TV-Tipp: "Wilsberg: Minus 196 Grad"

Altmodischer Fernseher vor einer Wand
Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Wilsberg: Minus 196 Grad"
26.8., ZDF Neo, 20.15 Uhr
Ein gutes Drehbuch hat eine originelle Handlung, die ein Regisseur dann möglichst kurzweilig und wahlweise unterhaltsam oder spannend umsetzt; das allein ist schon eine Herausforderung. Sie lässt sich allerdings noch steigern, wie der 63. "Wilsberg"-Film mit dem zunächst rätselhaften Titel "Minus 196 Grad" beweist: Jürgen Kehrer und Sandra Lüpkes erzählen zwei Geschichten, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben.

Natürlich gibt es eine Schnittstelle, sonst würden die beiden Ebenen ja bloß parallel nebeneinander herlaufen. Die große Kunst besteht nun darin, die zwei Handlungsstränge so geschickt miteinander zu kombinieren, dass die Verknüpfung nicht unglaubwürdig wirkt, denn dann würde die ganze Konstruktion mehr funktionieren.

Der erfahrene "Wilsberg"-Regisseur Martin Enlen hat zuletzt mit "Gottes Werk und Satans Kohle" einen der wohl anspielungsreichsten Filme im Rahmen der Reihe gedreht. Getreu der Maxime, das Vorzeichen regelmäßig zu verändern, ist "Minus 196 Grad" deutlich weniger komisch angelegt, aber trotz einiger spannender Szenen immer noch eher eine Komödie als ein Thriller. Die Krimihandlung beginnt tragisch: Eine Klientin des Privatdetektivs (Leonard Lansink) wird tot aus dem Aasee gefischt. Der Detektiv macht sich Vorwürfe, geht der Sache nach und  findet raus, dass sie kurz vor ihrem Besuch im Antiquariat eine Begegnung der ziemlich unheimlichen Art hatte.

Mit diesen Bildern beginnt der Film auch: Angesichts eines kleinen Mädchens im Spielzeuggeschäft erstarrt die Frau, als habe sie einen Geist gesehen. Die Erklärung zögern "Wilsberg"-Erfinder Kehrer und Koautorin Lüpkes clever hinaus. Zunächst tritt Alex ihren neuen Kanzleijob als Anwältin einer Klinik für künstliche Befruchtung an. Auf diese Einrichtung mit dem schönen Namen Beste Hoffnung bezieht sich auch der Titel: Bei minus 196 Grad werden die befruchteten Eizellen eingefroren; zum Finale droht Alex ein ähnliches Los. Ekki stößt auf derweil einem Skandal bei einem gemeinnützigen Altkleider-Unternehmen auf die Spur.

Rund um die beiden zentralen Handlungsstränge gruppiert der Film noch ein paar Nebenebenen, und natürlich ist auch ein bisschen Zufall oder Laune des Schicksals im Spiel, damit sich das alles überschneidet; aber das gibt es im wahren Leben schließlich auch. Die schönste Geschichte gilt Overbeck: Der Oberkommissar hat einst Samenzellen gespendet. Auf diese Weise ist er Erzeuger der heutigen Studentin Kira (Emma Drogunova) geworden, und die möchte nun ihren biologischen Vater kennenlernen. Roland Jankowsky, für nicht wenige "Wilsberg"-Fans der heimliche Star der Reihe, ist nach anfänglichem Zögern hingerissen und spielt die entsprechenden Szenen wie ein verliebter Teenager. Ähnlich emotional geht es auf der Ebene mit Alex zu, denn die findet großen Gefallen am Klinikchef Friedrichs (Manuel Rubey). Entsprechend schockiert ist sie, als er sich offenbar das Leben nehmen will.

Neben dem klassischen Ensemble sind auch die Gastrollen gut und treffend besetzt. Manuel Rubey verkörpert den Klinikchef zwar viel zu sympathisch, um ernsthaft als Verdächtiger in Frage zu kommen, aber Alex’ die romantischen Anwandlungen werden dadurch natürlich umso nachvollziehbarer. Emma Drogunova war schon in dem Kinofilm "Der Trafikant" (2018) eine treffende Besetzung für die gleichermaßen kesse wie attraktive weibliche Hauptrolle. Wie gut es den "Wilsberg"-Geschichten tut, wenn die Strukturen im Ensemble ein bisschen aufgemischt werden, hat bereits die mehrfache Mitwirkung von Janina Fautz als Springers Patentochter gezeigt.

Für große Freude sorgen neben den ausgezeichneten und sehr gern süffisanten Dialogen auch in "Minus 196 Grad" diverse Kleinigkeiten. Dazu zählt auch die Musikauswahl: Zur ersten Begegnung Overbecks mit Kira erklingt "Daddy Cool", schließlich ist der vermeintliche Vater der jungen Frau laut Klinikunterlagen sportlich, attraktiv und intelligent. Der Boney-M-Hit wird zum Leitmotiv der Beziehung und begleitet die beiden später auch bei einer fröhlichen Einkaufstour inklusive Spaßbilder im Fotoautomaten. Seine Vorliebe für Sonnenbrillen, verrät Overbeck der Kurzzeittochter, ist das Resultat seiner Bewunderung für den TV-Detektiv Magnum, weshalb ihm Chefin Springer (Rita Russek) zum traurigen Ende der Beziehung und in Anlehnung an einen beliebten Lebensrat für Prinzessinnen ins virtuelle Poesiealbum schreibt: "Sonnenbrille richten, weitermachen."

Im Anschluss zeigt Neo Episode Nummer 64, "Ins Gesicht geschrieben" (21.45 Uhr). Der Film ist dank der diversen Anspielungen ein Fest, und das nicht nur für langjährige Freunde der Reihe; Buch und Regie warten mit vielen kleinen Schmankerln auf. Die Geschichte ist auch nicht schlecht, selbst wenn Drehbuchautor Mario Sixtus sie so ähnlich schon in seinem Debütfilm "Operation Naked" erzählt hat: Ein Unternehmer hat eine App entwickelt, die dank Gesichtserkennung umgehend sämtliche digital verfügbaren Daten über eine Person preisgibt; inklusive längst vergessener Geheimnisse. Nach der Ermordung des Mannes führt die Spur ebenfalls in die Vergangenheit. "Wilsberg"-Fans werden sich darüber freuen, dass sich die Handlung in Bielefeld zuträgt, die Overbeck-Anhänger kommen ebenfalls auf ihre Kosten, und die unvermeidliche kritische Botschaft ist angenehm beiläufig verpackt. Ein rundum gelungener Krimi mit heiteren Momenten.