TV-Tipp: "Tatort: Das Monster von Kassel" (ARD)

Alter Fernseher vor gelber Wand
Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Tatort: Das Monster von Kassel" (ARD)
Es ist immer ein Balance-Akt, wenn ein Krimi die Identität des Mörders früh preisgibt: weil sich ein Film scheinbar ohne Not eines Teils seines Spannungspotenzials beraubt. Andererseits entsteht so natürlich ein besonderer Reiz: weil man als Zuschauer Zeuge eines im besten Fall faszinierenden Katz-und-Maus-Spiels wird, bei dem sich der Täter selbstredend für die Katze hält.

Das funktioniert allerdings nur, wenn der Verbrecher wie bei "Columbo" von einem Schauspieler mit dem nötigen Charisma verkörpert wird, und diese Voraussetzung erfüllt "Das Monster von Kassel", der siebte "Tatort" mit dem Frankfurter Duo Janneke und Brix (Margarita Broich, Wolfram Koch) geradezu perfekt. Der Holländer Barry Atsma spielt solche schillernden Rollen im deutschen Fernsehen schon seit einigen Jahren, und er macht das regelmäßig vorzüglich: Seine Figuren sind stets attraktiv und sympathisch; aber hinter der einnehmenden Fassade lautern Abgründe. Auf diese Weise war Atsma als skrupelloser Chef der Investmentabteilung der heimliche Star der vielfach preisgekrönten Serie "Bad Banks" (2018). Zuvor war er unter anderem als undurchsichtiger Investor im Schlecker-Film "Alles muss raus – Eine Familie rechnet ab" (2014) zu sehen. In dem Film blieb lange offen, ob er Freund oder Feind ist. Von dieser Ungewissheit lebte auch die sehenswerte Charlotte-Link-Verfilmung "Die letzte Spur" (2017). Dort spielte Atsma einen Juristen unter Mordverdacht, in den sich die Freundin des Opfers verliebt, und natürlich fragt sich die Heldin die ganze Zeit, ob der Mann ein Wolf im Schafspelz ist.

Darum geht es auch in "Das Monster von Kassel", selbst wenn das Drehbuch (Stephan Brüggenthies, Andrea Heller) dieses Rätsel zumindest für die Zuschauer schon nach wenigen Minuten löst: Bei der düsteren Gestalt, die während eines nächtlichen Unwetters im Wald eine Leiche zerteilt, handelt es sich zweifelsohne um Maarten Jansen (Atsma). Die Spannung des Films resultiert wie immer in solchen Fällen also vor allem aus der Frage, ob der Täter mit seiner Untat durchkommt; und warum er sie begangen hat. Eine andere Idee ist dagegen ziemlich ungewöhnlich, denn Jansen ist ein prominenter Talkshow-Moderator, dessen Haus prompt von der üblichen Medienmeute belagert wird, als die Polizei herausfindet, um wen es sich bei dem in Einzelteilen gefundenen Opfer handelt: Es ist Lukas, Jansens Adoptivsohn. Dass sich die Handlung ausnahmsweise nicht in Frankfurt zuträgt, ist im Grunde Nebensache, sorgt aber immerhin für Abwechslung: weil auf diese Weise auch mal Kassel zur Geltung kommt; und weil es immer interessant ist, wenn Polizisten ihr angestammtes Revier verlassen.

Die Tat ist der Prolog, dann springt der Film in die Gegenwart; die weiteren Ereignisse werden rückblickend erzählt. Dieser Kniff hat gleichfalls großen Anteil daran, dass der Film so fesselt: Jansen kommt unangekündigt ins Polizeipräsidium, um sich nach dem Stand der Ermittlungen zu erkundigen. Das entsprechende Gespräch mit Janneke bildet fortan den Rahmen der Handlung; eine dramaturgische Konstruktion, die seit Claude Millers Klassiker "Das Verhör" (1981) immer wieder gern verwendet wird. Die Rückblenden zeigen, wie sich dank der verschiedenen Funde nach und nach das Körperpuzzle zusammensetzt. Die Ermittlungen ergeben das Bild eines offenbar minutiös und beinahe brillant geplanten Mordes. Die Rekonstruktion des Tathergangs ist dabei ebenso faszinierend wie der Status des Täters. Weil die Show weitergehen muss, stellt sich Jansen seinem Publikum und sorgt in seiner Sendung nicht zuletzt dank künstlicher Tränenflüssigkeit für einen bewegenden Auftritt. Der entsprechende Monolog ist Teil seiner Strategie, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass das von ihm selbst sogenannte "Monster von Kassel" ein Serienmörder ist, der schon andernorts zugeschlagen hat.

Regie führte der Österreicher Umut Dag, der in den letzten Jahren einige sehenswerte Produktionen fürs deutsche Fernsehen gedreht hat; zuletzt "Sonnenwende", einen düsteren Blut-und-Boden-"Tatort" aus dem Schwarzwald, davor das nicht minder sehenswerte Drama "Das deutsche Kind" (beide 2018); sein "Tatort"-Debüt war 2016 der Bodenseekrimi "Rebecca" über eine junge Frau, die die letzten 15 Jahre in der Gefangenschaft eines Fremden verbracht hat. Sämtliche Filme zeichneten sich durch vorzügliche darstellerische Leistungen aus. Für "Das Monster von Kassel" gilt das nicht minder, schließlich ist das Gespräch zwischen Jansen und Janneke das Herzstück des Films, wobei Atsma der uneingeschränkte Star ist. Eher überflüssig sind dagegen die schrägen Einlagen von Bruno Cathomas als Leiter der Mordkommission, die mit der Handlung überhaupt nichts zu tun haben. 

Natürlich ist die Geschichte ziemlich grausig, aber der optische Schauder hält sich in Grenzen; beim Prolog produziert vor allem die Fantasie die entsprechenden Effekte, denn Kamerafrau Carol Burandt von Kameke zeigt bloß das Schwingen der Axt. Deutlich gruseliger ist kurz drauf der Anblick von Armen und Beinen ohne Torso auf dem Obduktionstisch. Am Ende des makabren Puzzles fehlt nur noch der Kopf, und dieses Detail ist es auch, über das der Mörder schließlich stolpern wird; am Schluss sorgen Janneke und Brix dafür, dass Jansen mit einer stummen, aber umso beredteren Anklage konfrontiert wird.