"Dass Gott den Menschen geschaffen hat, zeugt von Humor"

Martin Buchholz
Foto: Sergej Falk
Portrait von Martin Buchholz.
"Dass Gott den Menschen geschaffen hat, zeugt von Humor"
Interview mit dem Theologen, Songpoeten und Geschichtenerzähler Martin Buchholz
Martin Buchholz hat Theologie studiert, wollte aber immer Geschichten erzählen. Das macht er als Songpoet und Vortragskünstler auf der Bühne, bei Kirchentagen und in Gottesdiensten, aber auch als Filmemacher in Dokumentationen und Reportagen fürs Fernsehen. Seine Geschichten handeln von offenen Fragen, Glaubenserfahrungen und dem Leben. Und weil das Leben mal zum Lachen und mal zum Weinen ist, sind seine Geschichten genauso. Ein Gespräch mit dem Mann, der sich als eine Mischung aus James Taylor, Reinhard Mey und seinem Vorbild Hanns-Dieter Hüsch versteht - über Gottes Humor, Toiletten in der Kirche und die Generation "Kopf runter".

Herr Buchholz, hat Gott Humor?

Martin Buchholz: Da sollten Sie am besten Gott selber fragen. Kann Gott sich selber auf den Arm nehmen? Eine spannende Frage. Denn darum geht es ja beim Humor: In Distanz zu sich selber zu treten und sich leicht zu nehmen. Allein die Tatsache, dass Gott den Menschen geschaffen hat, zeugt ja durchaus von Humor. Er hat uns sogar die Freiheit gegeben, über ihn zu lachen. Obwohl ich glaube, dass es eigentlich gar nicht geht, dass wir als Geschöpfe unseren Schöpfer auslachen.

Und doch lachen wir über Gott.

Buchholz: Wir lachen nicht über Gott selbst, sondern über die Bilder, die wir von ihm haben. Die sind angesichts unseres unvorstellbaren Gottes auch ein Witz. Vielleicht verdeutlicht es ein Bilderwitz: Eine Ente sitzt auf dem Thron und trägt eine Krone. Vor ihr steht ein Mann und starrt sie fassungslos an. Und die Ente sagt: „Was soll das denn heißen, Sie haben sich Gott anders vorgestellt?“ Mir gefällt daran, dass der Witz mit unseren Vorstellungen von Gott spielt. Humor heißt hier, die eigenen Überzeugungen nicht zu ernst zu nehmen und in Frage stellen zu lassen. Die Bibel vermittelt uns Bilder, zeigt uns aber keine Fotos von Gott. In Matthäus 23, 37 wird er mit einem Huhn verglichen, das seine Küken behütet. Das klingt absurd, aber wir spüren, was damit gemeint ist.

Gehen so wenige Menschen in den Gottesdienst, weil das Konzept nicht unterhaltsam genug ist?

Buchholz: Welches? Ich bin viel unterwegs, sehe unterschiedliche Konzepte. Ein Gottesdienst ist keine Kabarett-Show. Wir sollten beides nicht verwechseln. Auch den Gottesdienst für sich gibt es nicht, sondern immer eine Gemeinde, die Gottesdienst feiert. Und wenn die Menschen aus der Gemeinde mit ihren Bedürfnissen vorkommen, sind das lebendige Gottesdienste. Schließlich ist die Kirche ein Ort in unserer Gesellschaft, an dem wir alle zusammenkommen können – und es geht mal nicht um Fußball.

"Man fragt sich gelegentlich, ob der Pfarrer primär Denkmalschützer oder Hirte seiner Gemeinde ist"

Dann hat Gottdienst viel mit Begegnungen zu tun?

Buchholz: Absolut. In Freikirchen gibt es den Baptistenkaffee. Da trinken alle nach dem Gottesdienst zusammen Kaffee. Manche freuen sich den ganzen Morgen darauf. Statt mit den Nachbarn am Gartenzaun zu reden, redet man mit den Leuten, die man am Sonntag in der Gemeinde trifft. Da erkundigt man sich, redet über das Wetter und den Urlaub. Das gehört dazu.

Gemeinsam Kaffee trinken ist zwar schön, aber meist gibt es in der Kirche nicht mal eine Toilette.

Buchholz: Nach den Erfahrungen, die ich gemacht habe, haben viele nachgebessert. Aber es ist tatsächlich ein Problem, dass viele kirchliche Gebäude unter Denkmalschutz stehen. Da kann man sich gelegentlich fragen, ob der Pfarrer primär Denkmalschützer oder Hirte seiner Gemeinde ist. Es geht auf Kosten der Gemeindearbeit, wenn er ständig schauen muss, dass der Putz nicht von den Wänden fällt und es nicht durch die Decke tropft.

"Kirche hat sich immer verändert"

Hat der Pfarrer denn neben all den Aufgaben noch Zeit für Kaffee mit der Gemeinde?

Buchholz: Kirche soll keine One-Man-Show des Pfarrers sein. Klar, von einem Pfarrer wird viel erwartet. Dennoch kommt der Pfarrer am Delegieren nicht vorbei. Es ist ja auch Sinn der Sache, den Menschen Aufgaben gemäß ihren Gaben zu geben, wenn man es neutestamentlich sagen will. Einige Menschen können gut zuhören und andere sind toll darin, etwas zu organisieren. Genauso ist Gemeinde gedacht.

Es geht also um Veränderungen?

Buchholz: Kirche hat sich immer verändert. Wenn sie das nicht tut, stirbt sie. Davon ist auch Luther ausgegangen. Wenn wir uns nicht mehr fragen, was Jesus Christus heute von uns will und aufhören, Neues ausprobieren, sind wir ein Club von Beamten, die auf ihre Pensionierung warten.

"Die Menschen kommen in den Gottesdienst, wenn er lebendig ist und in ihre Lebensplanung passt"

Inwiefern Neues ausprobieren?

Buchholz: Gerade war ich mal wieder in Schleswig-Holstein. Da gibt es einen engagierten Pfarrer, der macht einmal im Monat "Punkt 5". Das ist einen Gottesdienst um 17 Uhr. Er hat darauf reagiert, dass der Sonntagmorgen für Einige schwierig ist und nicht alle jeden Sonntag kommen. Da sitzen immer 200 Menschen - was nicht daran liegt, dass Schleswig-Holstein plötzlich ganz fromm geworden ist. Die Menschen haben eine Sehnsucht und kommen in den Gottesdienst, wenn er lebendig ist und in ihre Lebensplanung passt.

Dann muss Kirche sich unserer Lebenskultur anpassen?

Buchholz: Wo ich unterwegs bin, machen Menschen in der Kirche Kulturarbeit und werden dafür oft von Nachbargemeinden angefeindet, weil sie deren Friedhofsruhe stören. Mancher Pfarrer kriegt schon Ärger mit dem eigenen Kirchenvorstand, wenn er Kindergottesdienst in Räumen machen will, in denen sich in der Woche der Seniorenkreis trifft. Da bin ich schon erstaunt. Traditionen zu bewahren, ist gut und wertvoll. Aber nur zu sagen: "Das bleibt hier so, weil das immer so war" reicht nicht aus. Wollen wir Menschen, die darauf beharren, das Gestalten überlassen? Diese Frage müssen wir uns als Gemeinde stellen. Das ist nicht allein Sache des Pfarrers.

"Gottesdienst ist anders als die Welt, die wir jeden Tag erleben"

Apropos Lebenskultur. Müsste man digitale Medien nicht stärker einbeziehen?

Buchholz: Jede Gemeinde, die mal ein Lied singen will, das nicht im Gesangbuch steht, hat einen Beamer. Keine digitale Revolution, aber es macht Sinn. Jeder kann mitsingen und es müssen nicht erst Liedblätter gedruckt werden. Ansonsten ist das Schöne am Gottesdienst doch, dass er eine Anderswelt ist.

Eine Anderswelt?

Buchholz: Gottesdienst ist anders als die Welt, die wir jeden Tag erleben. Wir müssen nicht anfangen, Gottesdienste über Smartphones zu feiern. Wir leben schon in der Generation "Kopf runter". Da kann man den Kopf doch mal heben und gemeinsam singen, beten und den anderen ansehen. Einigen Menschen ist es schon zu intim, einen Gottesdienst im Kreis zu feiern, weil alle anderen sie dann sehen. Dadurch kommt man aber ganz anders ins Gespräch. Wenn wir einen Gottesdienst feiern, dann bitte ohne Smartphones. Die haben wir sowieso jede Minute um uns.

Wie sollte ein Gottesdienst sein, in den Sie gerne gehen?

Buchholz: Ich möchte in einen Gottesdienst gehen, in dem verschiedene Generationen ihren Platz haben. Die Kinder sind am Anfang dabei, bekommen dann ein eigenes Angebot, weil sie noch zu klein sind, um eine Predigt anzuhören. Wenn für die Kinder gesorgt ist, können die Mütter auch entspannt dabei sein. Es soll laut und kräftig gesungen werden – und zwar eine gute Mischung aus alten Liedern von Paul Gerhardt und neuen Liedern wie denen von Lothar Kosse. Die Predigt soll die Menschen berühren, weil sie etwas mit ihrem Leben zu tun hat. Und ich will unbedingt gesegnet werden. Es ist Sonntag, mein Alltag ist vorbei. Ich will zur Ruhe kommen, abladen, was mich umtreibt. Mein Smartphone ist aus und mein Herz ist an.