TV-Tipp: "Wir sind die Rosinskis" (WDR)

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TV-Tipp: "Wir sind die Rosinskis" (WDR)
25.5., WDR, 20.15 Uhr
Ursprünglich war "Wir sind die Rosinskis" ein Serienprojekt mit dem Arbeitstitel "Peggy - Das Leben ist kein Ponyhof". Dann ist aus dem Stoff bloß ein Film geworden, aber der hat es in sich. Ein Knüller ist schon allein die Besetzung der drei Thalbach-Frauen: Katharina als Großmutter, Anna als ihre Tochter Peggy mit Achtzigerjahre-Nena-Frisur und Nellie in ihrer ersten Hauptrolle als Peggys Tochter Angelique. Die drei Rosinskis sind vom Schicksal nicht gerade mit Glück überhäuft worden, aber sie haben ein großes Herz; auch wenn Oma Angelika stets erst mal an sich selber denkt.

Schon die Konstellation ist klasse, zumal Nellie Thalbach beweist, dass sie das Zeug hat, ihren diversen prominenten Verwandten erfolgreich nachzueifern. Mutig und nicht ohne Risiko ist jedoch die Idee, die Sozialkomödie "Wir sind die Rosinkis" derart zu überzeichnen, dass der Film fast zur Parodie gerät. Endgültig respektabel wird das Projekt, weil ein Neuling Regie führt: David Gruschka gibt die Figuren seines Langfilmdebüts nie der Lächerlichkeit preis, obwohl sich dafür eine Menge Anlässe bieten.

Den Filmtitel muss man gleichzeitig als Schlachtruf, Durchhalteparole und Ausdruck der Empörung verstehen; eigentlich gehörte noch ein Ausrufezeichen dazu. Getreu dem Motto "Pack schlägt sich, Pack verträgt" liegen sich die Familienmitglieder ständig in den Haaren, woran meist Oma Angelika schuld ist, aber wenn es hart auf hart kommt, halten sie zusammen wie Pech und Schwefel. Das ist auch nötig, denn viel weiter nach unten geht es nicht mehr: Peggy wohnt mit dem liebenswerten Verlierer Torben (Milan Peschel) und drei Kindern von drei verschiedenen Vätern in einer Bruchbude in Frankfurt an der Oder. Mit ihrem Job bei einer Reinigung hält sie alle über Wasser. Torben hat sein Dasein der Vernichtung von Dosenbier gewidmet, Angelique träumt von einem eigenen Kosmetikstudio, die 15jährige Michelle (Emma Bading) will Boxerin werden. Nur der kleine Finn (Tilman Döbler) fällt als Intelligenzbestie aus dem Rahmen, aber auch er hat einen Traum: Seit Peggy ihm von Ozeanien erzählt hat, wo es immer warmes Wasser gibt, ist Ozeanien ähnlich wie Panama in Janoschs Kinderbuch "Oh, wie schön ist Panama" sein Sehnsuchtsort geworden. Auf das warme Wasser ist Peggy gekommen, weil ein fieser Sachbearbeiter vom Jobcenter (Daniel Krauss) jede Gelegenheit nutzt, um sie zu demütigen, und nun dafür gesorgt hat, dass den Rosinskis der Strom abgestellt worden ist. Ozeanien erklärt sich durch einen Kinderbademantel aus dem Luxushotel "Ozean", den sie in der Reinigung geklaut hat, weshalb sie später den Job verliert.

Eine stringente Geschichte von A über B nach C erzählt das Drehbuch (Anika Soisson, Johannes Rotter) eher nicht, auch wenn die Handlung darauf hinausläuft, dass Ozeanien ähnlich wie Panama das eigene Zuhause ist. Dennoch wirkt der Film wie aus einem Guss, weil es Gruschka gelingt, die vielen kleinen Episoden zu einem Handlungsfluss zu vereinigen. Abgesehen davon ist es ein großes Vergnügen, den drei Thalbach-Frauen zuzuschauen, und selbstredend passt Milan Peschel in dieses Milieu wie die Faust aufs Auge; auch Emma Bading spielt vorzüglich. Das Quintett erfüllt alle Voraussetzungen einer echten Prollfamilie und schafft es trotzdem, liebenswert zu sein.

Für die Klischees sorgt vor allem das Drumherum. Einschusslöcher im Küchenboden erinnern an eine Party, die etwas aus dem Ruder gelaufen ist, das Obergeschoss ist irgendwann ausgebrannt und nie repariert worden, und allein vom Pfand für die überbordende Menge an Leergut könnte Torben vermutlich Alkohol für eine Woche kaufen. Die Figuren selbst sind eigentlich ganz normal, sieht man davon ab, dass Angelika mit dunkler Sonnenbrille, Ledermantel und Cowboystiefeln zum weiblichen Gangsterboss ausstaffiert worden ist. Worin genau ihre Delikte bestehen, bleibt offen, aber als sie Torben dazu überredet, Traktoren zu klauen und über die Grenze zu schaffen, bekommt sie einen Riesenärger mit Peggy, die nichts mehr mit ihr zu tun haben will. Irgendwann, prophezeit Angelika, werde sie schon angekrochen kommen, weil sie Geld brauche. "Wetten nicht?", entgegnet die Tochter; "Wetten doch?" gibt die Mutter zurück, und das geht eine ganze Weile so hin und her, bis Torben dem Spuk ein Ende macht. Während Peggy stur bleibt, obwohl mittlerweile auch die Zwangsräumung droht, lassen sich die anderen von Oma kaufen: Torben erhält einen ausrangierten Polizei-VW-Bus, Angelique und ihr Freund Devid (Vincent Krüger) bekommen eine Wohnung in einem Plattenbau, wo sich Michelle, die zwischenzeitlich rausgefunden hat, dass Torben nicht ihr Erzeuger ist, gleich mal mit einem Dutzend Neonazis anlegt. Peggy hat sich derweil einer anderen Geldquelle besonnen: Maik, der Vater von Michelle, sitzt wegen Raubüberfalls seit vielen Jahren im Gefängnis; die Beute ist nie aufgetaucht.

Die Leistung des Ensembles, in dem Peschel dank seiner Miniaturen aus komischer Verzweiflung der Thalbach-Frauenpower erfolgreich Paroli bietet, ist schon wunderbar, aber die Verantwortlichen haben selbst kleinste Nebenrollen liebevoll besetzt. Den Knacki zum Beispiel spielt David Bredin, dessen Beförderung zum Hauptdarsteller schon lange überfällig ist. Finn, der ins Luxushotel "Ozean" geflüchtet ist, trifft dort auf einen Libanesen, den Kida Khodr Ramadan verkörpert; André Hennicke hat einen kurzen Auftritt als Michelles Boxtrainer. Die gleiche Liebe zum Detail prägt auch die Umsetzung vieler von Gruschka souverän und beiläufig inszenierter komischer Momente: Während die Frauen miteinander reden, scheitert Torben im Hintergrund sehr lustig an der Herausforderung, einen Grill aufzubauen, der kurz drauf auch noch explodiert.

Diese Form von Understatement, die Gruschka auch in einer ebenso lakonischen wie beredten Sexszene im Maisfeld beherzigt, ist ein reizvoller Kontrast zur mitunter plakativen Situationskomik. Die Musik ist ebenfalls gut ausgewählt und meist subtiler eingesetzt als bei der Prügelei zwischen Michelle und der Nazi-Anführerin, zu der "Schrei nach Liebe" ertönt, der Anti-Neonazi-Song von den Ärzten. Und so würde "Wir sind die Rosinskis" womöglich nicht nur wegen Leinwandstar Peschel auch im Kino funktionieren; schon die Gestaltung des Vorspanns legt nahe, dass die Verantwortlichen das womöglich auch so gesehen haben. Die drei Thalbachs sind ohnehin sehenswert. Nellie, die ihre Angelique als Tussi mit waffenscheinpflichtigem Hüftschwung verkörpert, sieht exakt so aus wie ihre Mutter im gleichen Alter; und Anna Thalbachs Augen haben noch nie so blau gestrahlt wie in diesem Film. Das Verblüffendste an "Wir sind die Rosinkis" ist jedoch Gruschkas Kunststück, selbst uralte Gags witzig wirken zu lassen ("Zwei Martinis." - "Dry?" - "Nein, zwei!". Zum Ausgleich gibt es andere Kalauer, die erst auf den zweiten Blick wirken, etwa den Imbissbudennamen "Karl Mag’s".