TV-Tipp: "Deutscher" (ZDF Neo)

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TV-Tipp: "Deutscher" (ZDF Neo)
28.4., ZDF Neo, 20.15 Uhr
Der Titel dieser vierteiligen Serie ist clever, der Handlungsansatz ist nicht verkehrt; aber was dann draus geworden ist, entspricht über weite Strecken gut gemeintem öffentlich-rechtlichem Belehrungsfernsehen.

Stefan Rogall, Autor einer Vielzahl meist sehenswerter Episoden für Krimireihen wie "Wilsberg" oder "Marie Brand", erzählt in "Deutscher" von zwei benachbarten Familien aus unterschiedlichen kleinstädtischen Bildungsmilieus: im roten Haus Eva und Christoph Schneider (Meike Droste, Felix Knopp), im blauen Ulrike und Frank Pielcke (Milena Dreißig, Thorsten Merten). Beide haben gleichaltrige Söhne, deren Freundschaft nach Ansicht von Christoph allein aus der zufälligen Nähe resultiert, denn ohne die Nachbarschaft hätten sich ihre Lebenswege vermutlich nie gekreuzt: Christoph ist Lehrer, Frank Installateur; Eva arbeitet in einer Apotheke, Ulrike ist Hausfrau. Die Serie beginnt an einem Wahlabend: Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik stellt eine rechtspopulistische Partei die Mehrheit im Bundestag. Die Schneiders sind schockiert, was sich in typischen "Lindenstraße"-Dialogen äußert; Frank freut sich, dass nun andere Zeiten anbrechen.

Damit ist das Vorzeichen der im Auftrag der Redaktion Das kleine Fernsehspiel entstandenen Serie gesetzt. Ihre Botschaft: Die Hoffnung, der rechte Spuk werde irgendwann von selbst wieder verschwinden, führt geradewegs ins Verderben. Sind die Nationalisten erst mal an der Macht, werden Mitbürger mit Migrationshintergrund zum Freiwild. Deshalb reiht Rogall, der laut Pressematerial gerade "keine Schwarzweiß-Zeichnung" anfertigen wollte, weitgehend ironiefrei eine zugespitzte Zeigefingerszene an die nächste. Kurze Wortwechsel der Nachbarn bestehen mit Vorliebe aus Schlagwörtern und Politparolen. Auch bei der Arbeit werden die Schneiders mit dem neuen Wind konfrontiert. Ein in seiner Eindimensionalität eher lächerlich als bedrohlich wirkender Lehrer (Christian Hockenbrink), der mit einer muslimischen Revolution rechnet und von der "sogenannten freien Presse" faselt, fordert eigene Klassen für Kinder aus islamischen Familien und findet dafür im Kollegium schließlich sogar eine Mehrheit. Christophs kritische Haltung gilt nun als "politisch bedenklich". Derweil weigert sich Evas Chefin (Jule Gartzke), den Vertrag von Burak (Atheer Adel), einem Freund der Schneiders, zu verlängern, weil er sich gegen die diskriminierenden Sprüche einer Kundin gewehrt hat. Die alte Frau hält sich für "echter deutsch" als die gleichfalls hier geborenen Kinder von Einwanderern; aus Solidarität kündigt Eva ihren Job. Zuvor ist Burak nach einem harmlosen Auffahrunfall von den Insassen des anderen Autos zusammengeschlagen und schwer verletzt worden. Weil sich Marvin Pielcke (Johannes Geller) mit Olaf (Junis Marlon), dem neuen dumpfen Lehrling seines Vaters, anfreundet, und David Schneider (Paul Sundheim) immer mehr Zeit mit der schönen Cansu (Lara Aylin Winkler) verbringt, bröckelt die Beziehung der beiden Söhne. Als der Imbiss ihres Vaters abgefackelt wird, vermutet das Mädchen, dass Olafs Clique dahintersteckt.

So gut einerseits Rogalls Ansatz ist, das Große im Kleinen zu erzählen, so erinnert "Deutscher" in der Schlichtheit vieler Charaktere und der Verwendung nahezu aller Klischees, die einem zu diesem Thema einfallen (natürlich fährt die Lehrerfamilie Volvo), an eine jener Serien, wie sie von Zeit zu Zeit für den Kika entstehen (zum Beispiel "Dschermeni", 2017); aber selbst im Kinderprogramm funktionieren solche holzschnittartigen Figuren nicht. Gerade in der ersten Folge wirken zudem sogar die erwachsenen Darsteller seltsam steif, als agierten sie wie in einem Korsett. Das bessert sich immerhin ab Folge zwei: Die Pielckes emanzipieren sich nach und nach vom Stereotyp, die Schneiders legen ihren Dünkel ab: Als die ungeplant schwanger gewordene Eva plötzlich Blutungen bekommt, ist Ulrike zur Stelle. Als Marvin nicht nach Hause kommt, machen sich beide Elternpaare Sorgen. Gegen Ende, als alle gemeinsam nach der verschwundenen Cansu suchen, sorgt eine Tragödie dafür, dass die Familien noch enger zusammenrücken.

Die Schauspieler sind ohnehin treffend besetzt, die drei jungen Darsteller halten sich neben den erfahrenen Kollegen ausgezeichnet. Es wäre keine Überraschung, wenn Lara Aylin Winklers demnächst eine Rolle in einem ZDF-Sonntagsfilm bekäme. Die Inszenierung bleibt allerdings durchgehend schlicht (Folge 1 und 2: Simon Ostermann, 3 und 4: Sophie Linnenbaum, beide haben bislang nur Kurzfilm- und Webclip-Erfahrung). Zeitgemäß sind allein die vielen eingespielten Pop- und Rapsongs, aber auch sie können nicht verhindern, dass "Deutscher" über weite Strecken eine freundlose Angelegenheit ist. Im Unterschied zur ersten Folge, die sich deutlich länger anfühlt als 42 Minuten, sind die weiteren Episoden immerhin vergleichsweise kurzweilig. Trotzdem hat Rogall das Potenzial der Serie, fesselnd und nachvollziehbar von Missständen und Tendenzen in diesem Land zu erzählen, bei weitem nicht ausgeschöpft. Tatsächlich ist "Deutscher" immer dann am besten, wenn es vordergründig gar nicht um Politik geht. Viel wirkungsvoller als die ausgesprochenen Wahrheiten sind lakonische Hinweise wie die Ankündigung, anstelle des abgebrannten Imbisses werde demnächst ein "Schnitzelparadies" eröffnen. Und als es was zu feiern gibt,  will Frank, der gern auch mal von "Kanaken" und "Ölaugen" spricht, mit Ulrike essen gehen: "Italiener oder Grieche?" Neo zeigt "Deutscher" heute und morgen in Doppelfolgen.