Eine Pfarrerin protestiert vor ihrer Kirche

Wahlplakat der NPD
© epd-bild/Steffen Schellhorn
In mehreren Bundesländern wirbt die rechtsextreme Partei um Wählerstimmen mit dem Bild des Kirchenreformators Martin Luther, wie hier neben der Dorfkirche in Pißdorf im Landkreis Anhalt Bitterfeld.
Eine Pfarrerin protestiert vor ihrer Kirche
Ende Mai waren Wahlen in Europa und in Brandenburg. Vor Pfarrerin Judith Kierschkes Haustür hing ein Wahlplakat der NPD mit Luthers Konterfei. Das wollte sie nicht dulden - und wurde dafür von den Rechtsextremen angezeigt.

Warum mir das 2019 wichtig war - Stefanie Spitzer, Social Media-Redakteurin bei evangelisch.de: Diese Meldung war eines meiner definitiven Highlights des Jahres. Eine Pfarrerin setzt sich beherzt für ihre Gemeinde und gegen Rechtsextreme ein. Sie tut das, was sie für richtig hält, auch wenn das Konsequenzen für sie hat. Eigentlich brauchen wir mehr solcher Menschen, die laut werden, wenn Symbole unseres christlichen Glaubens zu Propagandazwecken umgedeutet werden. Menschen, die entschieden gegen Hass eintreten.

Dieser Beitrag wurde bereits am 25.5.2019 veröffentlicht.

Am 28. April 2019 stieg Judith Kierschke auf eine Leiter, in der Hand einen Stift und im Kopf eine Fassungslosigkeit über das, was da knapp zwei Meter über ihr an einem Laternenpfahl hing. Was sie dann machte, nennt die Pfarrerin in Storkow "eine Richtigstellung". Die rechtsextreme NPD in Brandenburg nennt es "beschmieren", hat eine Anzeige bei der Polizei gestellt und eine Pressemitteilung herausgegeben.

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Das Plakat mit Martin Luthers Konterfei direkt vor dem Eingang des evangelischen Gemeindehauses aufzuhängen, "war natürlich eine Provokation der NPD", sagt Kierschke. Auf dem Plakat die Worte "Ich würde NPD wählen. Ich könnte nicht anders", so, als ob Luther sie sagen würde. An diesem Plakat muss sie vorbei, wenn sie in ihre Wohnung möchte. An diesem Plakat müssen die Kinder und ihre Eltern vorbei, die die evangelische Kita besuchen. Und gleich gegenüber steht die alte Kirche.

Pfarrerin Judith Kierschke zog 2014 von Berlin ins beschauliche Storkow.

Am 26. Mai 2019 wählen die Bürger nicht nur die Abgeordneten des Europaparlaments, sondern auch die Stadt- und Kreisparlamente in Brandenburg. Im ganzen Land, an tausenden Laternen, hängen Wahlplakate, auch die von der NPD. 

"Doch dieses eine, das vor meiner Kirche, konnte ich nicht unberichtigt lassen", sagt die Pfarrerin. 41 Jahre ist sie alt und seit 2014 Pfarrerin im beschaulichen Storkow, mit ihrem Mann und ihren Kindern ist sie aus aus dem lauten Berlin hierhergezogen. Hinein in diese kleine Stadt in Brandenburg mit ihren knapp 10.000 Einwohnern, einer Burg, einem Marktplatz, einem See, einer Stadtverordnung mit 18 Mitgliedern, einem Mittelstandsverein und eben dieser Kirche.

Als Judith Kierschke erzählt, wie alles kam, ist ihr einerseits ihr Impuls anzumerken, Dinge anzusprechen, gleich zu tun und dafür einzustehen, wenn sie ihr richtig erscheinen. Zum anderen spürt man ihr Erstaunen darüber, sich getraut zu haben, dieses Plakat der rechtsextremistischen NPD vor ihrer Kirche so nicht zu dulden.

Die Kirche von Storkow war schon mehrfach Ort der Unterstützung für Geflüchtete.

Es war auch nicht das erste Mal, dass sie sich querstellt. Als 2015 und 2016 hundertausende Menschen nach Deutschland flüchteten, nahm auch Storkow 130 von ihnen auf. Kierschke engagierte sich im Integrationsbeirat, bot Deutschkurse an und lud die Bürger Storkows in ihre Kirche ein, damit diese sich aussprechen und sich informieren konnten. Als junge NPD-Anhänger versuchten die Veranstaltung zu kapern, erwiderte sie: "Wenn sie Angst haben, beten sie." Sie war selbst über ihre Schlagfertigkeit erstaunt. Etwas später organisierte sie ein Protestfrühstück gegen einen NPD-Aufmarsch, der an Wohnungen von Geflüchteten vorbeizog.

Als sie dann da oben stand, auf dieser Leiter, vor ihr das Plakat, darauf der Luther, der ihr so viel bedeutet, nahm sie den Stift und schrieb: "Garantiert nicht" und "Buuh". Luther habe die Bibel, also die Botschaft Gottes, die für Liebe und Gnade steht, übersetzt und so unter die Menschen gebracht. Die NPD und ihre "menschenverachtende Haltung" steht für Kierschke für das genaue Gegenteil. Doch bei ihrer Tat fotografierte sie ein Passant, schickte die Fotos an die NPD, die alles öffentlich machte und von nun an von der "kriminellen" Pastorin aus Storkow spricht.

Der Pastorin könnte das jetzt Ärger einbringen. Ein Wahlplakat zu verunstalten oder zu beschädigen, verstößt gegen Paragraf 303 des Strafgesetzbuches. Wer das tut, begeht eine Sachbeschädigung, die mit einer Geldstrafe oder bis zu zwei Jahren Haft geahndet werden kann. Letzteres ist in Judith Kierschkes Fall sehr unwahrscheinlich, da sie nicht vorbestraft ist und die Sachbeschädigung sich auf einen Wert von wenigen Euros bemisst. Das beschädigte Plakat hat die NPD abgehängt und ein neues aufgehängt, was Judith Kierschke jetzt so hinnehmen muss.

Ihr Arbeitgeber, die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg, sagte gegenüber der örtlichen Zeitung  MAZ: "Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-Oberlausitz (EKBO) bittet ihre Pfarrerinnen und Pfarrer, sich nicht zu unüberlegtem Handeln provozieren zu lassen, sondern mit dem Wort zu reagieren. Das hätte sich die EKBO bei allem Verständnis für die Verärgerung der Pfarrerin auch in Storkow gewünscht." Doch auch die NPD hat Ärger wegen des Luther-Plakats. Die Partei hat gar nicht die Erlaubnis, das Foto zu verwenden. Das Urheberrecht liegt bei der Stiftung Luthergedenkstätten mit Sitz in Wittenberg. Diese will nun gegen die NPD klagen.

Noch einmal würde sie diese Aktion nicht machen, sagt Judith Kierschke, trotzdem steht sie dazu. Um das zu unterstreichen, hat sie mit einen Zettel großen Buchstaben in den Schaukasten der Gemeinde gehängt. Darauf steht: "Es gibt 95 Thesen, warum ich nicht die NPD wählen würde."