TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Der Verurteilte"

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TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Der Verurteilte"
27. Dezember, ARD, 20.15 Uhr
Auf den ersten Blick wirkt der "Polizeiruf" aus Magdeburg wie ein ganz normaler Krimi: Eine junge Frau vermisst ihre beste Freundin; Valerie ist von einem Blind Date nicht zurückgekehrt. Für die Polizei kein Grund zur Aufregung, obwohl die Krankenpflegerin ihr kleines Kind alleingelassen hat. Die Sache kommt erst ins Rollen, als sich Valeries Vater hilfesuchend an einen früheren Mitschüler seiner Tochter wendet.

Günther Marquez (Pablo Grant) war einst in Valerie verliebt und bittet seine Chefin Doreen Brasch (Claudia Michelsen), sich des Falls anzunehmen. In Valeries Auto wird Blut gefunden, sie selbst bleibt verschwunden. Schließlich führt eine Spur zum Gärtner einer kürzlich verstorbenen Patientin der Krankenpflegerin, und jetzt wird aus dem Film, der bis dahin eher ereignislos war, ein zunehmend intensiver Krimi, dessen innere Spannung vor allem aus den vorzüglichen Leistungen der Hauptdarsteller resultiert.

Schon die erste Begegnung der Polizistin mit dem Gärtner und seiner Frau ist irritierend: Markus und Annegret Wegner (Sascha Alexander Geršak, Laura Tonke) sind ein Paar wie aus einem Horrorfilm. Brasch spürt instinktiv, das mit den beiden irgendwas nicht stimmt, doch sie hat keinerlei Handhabe. Es finden sich zwar allerlei Indizien, aber die Kommissarin beißt beim zuständigen Staatsanwalt auf Granit, obwohl sich im Haus der Wegners Hinweise auf einen weiteren Mord finden und sich der jähzornige Mann bei der Befragung zu einem doppelten Geständnis provozieren lässt. Der frühere Fall gilt allerdings als gelöst, es gibt einen verurteilten Täter, der jedoch stets seine Unschuld beteuert hat. Weil Brasch das Waldstück, in dem Wegner die Opfer angeblich verscharrt hat, auf eigene Faust (und ergebnislos) durchsuchen lässt, muss ihr Chef (Felix Vörtler) sie schweren Herzens suspendieren, nicht ahnend, dass er damit quasi ihr Todesurteil unterschreibt.

Dass "Der Verurteilte" trotz des wenig aufsehenerregenden ersten Akts ein besonderer Krimi werden könnte, lassen nicht zuletzt die Namen der beiden maßgeblichen kreativen Köpfe hoffen: Grimme-Preisträger Jan Braren ("Homevideo") hat zuletzt neben "Lotte am Baumhaus" zwei ungewöhnliche "Tatort"-Drebücher für Maria Furtwängler geschrieben ("Das verschwundene Kind", "Der Fall Holdt"). Die Inszenierung des "Polizeirufs" besorgte Brigitte Maria Bertele, ebenfalls Grimme-Preisträgerin ("Nacht vor Augen", "Grenzgang"). 2019 hat sie mit dem Dienstjubiläum von Lena Odenthal ("Die Pfalz von oben") ihr Sonntagskrimi-Debüt gefeiert. Ihr zweiter "Tatort" war ein Fall aus Berlin ("Das perfekte Verbrechen"). Bei ihrer "Polizeiruf"-Premiere schleicht sich die Spannung förmlich an: Richtig fesselnd wird die Geschichte erst durch die persönliche Betroffenheit der Kommissarin, als Brasch klar wird, dass sie vor einigen Jahren offenbar den falschen Mann verhaftet hat.

Berteles Filme zeichnen sich ohnehin stets durch die die vorzügliche Arbeit mit den Schauspielern aus, aber diesmal gilt das ganz besonders. Natürlich resultiert der Reiz nicht zuletzt aus der Frage, ob Wegner ein womöglich gar zweifacher Mörder ist oder nicht; und falls ja, wie es Brasch gelingen kann, ihn doch noch zu überführen. Obwohl Sascha Alexander Geršak, beängstigend gut als Geiselnehmer im ARD-Zweiteiler "Gladbeck", auch den eher schlichten Gärtner äußerst glaubwürdig verkörpert, ist Annegret die interessantere Figur, zumal Braren und Bertele geschickt offen lassen, welche Rolle sie bei der ganzen Sache spielt: Ist die harmlos in sich hineinlächelnde Frau tatsächlich das unterwürfige Weibchen, das sich widerstandslos schlagen lässt, oder in Wirklichkeit das wahre Monster in dieser Beziehung? Laura Tonke ist auch dank der Arbeit des Maskenbilds fast nicht wiederzuerkennen und hat enormen Anteil daran, dass das von Bertele bis an den Rand der Erträglichkeit inszenierte Finale, als Brasch ihre Lektion "auf die harte Tour" lernen muss, bis zum Schluss spannend bleibt.

Ähnlich prägnant ist die Besetzung der Nebenfiguren mit Hanna Hilsdorf als Valeries beste Freundin sowie Falk Rockstroh als Vater der verschwundenen jungen Frau. Von großer Sorgfalt ist auch die Bildgestaltung (Jana Lämmerer), und das nicht nur wegen der bemerkenswerten Lichtarbeit. Abgerundet wird die Qualität des Films durch eine Musik (Sven Rossenbach, Florian van Volxem), die von Anfang an suggeriert, dass sich das Publikum auf was gefasst machen kann, sowie eine sorgfältige Songauswahl, die keineswegs immer so naheliegend ist wie bei "Valerie" von Amy Winehouse.