Alte, neue Heimat Orgelbau

Orgel des Naumburger Doms
©epd-bild/Steffen Schellhorn
Die Orgel des Naumburger Doms wird durch die Firma Hermann Eule Orgelbau GmbH Bautzen vom Mottenbefall befreit.
Alte, neue Heimat Orgelbau
Ein Traditionshandwerk wandelt sich: Zunehmend ergreifen Frauen den Beruf - und Menschen aus kirchenfernen Familien.

Bautzen ist eine Stadt im äußersten Osten von Sachsen. Sie hat knapp 40.000 Einwohner; etwa ein Zehntel davon gehört der sorbischen Minderheit an. Bekannt geworden ist Bautzen durch eine Senfsorte und das Gefängnis, das erst das Hitler-Regime, dann die sowjetische Besatzungsmacht und schließlich die DDR nutzte, um politische Gefangene zu inhaftieren.

"Ich habe um die Zukunft des Orgelbaus keine Angst "

Ortsfremde würden in dieser Gegend wohl kaum ein prosperierendes Unternehmen mit Kontakten um die ganze Welt erwarten. Doch die 1872 gegründete Firma Hermann Eule Orgelbau unterhielt selbst in der DDR-Zeit Geschäftsbeziehungen ins nicht-sozialistische Wirtschaftsgebiet, wie es im Staatsjargon hieß. In den vergangenen Jahren war Hermann Eule Orgelbau in Polen und Norwegen tätig, in Israel, Russland und vielen anderen Staaten. Vor drei Jahren baute der Betrieb gar eine Orgel für eine Musikhochschule in China. Anne-Christin Eule, die mit ihrem Mann Dirk die Geschäfte führt, beschäftigt heute 43 Mitarbeiter und vier Mitarbeiterinnen. Sechs davon sind in der Ausbildung. "Ich habe keine Angst um die Zukunft des Orgelbaus", sagt die resolute Frau.

Quelle: Josefine Janert

Das Unternehmen hat seinen Sitz in einem gepflegten Bürgerhaus etwas abseits des Stadtzentrums. Im Wohnzimmer, in dem die Eules auch Kunden empfangen, hängen Familienfotos. Orgelbaumeister Dirk Eule spielt den Choral "Nun danket all und bringet Ehr" auf der Hausorgel. Die Familie ist evangelisch, und Orgelmusik gehört für Anne-Christin Eule "unbedingt zur Verkündigung dazu", wie sie sagt: "Die Orgelmusik trägt durch Freud und Leid, durch alles hindurch, und sie kann auch aufbauen." Vor allem gebe sie Zuhörerinnen und Zuhörern die Möglichkeit, "für eine kleine Weile ganz ruhig zu werden".

Annegret Pabst arbeitet am Rasterbrett, was Teil ihrer Ausbildung zur Orgelbauerin ist.
Es war die gediegene Atmosphäre, die Annegret Pabst dazu bewog, sich bei Hermann Eule Orgelbau zu bewerben: "Schwere Türen, wunderschön verzierte Klinken, Dielenböden – ich habe mich gleich heimisch gefühlt." Pabst stammt aus einer musikbegeisterten Familie und wirkte schon als Kind in sächsischen Oberlichtenau im Spielmannszug mit. Die junge Frau, die Piccoloflöte, Klavier und Althorn spielen kann, suchte nach einem Ausbildungsplatz im Instrumentenbau nach dem Abitur. Mittlerweile ist sie im zweiten Lehrjahr und zufrieden mit ihrer Wahl. "Wir arbeiten hier mit den Werkstoffen, die man schon früher hatte: Holz, Metall, Warmleim, Leder", sagt die 20-Jährige. "Genau das macht das Handwerk aus."

Ein Beruf für Frauen

Den theoretischen Teil ihrer Ausbildung absolviert sie an der Oscar-Walcker-Schule in Ludwigsburg in Baden-Württemberg. Dort erlernen Menschen aus allen Bundesländern den Beruf des Orgel- und Harmoniumbauers, wie er offiziell heißt. Wegen der zum Teil großen Entfernung zu ihren Ausbildungsbetrieben besuchen sie während der dreieinhalb Lehrjahre sechs Blockkurse zu Themen wie Akustik, Werkstoffkunde, Musikkunde, Instrumentenbaugeschichte und Technische Mathematik. Früher hätte es pro Ausbildungsjahr ein oder zwei Frauen gegeben, sagt Annegret Pabst: "In meinem Jahrgang sind wir elf Frauen und 38 Männer." Dass Orgelbau sich zum Beruf für Frauen entwickelt, liege daran, dass Frauen heute unabhängiger seien.

Einen Wandel erkennt auch Anne-Christin Eule, die selbst nach der Ausbildung zur Orgelbauerin noch Betriebswirtschaft studiert hat. In der DDR-Zeit war der Beruf – ähnlich wie Pfarrerin oder Kantor – ein Refugium für Christen, die mit dem Staat nicht zurechtkamen. Gerade in den 1980er Jahren seien viele von ihnen nach der Lehre in die Bundesrepublik übergesiedelt, sagt die Firmenchefin. Auch heute noch würden viele Mitarbeiter aus Pfarrers- oder Kantorenfamilien stammen. Es würden sich jedoch zunehmend auch Menschen bewerben, die kaum in die Kirche gehen. Anne-Christin Eule hält die Religionsfreiheit hoch: Ob jemand der Kirche nahe steht oder nicht, spiele bei der Einstellung keine Rolle.

Annegret Pabst ist getauft, geht aber nur zu Weihnachten mal in einen Gottesdienst. Sie sieht in der Orgel ein Instrument für Konzerte, die gern auch in einem weltlichen Konzertsaal stattfinden können. "Als ich meine Ausbildung anfing, fragten meine Freunde mich: Gibt's diesen Beruf überhaupt noch? Braucht man den noch?", sagt sie. Als die UNESCO Orgelbau und Orgelspiel zum immateriellen Weltkulturerbe ernannte, sah sie sich in ihrer Berufswahl bestätigt. Sie hofft, dass es nun aufgrund des UNESCO-Beschlusses für Gemeinden und anderen Institutionen leichter ist, Fördermittel für den Erhalt von Orgeln zu beantragen.

Ihr Arbeitstag in Bautzen beginnt um 7 Uhr. Um 12 Uhr gibt es eine Mittagspause, zu der sich alle Angestellten um einen Tisch versammeln. Nach dem Essen gönnen sich alle Menschen, die das wünschen, ein halbstündiges Schläfchen in der Werkstatt. "Schon als Kind wurde ich ermahnt, stille zu sein: Die Mitarbeiter halten jetzt ihre Mittagsstunde", sagt die Chefin, die übrigens eine Freundin des Siezens ist: "Das hält Abstand zueinander und zeigt den Umgang, den ich mir wünsche: respektvoll und achtsam."

Eule selbst hält keinen Mittagsschlaf. Auch Annegret Pabst hat viel zu tun. Ihre Lehre begann sie mit einer Grundausbildung im Werkstoff Holz. Ein halbes Jahr später nahmen ihre Kollegen sie mit in das thüringische Städtchen Bad Frankenhausen, wo sie die 132 Jahre alte Orgel einer evangelischen Kirche restaurieren. Pabst war dabei, als der Balg neu beledert wurde. In Bautzen arbeitete sie später am Rasterbrett, einem Holzbrett mit kreisrunden Löchern, auf dem die Orgelpfeifen kerzengerade stehen und darauf festgehalten werden. Ihre Aufgabe war es, die Pfeifen auf dem Brett auszurichten: An einigen Löchern raspelte sie Holz weg, um sie zu vergrößeren, an anderen setzte sie Leder ein, um das Loch zu verkleinern.

Orgelbau klingt nach Heimat

Das Wort Orgelbau klingt in den Ohren vieler Menschen nach Heimat. Anne-Christin Eule sieht ihr Unternehmen tatsächlich als eine Nische "im eiligen Zeitalter der Digitalisierung". Natürlich hat der Betrieb eine Webseite, und die Chefin antwortet pünktlich auf Mails. Jedoch legen weder sie noch ihre Mitarbeiter Wert darauf, das allerneuste Mobiltelefon zu besitzen und ständig und überall erreichbar zu sein.

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Hermann Eule Orgelbau hat keine Schwierigkeiten, Ausbildungsplätze zu besetzen. Anne-Christin Eule investiert viel Kraft darin, Kontakte zu Jugendlichen aufzubauen, sie mittels Praktika für den Beruf zu begeistern. "Grundsätzlich bilden wir aus, um die Auszubildenden im Anschluss zu übernehmen", sagt sie. "Das gelingt uns zunehmend nicht." Nach der Ausbildung würden sich viele Orgelbauer für ein Studium entscheiden: Kirchenmusik? Architektur? Musikgeschichte? All das verlockt – und offenbar stärker als noch 2006, dem Jahr, als Anne-Christin Eule Geschäftsführerin wurde.

Auch Annegret Pabst denkt über ein Studium nach. Doch sie will sich Zeit lassen. "Ich hoffe, dass ich auf Montage ins Ausland geschickt werde", sagt sie. "Mal eine Orgel in Norwegen zu bauen oder in China – das fände ich spannend."