Weihnachtspakete hinter Gittern

Pakete gegen die Einsamkeit hinter Gittern
© Annie Spratt/Unsplash
Die christliche Hilfsorganisation "Schwarzes Kreuz" sorgt dafür, dass auch Straffällige etwas zu Weihnachten bekommen.
Weihnachtspakete hinter Gittern
Das Hilfswerk "Schwarzes Kreuz" betreut Häftlinge auch in Corona-Zeiten
In Celle verbüßen 220 Männer langjährige Haftstrafen. Die meisten leiden unter dem Verlust an Sozialkontakten. Doch wegen Corona sind die Besuchsmöglichkeiten noch stärker eingeschränkt. Die Straffälligenhilfe "Schwarzes Kreuz" versucht zu helfen.

Wenn Diakon Holger Reiss in diesen Tagen durch die Gänge der Justizvollzugsanstalt Celle geht, um Strafgefangene zu besuchen, muss er sich einiges anhören - stellvertretend für die Außenwelt. "Könnt ihr euch nicht an die Regeln halten?", pampt ihn einer an. Damit macht der Inhaftierte seinem Ärger darüber Luft, dass viele Menschen in Freiheit sich nicht an die Hygienevorschriften halten und die Corona-Ansteckungszahlen in Deutschland die Höhe schnellen. Denn die Ausbreitung des Virus "draußen" hat zur Folge, dass die ohnehin stark eingeschränkten Besuchsmöglichkeiten in den Haftanstalten noch mehr beschnitten werden.

In der JVA Celle, in der Reiss jetzt wieder Sprechstunden abhält, durften die Inhaftierten drei Monate lang keine Besuche von ihren Frauen, Kindern oder Enkeln empfangen. Ins Gefängnis kamen nur noch Justizbedienstete, Richter, Anwälte und Polizisten. Auch Reiss konnte damals nur schriftlich Kontakt halten. "Wir sind jetzt das Ventil für manchen Ärger, das ist auch richtig so", sagt der 54-Jährige. Dabei haben die meisten Häftlinge selbst eine existenzielle Regel verletzt: "Du sollst nicht töten!"

Kurse fürs Handy oder Zugfahren

In Celle sind 220 männliche Gefangene untergebracht - viele verbüßen dort eine lebenslange Freiheitsstrafe, die in Deutschland nur bei Mord verhängt wird. Zurzeit dürfen enge Angehörige zwar wieder zu Besuch kommen. Doch die Auflagen sind streng: maximal eine Stunde, nur aus einem Haushalt, mit Maske und hinter Plexiglas. Ähnlich geht es vielen der rund 50.000 Strafgefangenen in Deutschland.

Diakon Reiss ist bei der Christlichen Straffälligenhilfe "Schwarzes Kreuz" angestellt, die in Celle ihre Bundesgeschäftsstelle hat. Dazu gehört auch die Anlaufstelle "Projekt Brückenbau" für Inhaftierte, Haftentlassene und Angehörige. Der 54-Jährige leitet die Anlaufstelle, deren Mitarbeiter:innen nicht nur Besuche organisieren, sondern auch bei der Job- und Wohnungssuche helfen. Für Gefangene, die noch einige Zeit in Haft bleiben müssen, aber hin und wieder Ausgang bekommen, bietet er lebenspraktische Kurse an: Wie bediene ich ein Handy? Wie kaufe ich mir eine Zugfahrkarte am Automaten? "Wer seit mehr als 30 Jahren in Haft ist, hat unter Umständen noch Probleme mit dem Euro."

Die Mitarbeiterinnen der Christlichen Straffälligenhilfe "Schwarzes Kreuz" packen die ersten Weihnachtspakete für Inhaftierte.

Manche Inhaftierte haben keine Angehörigen mehr, oder die Verwandten haben sich von ihnen abgewendet, erzählt Reiss. Für viele sind die Gespräche mit ihm und seinem Team die einzigen Sozialkontakte "auf Augenhöhe". Zumindest sind es andere Gespräche als mit dem Bediensteten, der hinterher wieder die Zellentür abschließt. "Ich bin ganz froh, dass ich keinen Schlüssel habe", sagt der Diakon. "Ich gehöre zwar irgendwie zum System, aber ich habe ganz andere Freiräume als ein Mitarbeiter der JVA."

Mensch mehr als seine Tat

Vor Corona gab es noch Begegnungsangebote wie das Kreativcafé oder regelmäßige Kontakte mit Ehrenamtlichen, doch das liegt zurzeit brach. Einer dieser Ehrenamtlichen ist Wolfgang Jung. Der Ruheständler arbeitet beim "Projekt Brückenbau" mit und kümmert sich seit zwei Jahren um Manfred (Name geändert). Mit ihm rede er über "Gott und die Welt", erzählt Jung. Wobei: Gläubig sei Manfred eigentlich nicht. "Für mich sind Menschen in Haft keine Exoten", sagt der 69-Jährige. Er habe 29 Jahre bei der Wohnungslosenhilfe in Celle gearbeitet. "Da gab es immer mal Berührungspunkte mit der JVA".

Der Gefangene ist Mitte fünfzig, Wolfgang Jung duzt sich mit ihm. Er möchte das Verhältnis nicht freundschaftlich nennen: "Aber ich könnte die Arbeit nicht machen, wenn er mir nicht sympathisch wäre." Für Jung steht der Mensch im Mittelpunkt - und der sei mehr als die Tat, für die er im Gefängnis sitzt. "Für schwere Straftaten kann ich natürlich kein Verständnis entwickeln", stellt der Helfer klar. Das hindere ihn aber nicht daran, Manfred bei seinen Freigängen und Plänen für die Zeit nach der Haftentlassung zu unterstützen. Mehrere Jahre hat der Gefangene bereits verbüßt. Die Lockerungen zeigen, dass er sich in der Haft ordentlich verhält.

Sprengstoff aus Marzipan

Wer an den Angeboten des "Projekts Brückenbau" in Celle teilnehmen darf, hat bereits eine längere Zeit guter Führung hinter sich, erläutert Geschäftsführer Otfried Junk: "Natürlich sind das nicht alles liebe Leute, die aus Versehen in der JVA sind. Jemand, von dem akut Gefahr ausgeht, kommt nicht raus." Doch die meisten hätten viel Zeit gehabt, um sich mit der Tat auseinanderzusetzen, dafür gibt es viele Behandlungsangebote in Haft. Jetzt wollten sie möglichst geräuschlos ihre Strafe absitzen. Die Teilnehmer am Kreativcafé würden sich hüten, die Haftlockerungen zu missbrauchen. "Die werden ja erwischt und müssten dann wieder ganz von vorn anfangen." Die Mitarbeiter hoffen, dass die Projekte trotz Corona bald wieder fortgeführt werden können.

In den kommenden Wochen bekämen viele Inhaftierte den "Weihnachtsblues", weiß Diakon Holger Reiss. Dann erinnerten sie sich an bessere Zeiten und litten besonders unter der Einsamkeit. In Celle verteilt das "Projekt Brückenbau" zu Heiligabend an jeden Häftling einen Geschenkebeutel. Bundesweit organisiert das "Schwarze Kreuz" eine Weihnachtspaket-Aktion: Die gespendeten Geschenke werden über den gemeinnützige Verein weitergeleitet und von den Anstalten an Bedürftige verteilt. In Niedersachsen nicht erlaubt ist Marzipan, schränkt Reiss ein: "Daraus kann man Sprengstoff herstellen. Wusste ich auch nicht."