Das Schweigen des Bischofs und die Spaltung der Kirche

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© Lena Gerlach
Das Schweigen des Bischofs und die Spaltung der Kirche
Landesbischof Carsten Rentzing sagt, er schäme sich für seine Texte von vor 30 Jahren, und stellt sein Amt zur Verfügung. Aber der schweigende Rücktritt verhindert eine echte Aufarbeitung und gefährdet die Einheit der Landeskirche, die er als Bischof immer wieder betont hat.

Am vergangenen Freitag hat der Landesbischof der Sächsischen Landeskirche, Carsten Rentzing, seinen Rücktritt erklärt. Warum der Bischof seinen Rücktritt anbot, war dann am Samstag bei tagessschau.de, in der "Sächsischen Zeitung" und im Magazin "Die Eule" zu lesen. Carsten Rentzing hat zu Studienzeiten als Redakteur und Mitherausgeber an der neurechten Zeitschrift "fragmente" mitgewirkt. Er hat dort, wie Arnd Henze auf tagesschau.de zeigt, Texte verfasst, die in einer Erklärung des Landeskirchenamts vom Sonntag "als elitär, in Teilen nationalistisch und demokratiefeindlich" eingestuft werden.

Im Gespräch mit der Kirchenleitung habe Rentzing am Freitag bekannt, "diese Zeit in seinem Leben und diese Texte verdrängt" zu haben, auch habe er "großes Unverständnis und Scham über das, was er damals geschrieben hat" geäußert. Man halte die Distanzierung darum "in Anbetracht seiner Arbeit in unserer Landeskirche für glaubwürdig".

Auch ich glaube dem Landesbischof, dass er sich für die Texte schämt. Zu den weiteren Umständen seines damaligen Engagements und vor allem zur Frage, warum er darüber so lange geschwiegen hat, obwohl doch seit Wochen über seine Vergangenheit diskutiert wird, schweigt sich Carsten Rentzing weiter aus. Das gilt auch für die persönliche Nähe zu Akteuren von damals – insbesondere zu Wolfgang Fenske, dem heutigem Leiter der "Bibliothek des Konservatismus" und damaligen "fragmente"-Redaktionskollegen.

Fenske hatte Rentzing, damals Pfarrer und Vizepräsident der VELKD-Generalsynode, im Jahr 2013 zu einem Vortrag in die Bibliothek eingeladen. Im Mai 2011 rezensierte er ein Buch Wolfgang Fenskes in der Theologischen Literaturzeitung (Evangelisches Verlagshaus Leipzig). Die fortgesetzte Bekanntschaft mit Fenske, einem Multifunktionär der Neuen Rechten, ist erklärungsbedürftig.

Carsten Rentzing ist kein Paulus

Weit über die Sächsische Landeskirche hinaus ist ein Deutungskampf um den Rücktritt des Landesbischofs entbrannt. Evangelikale und konservative Akteure aus den evangelischen Kirchen vergleichen Carsten Rentzing mit Paulus. Dieser habe vor seiner Bekehrung sogar die Christengemeinde verfolgt und wäre trotzdem Apostel geworden.

Der Vergleich ist schief, wenn auch ein starker Glaube an die Kraft der Vergebung aus ihm spricht. Dieser ist den verletzten Unterstützern und Wegbegleitern Rentzings hoch anzurechnen. Aber der Apostel Paulus hat sich bekehrt, hat um Vergebung gebeten. Er beginnt fast jeden seiner Briefe mit einer Erinnerung an seine außergewöhnliche Geschichte mit dem Auferstandenen. Paulus bezieht seine Glaubwürdigkeit als Apostel aus seinem Erleben der Gnade Gottes. Weil er Vergebung erfahren hat, verkündigt er den Gekreuzigten und Auferstandenen besonders tatkräftig.

Carsten Rentzing hat sich noch nicht öffentlich erklärt. Er hat auch nicht um Verzeihung oder Vergebung gebeten. Er hat die Mitglieder seiner Kirche aufgerufen, aufeinander zuzugehen. Nicht, sich gegenseitig mit Schuldvorwürfen einzudecken. Wann genau sich Bischof Rentzing von seinem neurechten Denken gelöst hat, so dass er als Bischof vor Nationalismus und Demokratiefeindschaft warnen konnte, bleibt vorerst offen.

Aus seinen "fragmente"-Texten, die dem Autor dieses Artikels vorliegen, geht jedenfalls hervor, dass Carsten Rentzing nicht durch eine Bekehrung zum Glauben Distanz zur rechten Ideologie gewann, wie mehrere seiner Stellungnahmen aus der jüngeren Vergangenheit nahelegten. Seine "fragmente"-Texte zeugen vielmehr davon, dass Carsten Rentzing sich auch damals als Christ verstand. Gleichwohl als Vertreter eines neurechten Christentums, das politisches Handeln metaphysisch auflädt und sich in einem Kampf am Ende der Zeiten wähnt ("Untergang des Abendlandes").  

Der Bischof hat vor 30 Jahren geschrieben und geglaubt, was heute insbesondere jene "neuen" rechten Christen glauben, die sein Schweigen ausnutzen, um ihn als Märtyrergestalt für ihre Agenda einzuspannen – auch wenn sich der Landesbischof heute für die Texte schämt. Sie treiben damit gegen den ausdrücklichen Wunsch des Bischofs die Spaltung nicht nur der sächsischen Landeskirche voran.