TV-Tipp: "Der Zürich-Krimi: Borchert und der eisige Tod"

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TV-Tipp: "Der Zürich-Krimi: Borchert und der eisige Tod"
4. Februar, ARD, 20.15 Uhr
Wenn’s den Städter aufs Land verschlägt, hat das meist unangenehme Folgen. Deshalb liegt der besondere Reiz des zehnten Krimis mit Christian Kohlund als Zürcher Anwalt Thomas Borchert in der Konfrontation des weltgewandten Juristen mit einer fast archaisch anmutenden Welt, die nach völlig anderen Regeln funktioniert.

In den Dörfern oberhalb des Alpentals Prättigau scheint die Zeit schon seit geraumer Zeit stillzustehen. Die widrigen Witterungsbedingungen tun ein Übriges. Es ist tiefer Winter, ein Lawinenabgang macht die Rückkehr aus dem Bergdorf Vent unmöglich, und die Einheimischen reagieren unverhohlen feindselig auf den Städter, der seine Nase in Angelegenheiten steckt, die ihn nichts angehen: Vor elf Jahren ist Franz Brosi (Siemen Rühaak) aus Vent wegen eines heimtückischen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Pflichtverteidigerin war damals Borcherts Kanzleipartnerin Dominique Kuster (Ina Paule Klink), auf deren Hilfe der geständige Angeklagte jedoch keinerlei Wert legte.

Der Fall schien in der Tat klar: Ein junger Banker hatte den Schreiner aufgefordert, umgehend seinen Kredit zurückzuzahlen, andernfalls werde sein Haus zwangsversteigert; daraufhin hat ihn der Mann erschossen. Ein Brief mit dem einfachen Satz "Franz Brosi ist unschuldig" sorgt dafür, dass das Anwaltsduo den Fall gegen den Willen des Häftlings wieder aufrollt. Während Dominique die Ermittlungsakten besorgt, reist Borchert in die Vergangenheit. Er braucht nicht lange, um zu ahnen, dass sich die Ereignisse damals vermutlich ganz anders abgespielt haben.

Das Drehbuch zu "Borchert und der eisige Tod" stammt wieder von Wolf Jacoby, der die Reihe nach dem eher enttäuschenden Auftakt ("Borcherts Fall", 2016) übernommen und gemeinsam mit Roland Suso Richter auf ein stellenweise herausragendes Niveau gehoben hat. Die beiden waren gemeinsam für "Borchert und die tödliche Falle" verantwortlich; der Hochspannungs-Thriller war einer der packendsten Krimis des Jahres 2020. Richter hat auch die aktuelle Trilogie inszeniert. Gerade der Auftakt ist handwerklich erneut herausragend.

Für die Bildgestaltung war diesmal Andrés Marder zuständig, der Richters bisherigen Kameramann bei den "Zürich-Krimis", Max Knauer, kongenial vertritt. Die Schneeaufnahmen bilden einen reizvollen Kontrast zu den blauschwarz geprägten Stadtszenen. Obwohl die Begegnungen Borcherts mit den Menschen aus Vent auch im übertragenen Sinn frostig sind, sorgen Lichtinseln für eine gewisse Behaglichkeit; die Außenaufnahmen verbreiten  mitunter die Stimmung von Weihnachtspostkarten. Auch die Drohnenaufnahmen erfüllen ihren Zweck, weil sie verdeutlichen, wie deplatziert sich der Städter fühlt, wenn er einsam durch den Schnee stapft (die Alpenszenen sind in Scuol, dem früheren Schuls, in Graubünden entstanden). Bei aller Bewunderung vor der Umsetzung steht jedoch über allem die Geschichte, denn je tiefer Borchert in der Vergangenheit gräbt, desto rätselhafter wird die Angelegenheit. Eine Investorengruppe wollte damals die Gegend rund um Vent touristisch erschließen. Das wird den fremdenfeindlichen Einheimischen nicht gefallen haben; aber das ist nicht mal die Hälfte der finsteren Wahrheit.

Großen Anteil an der Qualität des Films hat wie gewohnt Richters Arbeit mit dem Ensemble, und es ist natürlich kein Zufall, dass er selbst kleine Rollen namhaft besetzt hat (allerdings größtenteils mit deutschen Schauspielern, weshalb kaum jemand Schwyzerdütsch spricht), zumal er auf diese Weise geschickt die Neugier schürt. Max von Pufendorf zum Beispiel tritt unmittelbar nach Borcherts Ankunft in den Bergen als Hotelbesitzer auf, aber selbstredend hat Richter ihn nicht nur für diese kurze Szene engagiert. Auch die weiteren Nebenfiguren sind sehr prägnant besetzt, etwa mit Wolf-Dietrich Sprenger als Förster, der damals die Leiche gefunden hat, oder Kyra Kahre als Tochter der Brosis. Johanna ist angeblich nach Kanada ausgewandert, lebt in Wirklichkeit aber in einem gemischten Kloster in der Nähe. Hier findet Borchert Asyl, als ihm der mürrische Gasthofbesitzer (Andreas Hoppe) nach der Lawine ein Obdach verweigert. Richter inszeniert den Schauplatz als Mischung aus Zuflucht und Bedrohung: Als Borchert entdeckt, dass ein unterirdischer Geheimgang die beiden Klosterhälften verbindet, will er mit Johanna sprechen, wird im Tunnel jedoch beinahe Opfer eines Mordversuchs. Jetzt verbeißt er sich erst recht in den Fall; mit seinem Hut wirkt er wie ein verwitterter Rächer aus einem Winter-Western.