TV-Tipp: "Kästner und der kleine Dienstag"

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TV-Tipp: "Kästner und der kleine Dienstag"
18. Dezember, 3sat, 20.15 Uhr
Der Dichter und Schriftsteller Erich Kästner (Florian David Fitz) ist ein Liebling der Intellektuellenszene - und zudem ein Schürzenjäger. Selbst kinderlos, hat er mit "Emil und die Detektive" sein erstes Kinderbuch geschrieben. Der elfjährige Hans wird erst zu seinem größten Fan und dann zu einem guten Freund.

Vor einigen Jahren hat Regisseur Wolfgang Murnberger dem deutschsprachigen Fernsehen mit „Kleine große Stimme“ einen Film geschenkt, der mit seiner besinnlich-berührenden Geschichte über die Nachkriegssuche eines Wiener Sängerknaben nach seinem Vater das Zeug zum modernen Klassiker hatte. 2016 ließ der auch hierzulande für Komödien wie "Die Spätzünder" äußerst geschätzte Österreicher ein Drama folgen, das womöglich noch besser ist. Grimme-Preisträgerin Dorothee Schön ("Der letzte schöne Tag") hatte kurz zuvor bereits mit "Der Polizist, das Kind und der Mord" ein Drehbuch voller Feingefühl über die Freundschaft zwischen einem Erwachsenen und einem Jungen geschrieben. Darum geht es auch in "Kästner und der kleine Dienstag", erneut nach wahren Begebenheiten, aber diesmal unter völlig anderen Vorzeichen.

Die Handlung beginnt mit einem feuchtfröhlichen Abend und einer typischen Szene der späten 20er Jahre. Die Stimmung ist ausgelassen, den Damen hüpft der Busen aus dem Dekolletee; die Menschen haben keine Ahnung, dass sie auf einem Vulkan tanzen. Der Dichter und Schriftsteller Erich Kästner (Florian David Fitz) ist ein Liebling der Intellektuellenszene; und außerdem ein Schürzenjäger. Selbst kinderlos, hat er mit "Emil und die Detektive" sein erstes Kinderbuch geschrieben. Der elfjährige Hans wird erst zu seinem größten Fan und dann zu einem guten Freund. Der Junge spielt in der Verfilmung des Romans den "kleinen Dienstag" und ist Geburtshelfer bei "Pünktchen und Anton" und "Das doppelte Lottchen". Aber dann ist die ausgelassene Zeit der Unbefangenheit vorbei; auf den Straßen macht sich der braune Mob breit. Hans’ Schwester wird ein Hitler-Mädel, der Frisiersalon seines "gemischtrassigen" Freundes Wolfi Stern wird immer öfter das Ziel antisemitischer Schikanen, und Kästner, der Hans als Widmung "Es gibt nichts Gutes, außer, man tut es" in ein Buch geschrieben hat, steht tatenlos daneben, als sein Roman "Fabian" verbrannt wird. Später bekommt er Schreibverbot und bricht dem Jungen das Herz, als er die Freundschaft beendet, um ihn nicht zu gefährden. Jahre später treffen sie sich wieder. Mittlerweile haben Hitlers Horden Polen überfallen, und Hans ereilt jenes Schicksal, das sein widerlicher Nazi-Lehrer (Arnfried Lerche) als glorreich angepriesen hat: Er muss in den Krieg.

Dorothee Schön und Wolfgang Murnberger ist mit "Kästner und der kleine Dienstag" ein Kunststück gelungen, das gleichermaßen Kunstwerk ist. Nicht zuletzt auch dank der Verkörperung durch Florian David Fitz, der die ironischen Spitzen des Dichters mit provokantem Gleichmut vorträgt, treffen Buch und Regie auf erstaunliche Weise den typischen Kästner’schen Humor: nicht zynisch, aber von beißendem Spott und gleichzeitig von großer Humanität geprägt. Trotzdem wird der Dichter nicht verklärt. Mitunter ist Schöns Erzählweise allzu episodisch, aber dem erfahrenen Murnberger ist dennoch ein steter Handlungsfluss gelungen.

Selbstverständlich erzählt der Film auch davon, wie man dunkle Zeiten übersteht, ohne mit dem Strom zu schwimmen. Dafür steht vor allem die Freundschaft zwischen Kästner und dem von Hans Löw gleichfalls vorzüglich verkörperten Zeichner und Karikaturisten Erich Ohser, dessen unter dem Pseudonym E.O. Plauen erschienenen Geschichten von "Vater und Sohn" ebenfalls unvergessen sind. Allerdings redet sich Ohser mit seinen lauthals geäußerten Anti-Nazi-Sprüchen um Kopf und Kragen. Kästner will vor allem sauber bleiben; unter Schweinen, stellt der Freund lapidar fest, "kann man nicht sauber bleiben".

Natürlich ist "Kästner und der kleine Dienstag" ein Film über das "Dritte Reich"; aber eben nicht in erster Linie, auch wenn die Zeitläufte dafür sorgen, dass die Freundschaft ganz speziellen Belastungen ausgesetzt ist. Die politische Dimension hat Schön vor allem über gute Dialoge integriert: Weil Hans von seiner Mutter (Katharina Lorenz) bloß zu hören bekommt, Politik sei nichts für Kinder, wendet er sich mit seinen entsprechenden Fragen an seinen großen Freund. Kästner, der nach eigenem Bekunden mit Kindern nicht viel anfangen kann, gibt ihm Antworten, die auf gleich drei Ebenen funktionieren: Innerhalb des Films erklären sie Hans die Lage und zeigen ihm, dass der Dichter ihn ernst nimmt. Außerdem sorgen sie für einen Bezug zur Gegenwart: Die Ausführungen könnten auch auf die heutige Zeit gemünzt sein.

All’ das funktioniert aber nur, weil der junge Nico Ramon Kleemann, ein sympathischer Lockenkopf, der förmlich von innen leuchtet, seine Sache formidabel macht und auch schwierige Dialoge jederzeit überzeugend vorträgt. Das gleiche Lob gebührt Jascha Baum. Der ältere Hans ist zwar die kleinere Rolle, aber ebenfalls famos gespielt. Gerade auch dank der Schauspieler kann Murnberger das anspruchsvolle historische Drama über weite Strecken mit einer beeindruckenden Leichtigkeit und immer wieder verblüffend humorvoll erzählen; auch wenn irgendwann der Zeitpunkt kommt, da die tragische Entwicklung der Geschichte keine Scherze mehr erlaubt. Eine Einstellung genügt, um die ganze Tragweite zu verdeutlichen: Nach und nach werden alle Jungs aus Hans’ Klasse zu Geistern.