TV-Tipp: "Das Unwort"

© Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Das Unwort"
9. November, ZDF, 20.15 Uhr
Es geht in "Das Unwort" um Religion - und es ist alles nicht so ernst gemeint. Tatsächlich ist Humor womöglich die einzig sichere Variante, um einen Film über Glaubensfragen zu drehen; erst recht, wenn Vorurteile und unversöhnliche Haltungen aufeinanderprallen. Das Thema des Films ist aber alles andere als lustig: Es geht um Antisemitismus an einem Berliner Gymnasium.

Der Anfang ist harmlos. Der 15jährige Max bedauert, dass es im Judentum kein Weihnachten gibt. Stattdessen feiere man das Lichterfest Chanukka; Hauptsache Geschenke. Mit der eigentlichen Handlung hat dieser Einstieg nichts zu tun, aber er setzt zwei Signale: Es geht um Religion; und es ist alles nicht so ernst gemeint. Tatsächlich ist Humor womöglich die einzig sichere Variante, um einen Film über Glaubensfragen zu drehen; erst recht, wenn Vorurteile und unversöhnliche Haltungen aufeinanderprallen.

Das Thema des Films ist allerdings alles andere als lustig: Es geht um Antisemitismus an einem Berliner Gymnasium und die völlige Unfähigkeit des Lehrkörpers, mit dieser Herausforderung umzugehen. Eher beiläufig haben die Mitschüler von Max Berlinger (Samuel Benito) während des Deutschunterrichts erfahren, dass er Jude ist. Fortan wird er zum gezielten Opfer von Karim (Oskar Redfern). Sein bester Freund Reza (Victor Kadam) versichert zwar, zwischen ihnen ändere sich nichts, aber die antisemitischen Sprüche von Karim, dessen Eltern aus Palästina stammen, findet er trotzdem lustig.

All’ das erzählt Leo Khasin (Buch und Regie) jedoch erst nach und nach. Den Rahmen des Films bildet eine Klassenkonferenz, bei der die Eltern der betroffenen Schüler gemeinsam mit der Deutschlehrerin (Anna Brüggemann), dem Rektor (Devid Striesow) sowie einer Frau (Iris Berben) von der Schulaufsicht eine Lösung für den zunehmend eskalierten Konflikt finden sollen.

Höhepunkt der Auseinandersetzungen war eine Prügelei, in deren Verlauf Max Karim ein Ohrläppchen abgebissen und Reza die Nase gebrochen hat; das Opfer ist offenbar zum Täter geworden. Zum klärenden Gespräch ist allerdings nur das Ehepaar Berlinger (Thomas Sarbacher, Ursina Lardi) erschienen. Weil sich auch die Vertreter des restlichen Lehrkörpers unter fadenscheinigen Ausreden gedrückt haben, hat Rektor Stege kurzerhand den Hausmeister (Florian Martens) mitgebracht. Er heißt Eichmann, was Simon Berlinger mit einigem Sarkasmus zur Kenntnis nimmt.

Im Verlauf des mehrfach unterbrochenen Gesprächs wird immer deutlicher, dass die Schule nicht mal ansatzweise auf das Thema Antisemitismus vorbereitet war. Die unerfahrene Lehrerin ist völlig überfordert und wirkt mit ihrer wiederholten Beteuerung, sie wolle doch bloß Frieden in ihrer Klasse, reichlich naiv. Im Sinne der Völkerverständigung bietet sie den Gesprächseilnehmern jüdische und muslimische Spezialitäten an, die sie mit israelischen und palästinensischen Fähnchen dekoriert hat; Berlinger weist sie darauf hin, dass sie mitnichten Israelis seien. Außerdem lässt er es sich nicht nehmen, regelmäßig ihre Aussprache von Chanukka zu korrigieren; die Lehrerin betont das Wort hartnäckig wie ein bekanntes Süßwarenprodukt mit Kakaocreme zwischen zwei Waffeln.

Es sind vor allem diese beiläufig eingestreuten Details, die für den komödiantischen Charakter der Geschichte sorgen. Bei den handelnden Personen hingegen hat der vor einigen Jahren durch seine jüdisch-palästinensische Tragikomödie "Kaddisch für einen Freund" bekannt gewordene Autor und Regisseur viel zu dick aufgetragen, und das tut dem Film nicht gut. Natürlich sollen die Übertreibungen satirisch wirken, aber die Zuspitzung hat zur Folge, dass die Figuren fast ausnahmslos diskreditiert werden. Auf diese Weise bleibt letztlich niemand mehr übrig, den man ernst nehmen kann: Der Rektor ist bloß daran interessiert, dass seine Schule in der Öffentlichkeit gut da steht, und möchte die Angelegenheit am liebsten unter den Teppich kehren, um seine politischen Ambitionen nicht zu gefährden. Die Frau von der Behörde scheint zunächst als einzige tatsächlich an einer Klärung des Konflikts interessiert zu sein, lässt sich gegen Ende aber etwas unmotiviert zu der Bemerkung hinreißen, Reza, dessen Mutter iranische Wurzeln hat, solle zurückkehren, wo er hingehöre.

Immerhin fallen die Eltern einigermaßen differenziert aus, selbst wenn Berlinger mehrfach der Kragen platzt; deshalb passt es auch ins Bild, dass am Ende nicht die Behörden, sondern die Betroffenen für den von Lehrerin Annika so sehnlichst herbeigewünschten Frieden sorgen. Das wiederum geht viel zu schnell: Gerade noch hat Karims Vater (Neil Malik Abdullah) Berlinger den Handschlag verweigert, aber schon am nächsten Morgen fällt er ihm um den Hals. Bei den Söhnen genügt ein gemeinsamer Sozialdienst im Seniorenheim, um zwar nicht Freundschaft, aber zumindest gegenseitigen Respekt entstehen zu lassen.

Der Film ist zwar dennoch sehenswert, doch gerade Neda Rahmanian verdeutlicht das vertane Potenzial der Handlung. Sie versieht die zu spät gekommene elegante Mutter von Reza zwar mit einer Energie, die den anderen kaum noch Raum lässt, aber ihre Rolle wirkt dennoch längst nicht so dick aufgetragen wie die anderen Figuren. Übertreibungstiefpunkt ist ein nicht mal überzeugend inszeniertes Slapstick-Handgemenge. Szenen wie diese haben womöglich zur Folge, dass sich viele Zuschauer vom relevanten Kern der Handlung, dem Wiedererstarken des Antisemitismus in Deutschland, distanzieren können. Auch deshalb erreicht Khasins Film, der dank der vielen Dialoge und der Handlung im Klassenzimmer wie die Adaption eines Bühnenstücks wirkt, bei Weitem nicht die Klasse von Roman Polanskis bissigem Drama "Der Gott des Gemetzels". Im Anschuss zeigt das ZDF die Dokumentation "Hey, ich bin Jude. Jung. Jüdisch. Deutsch".