Große Freiheit oder Lärmbelästigung

Demonstration gegen drohende Fahrverbote
© Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa
Über 1.000 Motorradfahrer beteiligen sich an einem Fahrzeugkorso durch die Innenstadt. Sie protestieren gegen geplante Einschränkungen ihrer Sonntagstour auf dem Motorrad. Selbst Fahrverbot an Sonn- und Feiertagen sind im Gespräch.
Große Freiheit oder Lärmbelästigung
Bei möglichen Fahrverboten für Motorräder liegen die Meinungen von Pfarrern weit auseinander
Der Klang von Freiheit und Abenteuer oder schlichtweg Lärmbelästigung? Die Meinungen zu befristeten Fahrverboten für Motorräder gehen weit auseinander. Evangelische Pfarrer positionieren sich ebenso wie Innenminister Herrmann.
12.07.2020
epd
Gabriele Ingenthron

Die Motorradfahrer haben ihrem Protest noch einmal Nachdruck verliehen: Zu Tausenden kamen sie in den Großstädten zusammen, um gegen die Bundesratsinitiative zu demonstrieren. Strafen für technische Manipulationen sollen verschärft und zeitlich beschränkte Fahrverbote an Sonn- und Feiertagen ermöglicht werden. Der Bundesrat hat dazu Mitte Mai einen Beschluss vorgelegt, der auch den Lärmpegel aller neuen Motorräder pauschal auf 80 Dezibel begrenzt soll.

Bei der Arbeitsgemeinschaft Motorrad Evangelisch (AG MEV) stieß die Bundesratsinitiative auf vehemente Kritik. Sie wehrte sich gegen die "Pauschalverurteilungen" von Motorradfahrern und -fahrerinnen als Krachmacher und Störer. "Wir als Mitglieder der AG MEV genießen die Freiheit auf zwei Rädern und möchten diese Freiheit weiterhin viele Jahre lang in Anspruch nehmen dürfen", hieß es dazu in einem Positionspapier.

Selbstkritisch gestanden die Mitglieder zwar ein, dass Lärmverschmutzung ein Problem sei und Motorradfahrer ein Teil desselben. Aber sie warnten davor, alle Biker in einen Topf zu werfen, weil nicht alle Austausch-Auspuffanlagen hätten, die oft besonders laut sind. Realistische Grenzwerte bei der Benutzung öffentlicher Straßen könnten sie sich dagegen vorstellen. Individuelle Vergehen müssten auch entsprechend geahndet werden, sagte der AG-Sprecher und Pfarrer Franz Möwes (Mainburg). Straßensperrungen lehnten sie aber ab.

Das Positionspapier beinhaltet auch einen Appell an die Industrie, "sich um sinnvolle, technische Lösungen zu bemühen, die einerseits zur Verminderung von Lärm beitragen und gleichzeitig die Freude am Klang eines Motors beim Fahren erhalten". Ob die Lösung des Lärmproblems tatsächlich bei den Herstellern liegt, bezweifelte der Umweltbeauftragte der bayerischen evangelischen Landeskirche, Wolfgang Schürger. "Ich befürchte, dass sie damit einem Teil der Klientel wieder den Spaß am Motorradfahren nehmen, weil es Menschen gibt, die genau diesen Sound mögen."

Eingeschränkte Lebensqualität durch Straßenverkehrslärm

Schürger rief dazu auf, nicht die Augen vor der Realität zu verschließen: Lärm-Emissionen seien "ein ernstzunehmendes Thema", das gelte sowohl für die Lärmbelästigungen durch die Partyszene in den Innenstädten als auch im Umweltmanagement, im Arbeitsrecht und im Gesundheitsschutz. "Und von daher ist die Bundesratsinitiative erst einmal nachvollziehbar", sagte der Umweltpfarrer, der selbst regelmäßig im Alpengebiet zum Wandern gehe. "Da sind die Alpenpässe an schönen Tagen eine ganz massive Lärmquelle, das muss man ganz klar sagen."

Umfragen zufolge fühlen sich mehr als die Hälfte der Bevölkerung durch Straßenverkehrslärm gestört oder belästigt, also in ihrer Lebensqualität eingeschränkt. Dabei könnten chronische Lärmbelastungen Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Schlaganfälle verursachen, warnte das bundeseigene Robert-Koch-Institut.

###galerie|154754|Mit einem Gottesdienst zum Jesus Biker werden###

Als "Missachtung der Religionsfreiheit" hat Pfarrer Wolfgang Oertel (Kreis Kulmbach) die Initiative des Bundesrats zur Reduzierung von Motorradlärm bezeichnet. Weil es nach dieser möglich sein kann, dass Motorradfahrten an Wochenenden und Feiertagen untersagt werden, sorge er sich um die Motorradgottesdienste. Die Gottesdienste für Biker sind nach seiner Ansicht "eine ideale Möglichkeit, um die frohe Botschaft zu verkünden". Da würden Menschen erreicht, die in einen normalen Gottesdienst gar nicht gehen würden, sagte er. Umweltpfarrer Schürger hält dagegen: "Ich glaube nicht, dass der christliche Glaube so unmittelbar mit dem Motorrad verbunden ist, dass andere Formen der liturgischen Feier ohne Motorrad nicht mehr adäquat den Glauben dieser Personen zum Ausdruck bringen."

Bikerpfarrer Oertel hat in den zurückliegenden Jahren auch immer wieder anlässlich der bayernweiten Motorradsternfahrt nach Kulmbach einen Biker-Gottesdienst gehalten. Auch diese Sternfahrt mit bis zu 18.000 Teilnehmern finde an einem Wochenende statt, sagte Oertel. Die Initiative wäre auch für sie das Ende. Der Pfarrer, der eine Honda Chopper fährt, gibt außerdem zu bedenken, dass die Motorradsaison ohnehin nur auf die Monate April bis September beschränkt sei.

"Motorradlärm-Display" anschaffen

Inzwischen hat der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) pauschale Fahrverbote für Motorräder an Sonn- und Feiertagen strikt abgelehnt. "Alle Motorradfahrer über einen Kamm zu scheren ist überzogen", sagte der Minister. Das Fehlverhalten einzelner dürfe nicht zulasten aller Motorradfahrer gehen. Wirkungsvoller sei es, "gezielt die Lärmrüpel und Krawallmacher aus dem Verkehr zu ziehen". Darum habe Bayern die Forderung im Bundesrat abgelehnt, die auf einen Vorschlag des baden-württembergischen Verkehrsministers Winfried Hermann (Grüne) zurückgeht. Mit ihrem "Verbotswahn" schössen die Grünen "wieder einmal meilenweit über das Ziel hinaus", kritisierte Herrmann, "der selbst gern mit dem Motorrad durch bayerische Regionen cruist", wie es in der Mitteilung seines Ministeriums hieß.

Erfolg verspricht sich der Minister auch durch ein Pilotprojekt mit einem "Motorradlärm-Display", die in einer niederbayerischen Gemeinde zu einer erheblichen Lärmreduzierung geführt hat. Seit 2018 können sich Gemeinden solche Displays beschaffen, die den Lärm einzelner Verkehrsteilnehmer messen und bei Überschreiten der Lärmschwelle die Botschaft "Leiser" anzeigen. In der betroffenen Gemeinde St. Englmar habe sich die wahrgenommene Lautstärke so um rund ein Drittel verringert.