölkert von Menschen in roter oder orangefarbener Kleidung. Sie trugen eine Kette aus Holzperlen mit dem Bild ihres Gurus und wurden von Außenstehenden schlicht "die Bhaggies" genannt. Natürlich gab es anfangs Irritationen, aber die jungen Leute waren ruhig und friedlich, wenn sie nicht gerade ihrer lautstarken "dynamischen Meditation" nachgingen. Weil der Lärm, den sie dabei trampelnd und schreiend verursachten, die Nachbarn störte, suchten sie eine Räumlichkeit, in der sie Krach machen konnten.

Gefunden wurde eine pleitegegangene Diskothek, und weil die Kommune außerdem Geld brauchte, wurde der Raum auch als Disko genutzt, die alsbald überlaufen war, sodass ein Umzug nötig wurde. Das neue Domizil erwies sich als Goldgrube, da es im Unterschied zu anderen Einrichtungen dieser Art hell und freundlich war; vor allem junge Frauen kamen gern her, weil sie hier nicht dauernd blöd angemacht wurden.

All’ das ergibt sich nach und nach aus den Schilderungen der gut ausgewählten Zeitzeugen, die natürlich auch viele biografische Details einfließen lassen. Eine Frau erzählt, dass sie von ihrer Familie enterbt worden ist, damit das Geld nicht beim Guru landet, was in der Tat gut möglich gewesen wäre; Startkapital der Kölner Kommune waren 20.000 Mark, die ein Sanyassin geerbt hatte.

Das klingt alles sehr harmonisch und nach heiler Welt, aber die meisten Menschen werden ganz andere Bilder und Schlagzeilen in Erinnerung haben: Als der Ashram in Poona irgendwann aus allen Nähten platzte, ist Bhagwan mit Anhängern aus aller Welt in den amerikanischen Bundesstaat Oregon umgezogen. Dort wurde ein riesiges Gelände erworben, was prompt zu Spannungen mit Einwohnern und Behörden führte. Fortan prägten Aufnahmen des vermeintlichen Sektenführers in diversen Rolls-Royce-Modellen und von Leibwächtern mit Maschinenpistolen die Berichterstattung. Eine Mitarbeiterin hatte die Führung an sich gerissen.

In diesem Teil des Films rächt sich der Verzicht auf einen Kommentar jedoch; Stichwörter wie vergiftetes Wasser, ein Mordanschlag und eine Verhaftung im Schwarzwald sind bloß Bruchstücke. Andererseits ist es fesselnd, die Veränderungen aus der Binnenperspektive mitzuerleben, zumal lange Zeit offen bleibt, wie die Zeitzeugen heute über diese Jahre denken. Manche sind zu Renegaten geworden, die die Bewegung zum Teil sogar regelrecht bekämpft haben, andere wie etwa Ramateertha Doetsch, der Gründer der Kölner Kommune, gehören ihr immer noch an.

Der besondere Reiz des Films liegt nicht zuletzt im Zusammenspiel von Gegenwart und Vergangenheit, weil einige von Knigges Protagonisten schon vor 40 Jahren interviewt worden sind, darunter ein heutiger Steuerberater, der Mitglied des bereits Mitte der 70er gegründeten ersten deutschen Ashrams im niederbayerischen Margarethenried war. Der abtrünnige Eckart Flöther hat seine Erfahrungen 1985 in dem Buch "Der Todeskuss. Wahn und Wirklichkeit der Bhagwan-Bewegung" verarbeitet, diente damals als Kronzeuge und war entsprechend oft in den Medien präsent. Auf diese Weise kann Knigge die verschiedenen Zeitebenen zu einer Collage verdichten, die zum Teil derart clever geschnitten ist, dass sich die Aussagen der verschiedenen Protagonisten mitten im Satz ergänzen.