TV-Tipp: "Tatort: Der Fall Holdt"

Altmodischer Fernseher vor einer Wand
© Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Tatort: Der Fall Holdt"
14. September, HR, 21.45 Uhr
Der 25. Krimi mit Maria Furtwängler war aus mehreren Gründen ein besonderer Film. Als die ARD "Der Fall Holdt" 2017 zum ersten Mal ausgestrahlt hat, lag der letzte Auftritt von Charlotte Lindholm schon eine ganze Weile zurück.

Zwischendurch hatte es zwar den tausendsten "Tatort" gegeben ("Taxi nach Leipzig"), in dem die Hauptkommissarin aus Hannover gemeinsam mit dem Kollegen aus Kiel entführt wurde, aber ein Heimspiel hatte sie zuletzt 2015 gehabt. Der Jubiläumskrimi war zudem Lindholms letztes Solo; 2019 wurde sie nach Göttingen versetzt, wo sie von der neuen Partnerin (Florence Kasumba) alles andere als mit offenen Armen empfangen wurde.

"Der Fall Holdt" war also ein kleines Comeback, das jedoch nicht allen Zuschauern gefallen haben dürfte, zumal die Heldin, sonst stets Herrin der Lage, nach allen Regeln der Kunst demontiert wird. Der Film beginnt mit ausgelassener Partystimmung, aber dann nimmt das Unglück seinen Lauf: Lindholm (Maria Furtwängler) muss aufs Klo, sucht angesichts der langen Schlange nach einer Alternative, hockt sich auf dem Parkplatz zwischen zwei Autos, wird von drei Männern erspäht und fotografiert, lässt sich auf ein Handgemenge ein und wird übel zusammengeschlagen. Die düstere Stimmung dieses Prologs liegt fortan wie Mehltau über der Handlung. Im Grunde ist die LKA-Beamtin dienstunfähig, aber anstatt ihre erheblichen Blessuren auszukurieren, muss sie zu einem Einsatz: Julia Holdt, Ehefrau eines Bankfilialleiters (Aljoscha Stadelmann), ist entführt worden. Physisch und auch psychisch schwer angeschlagen, verhält sich Lindholm während der Ermittlungen mehrere Male äußerst unprofessionell. Sie reagiert extrem dünnhäutig, lässt sich provozieren und begeht schließlich einen schweren Fehler, der tragische Folgen hat.

Für Maria Furtwängler war der 25. Lindholm-"Tatort" garantiert ein großes schauspielerisches Vergnügen, schließlich darf sie der kühlen Kommissarin völlig neue Seiten abgewinnen; in der Tat ist es ausgesprochen sehenswert, wie sie die innerlich wie äußerlich demolierte Ermittlerin verkörpert. Mit fast schon boshaftem Vergnügen konfrontiert das Drehbuch von Grimme-Preisträger Jan Braren ("Homevideo") Lindholm mit einer Kollegin, Frauke Schäfer (Susanne Bormann), die gerade wegen der unübersehbaren Parallelen das perfekte Pendant ist: genauso blond, ähnlich gekleidet, aber jünger, ehrgeiziger und in Teilen durchaus unsympathisch; kein Wunder, dass die beiden Frauen regelmäßig aneinandergeraten. Nicht minder spannend ist Frank Holdt, der Ehemann des Entführungsopfers, zumal Aljoscha Stadelmann den Gatten, den der Tod seines geliebten Hundes stärker  mitzunehmen scheint als die Entführung seiner Frau, mit reizvollen Widersprüchen versieht: Einerseits versichert er glaubwürdig, Julia zu lieben, andererseits tauchen irgendwann Fotos von ihr auf, die belegen, dass er sie in einem Anfall von Eifersucht krankenhausreif geprügelt hat; auch gegenüber Lindholm fährt er aus der Haut. Die Entführer wollen 300.000 Euro Lösegeld, weshalb Holdt seinen Schwiegervater (Ernst Stötzner) um Hilfe bitten muss; und der alarmiert umgehend die Polizei. Weil Julia Holdt ihren Mann offenbar verlassen wollte, mutmaßt die Kollegin Schäfer, der Gatte sei selbst in die Entführung involviert. Als sich auch Lindholm diese Sichtweise zu eigen macht, ist dies der Anfang vom tragischen Ende.

Spätestens der Schluss des Films wird Zuschauer, die einen klassischen "Tatort" bevorzugen, enttäuschen. Auch deshalb ist "Der Fall Holdt" mit seiner Geschichte eines katastrophalen Scheiterns ein mutiger Sonntagskrimi. Wie sehr der NDR gewillt war, ungewohnte Wege zu gehen, zeigt zudem die Wahl der Regisseurin: Anne Zohra Berrached hat zwar für ihren Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg, "24 Wochen", ein Mutterschaftsdrama mit Julia Jentsch, den Deutschen Filmpreis erhalten, aber "Der Fall Holdt" ist ihre erste Regiearbeit außerhalb der Filmhochschule und daher auch ihr erster Fernsehfilm. Davon ist jedoch überhaupt nichts zu spüren. Die Bildgestaltung (Bernhard Keller) ist vortrefflich, gerade die vielen Waldszenen rund um den Entführungsort verleihen dem Film auch dank der besonderen Musik (Jasmin Reuter) eine ganz spezielle Atmosphäre. Herausragend aber ist Berracheds Arbeit mit den Schauspielern. Stadelmann, im Grunde erst durch die ARD-Reihe "Harter Brocken" beim Fernsehpublikum zu einer gewissen Prominenz gekommen, verkörpert den ambivalenten Ehemann, aus dem nicht nur Lindholm nicht schlau wird, ganz vorzüglich. Die eigentliche Überraschung des Films ist jedoch Maria Furtwängler: Die Schauspielerin offenbart dank der Hartnäckigkeit ihrer vergleichsweise jungen Regisseurin ganz ungewohnte Facetten; Lindholms neue Fragilität hat auch den Krimis aus Göttingen geprägt.