TV-Tipp: "Tatort: Parasomnia"

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TV-Tipp: "Tatort: Parasomnia"
15. November, ARD, 20.15 Uhr
"Parasomnia" erzählt eine Geschichte, wie es sie in der fünfzigjährigen "Tatort"-Historie höchstwahrscheinlich noch nicht gegeben hat, zumal der Film stellenweise ganz schön gruselig ist. Wer sich am Sonntagabend lieber vom Schmunzelduo aus Münster unterhalten lässt, wird nach dieser Geschichte womöglich nicht gut schlafen.

Vor einigen Jahren sind der Drehbuchautor Erol Yesilkaya und der Regisseur Sebastian Marka angetreten, um die Grenzen des deutschen Fernsehfilms zu erweitern. Das ist in ihnen in einigen Fällen derart gut gelungen, dass ihre gemeinsamen "Tatort"-Episoden stets zu den besten des jeweiligen Jahrgangs gehörten; für "Meta", einen Krimi aus Berlin, sind die beiden letztes Jahr mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet worden.

Nach ähnlich herausragenden Sonntagskrimis aus Frankfurt, Wiesbaden und München treiben sie ihr Wesen nun in Dresden. Marka hat sich bei der Umsetzung kräftig beim Horrorgenre bedient. Dass Yesilkaya für die scheinbar übernatürlichen Ereignisse am Ende eine plausible Erklärung liefert, ändert selbstredend nichts an der Wirkung der Bilder; eine Szene ist derart packend, dass buchstäblich eine Gänsehaut auf die andere folgt.

Die Handlung bringt ohnehin alles mit, was ein veritabler Horrorfilm braucht: Der verwitwete Kinderbuchautor Ben (Wanja Mues) ist mit seiner 14-jährigen Tochter Talia (Hannah Schiller) in ein riesiges, einsam gelegenes altes Haus in der Nähe von Dresden gezogen. Schon mit den ersten Bildern, als Talia seltsame Geräusche hört, lassen Marka und  Kameramann Willy Dettmeyer eine äußerst unbehagliche Stimmung entstehen. Plötzlich erklingt eine Stimme, die das Mädchen fragt, was es sehe: Farbdosen, die so angeordnet sind, dass sie die Umrisse eines menschlichen Körpers ergeben. Eine rote Dose hat ein Loch, die Farbe ist ausgelaufen. Die Stimme gehört Kriminaloberkommissarin Gorniak (Karin Hanczweski), sie versucht gemeinsam mit Talia, jenen Moment zu rekonstruieren, als das Mädchen eine Leiche gefunden hat. Das Mordopfer war ein Frührentner, der das Haus renovieren sollte. Vermutlich hat er einen Einbrecher überrascht und ist erstochen worden; Talias Gehirn hat die Erinnerung verdrängt, um sie zu schützen.

Vater Ben ist gegen diese Befragung: Nach dem Tod der Mutter hat das Mädchen lange unter Parasomnie gelitten, einer Form der Schlafstörung, bei der die Betroffenen Traum und Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden können. Nun kehrt die Krankheit zurück: Immer wieder wacht Talia auf und sieht grausige Gestalten. Damals waren die Symptome eine Reaktion auf das traumatische Erlebnis, als ihre Mutter gestorben ist. Die Bedrohungen der Gegenwart sind jedoch völlig anderer Natur. Immerhin findet das untröstliche Mädchen einen Rettungsanker: Gorniaks junge Kollegin Winkler (Cornelia Gröschel) hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Talias Mutter. Eher widerwillig akzeptiert die Polizistin ihre Rolle als Vertraute und wird prompt in einen Strudel hineingezogen, der sie am Ende beinahe das Leben kostet: Mit Hilfe des Mädchens entdecken die Kommissarinnen die Tatwaffe. An der Klinge des Messers klebt noch weiteres Blut, das mindestens drei Jahrzehnte alt ist. Die Spur führt zurück in die Achtzigerjahre und somit in die DDR, in der nach offizieller Lesart Serienmorde nicht existierten. Die nächtlichen Schatten, von denen Talia in ihren Träumen gepiesackt wird, sind womöglich die Geister jener Frauen, die damals ermordet worden sind.

Gerade diese Erscheinungen machen "Parasomnia" zu einem Film, der für Kinder denkbar ungeeignet ist. Die Phänomene beginnen mit einem Gesicht, das sich für die Dauer eines Wimpernschlags in der Scheibe spiegelt, und manifestieren sich schließlich in Gestalten, die Talia anscheinend sehr reale Verletzungen zufügen. Die ausgezeichnete Musik von Thomas Mehlhorn, mit dem Marka regelmäßig zusammenarbeitet, sorgt dafür, dass die Schockeffekte unter die Haut gehen. Letztlich sind diese Effekte zwar bloß das Ergebnis eines perfekten Zusammenspiels von Tonspur, Bildgestaltung und Schnitt, aber handwerklich bewegt sich "Parasomnia" auf höchstem Niveau. Das Finale schließlich ist Thriller pur.

Es gibt jedoch auch Details, die mit viel weniger Aufwand zustande gekommen sind, aber zur Folge haben, dass man quasi in die Köpfe der Figuren schauen kann: Als Winkler ein Foto von Talias Mutter anschaut, ist sie über die Ähnlichkeit so verblüfft, dass sie sich selbst auf dem Bild sieht. Markas Umsetzung ist das eine, doch das andere ist die besondere Qualität der Drehbücher Yesilkayas: Am Ende des Films bleiben tatsächlich keine Fragen offen, oder besser gesagt: fast keine; ein bisschen Übersinnlichkeit könnte doch im Spiel gewesen zu sein. Trotzdem hätte das alles furchtbar schiefgehen können, wenn Hannah Schiller, zum Zeitpunkt der Dreharbeiten fünf Jahre älter als die von ihr verkörperte Rolle, ihre Sache nicht so famos machen würde.