TV-Tipp: "37 Grad: Wenn der Osten ruft" (ZDF)

Alter Fernseher vor einer Wand
Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "37 Grad: Wenn der Osten ruft" (ZDF)
14.1., ZDF, 22.15 Uhr
Was ist Heimat? Glaubt man den Liebesgeschichten, die das ZDF sonntags um 20.15 Uhr zeigt, ist Heimat dort, wo das Herz wohnt. Die meisten Menschen würden vermutlich ähnlich antworten: Heimat ist da, wo ich mich wohl fühle. Trotzdem verbinden viele mit diesem Gefühl die Gegend, in der sie ihre Kindheit verbracht haben; und davon handelt diese Reportage.

Der Titel ist daher zwar nicht falsch, aber auch nicht ganz korrekt; im Grunde müsste Broka Hermanns Film "Wenn die Heimat ruft" heißen. Aber natürlich gelten besondere Umstände, wenn die Heimat im Osten liegt, schließlich hat seit der Wiedervereinigung ein Viertel der Bevölkerung dieser Heimat den Rücken gekehrt; die einen, weil sie einfach weg wollten, aber viele (und womöglich die Mehrheit) sicherlich auch, weil es daheim keine Arbeit gab. Mittlerweile hat sich der Trend umgekehrt: Es gibt mehr Rückkehrer als Auswanderer; und einige von ihnen hat Hermann über längere Zeit begleitet.

Es handelt sich bei den Protagonisten allerdings keineswegs um Rentner, die – wie einst viele der sogenannten Gastarbeiter – nach getaner Arbeit in ihre alte Heimat zurückkehren, sondern um vergleichsweise junge Menschen, die zum Teil kleine Kinder haben und sich neue Existenzen aufbauen wollen. Die Auswahl ist recht geschickt: eine Familie, die zuletzt in Zürich gelebt hat und nun ein 300 Jahre altes Pfarrhaus an der Havel renovieren will; ein erfolgreicher Betriebswirtschaftler, der 13 Jahre im Schwarzwald gelebt hat und nun nach der Scheidung Anschluss sucht; sowie ein Paar aus Berlin, bei dem vor allem die Frau neue Wurzeln in ihrer alten Heimat, der Lausitz, schlägt. Ihr Mann ist Belgier, hat sein Büro für IT-Entwicklung weiter in Berlin und in dem 700-Seelendorf schon den Satz gehört, zum Glück komme er nicht aus dem Westen.

Da positives Denken gewissermaßen Teil der DNS von "37 Grad" ist, hätte die Reportage eine unkritische Lobeshymne werden können: zum Beispiel auf den Mut der Rückkehrer; oder auf die offenen Arme, mit denen sie empfangen werden. Hermann macht jedoch keinen Hehl daraus, dass die Heimkehr nicht komplett reibungslos abläuft. Das Pfarrhauspaar Barbara und Florian zum Beispiel hat Probleme, Handwerker zu finden, vor allem gute; Barbara spricht von "Blut, Schweiß und Tränen". Beide mussten zudem erst mal lernen, dass die Behörden hier etwas anders ticken. Florian war in Zürich ein renommierter Architekt; im Osten, so sein Gefühl, ist man zumindest auf dem Land bislang auch ganz gut ohne diesen Berufsstand ausgekommen. Martin, der Betriebswirt, ist in seiner neuen alten Heimat zunächst recht einsam. Im Sonntagsfilm laufen Rückkehrer regelmäßig prompt ihrer Jugendliebe über den Weg und verlieben sich aufs Neue, aber Martins Freunde und Bekannte aus Jugendjahren sind alle weggezogen; wie er ja auch. Eine Zeitlang fühlt er sich "zwischen zwei Welten". Mit Hilfe der Kirchengemeinde findet er Anschluss und übers Internet schließlich auch eine neue Liebe. Juristin Karla, die Frau des IT-Entwicklers, geht die Probleme ohnehin frontal an, engagiert sich und ist sogar in den Gemeinderat gewählt worden.

Hermanns Tonfall ist ohnehin wohltuend sachlich. Bei "37 Grad" wird’s gern gefühlig, und das Thema Heimat ist natürlich wie geschaffen für Emotionen. Tatsächlich fließen auch mal Tränen: Als Martin mit seiner neuen Freundin in den Schwarzwald reist und die Eltern versichern, dass sie dreißig Jahre nach ihrem Exodus als Rentner wieder heimkehren werden, muss die Mutter plötzlich weinen; aber es ist kein Moment der Trauer, weshalb die Anwesenheit der Kamera (und damit der Zuschauer) auch nicht indiskret wirkt. Darüber hinaus weist "Wenn der Osten ruft" ähnlich wie vergleichbare Reportagen über das neue Leben in den alten ostdeutschen Dörfern vor allem auf Vorzüge hin: Karla war ganz begeistert, dass Kita-Plätze kein Problem sind. Außerdem werde man als Mutter anders als im Westen auch nicht schief angeschaut, wenn man sein Kind in die Obhut von Erzieherinnen gebe.

Die Schattenseiten grenzt Hermann allerdings ebenfalls nicht aus, und das bezieht sich nicht nur auf den ausgedünnten öffentlichen Nahverkehr. Interessanterweise sind es nicht die Protagonisten, die über Rechtsextremismus sprechen, sondern ein Kameramann, der ein Crowdfunding-Video über Karla dreht. Martin formuliert zudem kluge Einschätzungen über das Seelenleben der ostdeutschen Arbeitnehmer. Und schließlich sorgen interessante biografische Details der Protagonisten dafür, dass die Reportage für ihre Kürze von gut 25 Minuten ziemlich komplex wirkt.