Ökumenischer Kirchentag: Was ist wirklich möglich?

3. Ökumenischer Kirchentag
© 3. Ökumenischer Kirchentag
Kampagnen-Motiv zum 3. Ökumenischen Kirchentag 2021 in Frankfurt.
Ökumenischer Kirchentag: Was ist wirklich möglich?
Ein Gespräch mit der Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages, Julia Helmke
Trotz der Corona-Pandemie soll der Ökumenische Kirchentag im Mai 2021 in Frankfurt stattfinden. Geplant wird eine Sonder-Edition mit mehr Internet-Angeboten. Inhaltlich geraten Themen in den Blick, die durch die Corona-Krise aufgeworfen wurden: Verschwörungstheorien, Menschenwürde, Ökologie und Geschlechtergerechtigkeit. Unsere Autorin Anne Kampf sprach mit der Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages, Julia Helmke.

Das Leitwort „schaut hin“ ist auf den Plakaten bewusst unscharf. Sehen Sie denn jetzt scharf, ob der Ökumenische Kirchentag ÖKT 2021 in Frankfurt angesichts der Corona-Pandemie überhaupt stattfinden kann?

Julia Helmke: Wir sehen scharf, dass er stattfinden soll und wir prüfen gerade, wie er aussehen kann. Das ist jetzt elf Monate vor Veranstaltungsbeginn noch etwas unscharf. Wir sind aber mit allen Kräften dabei, das möglichst schnell scharf zu stellen, so dass dann der 3. ÖKT als eine Art Sonder-Edition unter Corona-Bedingungen eine Schärfe hat, die möglichst viele Menschen anzieht, nach Frankfurt zu kommen. Ich bin fester Zuversicht, dass sich bis Mai 2021 auch noch einiges verändern wird. Wir haben kompetente Fachleute in unserem Team, die jetzt überlegen, wie unser Event sicher, gut und mit seinem unverwechselbaren Charakter möglich gemacht werden kann.

In der Leitwortgeschichte aus dem Markusevangelium (Markus 6,30-44) sollen die Jünger viele Menschen mit nur fünf Broten und zwei Fischen versorgen. Ihr katholischer Kollege Marc Frings sagte, die Jünger würden „aufgefordert, die Inventur neu zu lesen und nochmal neu zu bewerten: Was ist wirklich möglich? Und dann kommt eine neue Handlungsanweisung“. Vergleichen wir mal das ÖKT-Team mit den Jüngern: Was ist jetzt die neue Handlungsanweisung für das Team? 

Julia Helmke: Eine besondere Handlungsanweisung ist nun, dass wir für voraussichtlich weniger Menschen vor Ort planen, andererseits Menschen aber digital beteiligt werden wollen. Das ist eine Herausforderung, der wir uns gerne stellen. Ich glaube, in unserer Zeit, in der ja gerade alle von Hybridität sprechen, wird der Ökumenische Kirchentag diesbezüglich in positiver Hinsicht hoffentlich eine Art Experimentierlabor.

Welche Themen geraten durch die Corona-Pandemie jetzt neu oder schärfer in den Blick?

Julia Helmke: Das eine ist, zukünftige Formen von Kirche zu reflektieren, erfahrbar zu machen und weiter voranzutreiben. Da ist ja in den vergangenen Monaten Erstaunliches ausprobiert und auch erreicht worden, wir sehen das fast als Kairos in dieser Zeit. Dann gibt es im Hauptthemenbereich „Zusammenleben“ das Forum „Zivilcourage“, wo wir das Stichwort „Verschwörungstheorien“ aufnehmen und reflektieren: Wie wirken die sich aus? Welche Ängste kommen da vor? Wie wird da Demokratie neu infrage gestellt? In der Podienreihe „Der perfekte Mensch“ greifen die wir Verletzlichkeit des Menschen auf, die angesichts der Pandemie wieder neu ins Blickfeld rückt. Es kam ja etwa die Frage auf: Für wen lohnt sich eine Behandlung noch? In Bezug auf die Würde älterer Menschen und die Würde derer, die in gesundheitlicher Hinsicht scheinbar nicht perfekt sind, wollen wir das christliche Menschenbild mit den naturwissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Positionen ins Gespräch bringen. Wir haben außerdem einen Thementag „Care-Gerechtigkeit“, und das ist, glaube ich, angesichts der Situation der Pflegenden in den letzten Monaten ein großes zentrales Thema.

"Ist die Corona-Krise jetzt wirklich eine Chance, neu zu denken, neu zu handeln und nicht wieder in alte Muster zu verfallen?"

Eine andere große Frage ist: Wie gestalten wir eine sozial-ökologische Zukunft? Wollen wir so weitermachen wie vorher? Oder ist die Corona-Krise jetzt wirklich eine Chance, neu zu denken, neu zu handeln und nicht wieder in alte Muster zu verfallen, von denen eigentlich schon klar war, dass die nicht lebensförderlich sind. Daneben gibt es natürlich auch klassische Zentren wie zum Beispiel das „Zentrum Geschlechtergerechtigkeit“, wo die Diskussion aufgenommen werden kann, warum es meist doch wieder die Frauen sind, die die Hauptlast der familiären Zusatzbelastung schultern müssen. Fallen wir in alte Muster zurück oder gibt es neue Ansätze?

Bei den neuen Formen von Kirche möchte ich nochmal nachhaken. Können Sie ein Beispiel nennen, was damit gemeint ist?

Julia Helmke: Momentan wird ja überall ausprobiert, wie Kirche digital gestaltet werden kann, aber nicht nur, indem man einen Gottesdienst abfilmt, sondern ganz besonders, wie man Partizipation unter Corona-Bedingungen ermöglicht, wie man Menschen einbezieht. Vielleicht begleitet uns auch die Frage nach Formen für ein digitales Abendmahl noch bis ins nächste Jahr. Wieviel Materialität braucht denn unser Glaube? Wie kann ohne körperliche Nähe eine geistliche Präsenz erlebbar werden?

Die Spannung von digitalem Feiern und realem Zusammensein wird ja auch durch die Leitwortgeschichte aus Markus 6 nochmal interessant. Da heißt es: „Und sie setzten sich in Gruppen zu hundert und zu fünfzig.“ Nicht auszudenken, wie sich das Virus verbreiten kann, wenn sich so große Gruppen zum Picknick zusammensetzen! Wird eine große Mahlgemeinschaft beim ÖKT wohl möglich sein?

Julia Helmke: Das sind für mich zwei Fragen. Zum einen ist ganz klar: Wir wollen unserer Verantwortung als Veranstalter gerecht werden und größtmögliche Sicherheit bieten. Das ist die Leitschnur, und unter dieser Notwendigkeit – mit dann gebotenem Abstand und Hygieneschutz – planen wir den Ökumenischen Kirchentag. Zugleich wissen wir aber auch, dass wir einer Einladung zum Mahl, bei dem Christus sich selbst gibt und zu dem Christus uns einlädt, auch unabhängig von Raum und Zeit Folge leisten können. In der aktuellen Situation sind wir aufgerufen, entsprechend neue Formen und Ideen zu entwickeln, begleitet und geleitet vom Heiligen Geist. Das ist noch nicht alles ganz scharf gestellt, aber das wird sich entwickeln. Und ich muss sagen, ich freue mich auf die Ergebnisse!

Für Gottesdienste und Mahlgemeinschaften kann ich mir vorstellen, dass es kreative Lösungen gibt. Aber was ist mit den Gemeinschaftsunterkünften?

"Es wird ein Ökumenischer Kirchentag unter Corona-Bedingungen sein, eine Sonder-Edition. Das heißt, es wird vielleicht auch angepasste  Übernachtungsangebote geben."

Julia Helmke: Da blicken wir interessiert auf andere Großveranstaltungen, sind mit anderen Veranstaltern im Gespräch und lernen voneinander. Im Hinblick auf die Gemeinschaftsunterkünfte sind wir dabei, mit den Behörden zu prüfen, was möglich sein wird. Da kann ich jetzt noch nicht genau sagen, wie das konkret aussehen wird. Es wird ein Ökumenischer Kirchentag unter Corona-Bedingungen sein, eine Sonder-Edition. Das heißt, es wird vielleicht auch angepasste  Übernachtungsangebote geben.

In der biblischen Geschichte vertraut Jesus in die Fähigkeiten der Jünger, mit ihren wenigen Ressourcen etwas Unmögliches zu schaffen. Spüren Sie auch solches Vertrauen, das in Sie gelegt ist?

Julia Helmke: In jedem Fall, sonst würden wir das gemeinsam nicht wagen. Es ist, glaube ich, ganz wichtig, dass niemand von uns das alles allein schultern muss. Wir arbeiten als Gemeinschaft, allen voran die Menschen, die den ÖKT hauptamtlich in der Geschäftsstelle in Frankfurt und in den Mutterhäusern des ZdK (Zentralkomitee der deutschen Katholiken) in Bonn und des Evangelischen Kirchentages in Fulda vorbereiten. Und ich will da nochmal erwähnen, dass wir bei dieser dritten Ausgabe eines Ökumenischen Kirchentages ja auch ein Hauptaugenmerk auf die multilaterale Ökumene legen wollen, also auch mit der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) in gutem Gespräch sind. Zuversicht und Vertrauen sind da. Und natürlich gibt es auch manches Ringen und manche Sorgen, aber das, finde ich, gehört dazu. Wir tragen alles miteinander und unser Leitwort aus Markus 6,38 dient dabei als Orientierung. „Schaut hin“ heißt für uns auch: „Schaut hin, was möglich ist“. Wir wollen uns, auch im Hinblick auf die Corona-Auswirkungen, nicht mit dem aufhalten, was alles nicht möglich ist, sondern in den Blick nehmen, was möglich ist – ohne naiv und blind zu sein, sondern mit wachen Augen und Ohren und offenem Herzen.