TV-Tipp: "Schattengrund – Ein Harz-Thriller" (ZDF)

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TV-Tipp: "Schattengrund – Ein Harz-Thriller" (ZDF)
10.12., ZDF, 20.15 Uhr
Der Titelzusatz "Ein Harz-Thriller" klingt nach einer neuen Reihe; wie vortrefflich die Gegend als Krimischauplatz taugt, beweist die ARD-Tochter Degeto mit "Harter Brocken". "Schattengrund" ist jedoch ein Einzelstück, und das Etikett "Thriller" weckt womöglich falsche Erwartungen oder sorgt vielleicht gar für Abschreckung.

Der Film ist durchaus spannend, aber eher in einem psychologischen Sinn. Vordergründig mag Elisabeth Herrmann, die ihren eigenen gleichnamigen Roman adaptiert hat, eine Krimigeschichte erzählen, doch letztlich geht es um das Seelenheil einer jungen Frau. Die Handlung erinnert mit ihren Anleihen bei Melodram und romantischem Drama an die Geschichten von Daphne du Maurier, deren Werke Vorlage für viele Filme waren; das Spektrum reicht von "Rebecca" (Alfred Hitchcock, 1940) bis zu "Wenn die Gondeln Trauer tragen" (Nicolas Roeg, 1973).

In dieser Tradition bewegt sich auch "Schattengrund". Der Titel bezieht sich auf ein Anwesen im Harz. Nicola Wagner (Josefine Preuß) hat hier als Kind regelmäßig die Ferien bei ihrer Großtante verbracht. Nach einem tragischen Ereignis ist der Kontakt abgerissen. Die näheren Umstände hat sie vergessen, aber die Einwohner von Siebenleben, die ihr mit unverhohlener Feindseligkeit begegnen, als sie nach dem Tod der Tante in den Harz reist, sorgen dafür, dass sie sich nach und nach wieder erinnert. Die Menschen geben ihr die Schuld am Tod der kleinen Fili. Die beiden Mädchen waren Freundinnen und sind in einem unbarmherzig kalten Winter vor zwanzig Jahren weggelaufen, um sich im Bergwerk zu verstecken. Nicola ist rechtzeitig gefunden worden, aber Fili ist erfroren. Nicola ahnt, dass mehr hinter der Geschichte steckt, und kommt schließlich einem unerhörten Vergehen auf die Spur. Nicht minder schockierend ist die Erkenntnis, dass ausgerechnet jene, die sie heute anfeinden, schon immer die Wahrheit gewusst haben.

"Und alle haben geschwiegen" wäre ein ebenfalls treffender Titel für diesen Film gewesen. So hieß Dror Zahavis bedrückendes Drama (2013) über die verdrängte Geschichte der deutschen Heimkinder in den Sechzigerjahren; die Bilder haben damals perfekt die düstere Atmosphäre der Einrichtung eingefangen, in der die bedrückende Handlung spielte. Kameramann Gero Steffen leistet für Zahavi ohnehin regelmäßig herausragende Arbeit, am besten vielleicht in "Franziska" (2014), einem der fesselndsten Krimi in der Kölner "Tatort"-Historie; die klaustrophobischer Wirkung des in einem Gefängnis angesiedelten Kammerspiels resultierte vor allem aus Steffens Bildgestaltung. In "Schattengrund" zeigt sich erneut Steffens Gespür für das passende Licht. Als Kontrast zu den wunderschönen Winterbildern, die fast schwarzweiß wirken, sind die Szenen im Haus der Großtante von großer Behaglichkeit. Gleichzeitig sorgen Musik (Stefan Hansen), Sounddesign und Kameraperspektiven für ein stetes Unbehagen, das natürlich durch das Verhalten der Dorfbewohner noch verstärkt wird. Die Familie der kleinen Fili, allen voran Großmutter Zita (Marie Anne Fliegel) tut sich dabei besonders hervor. Als der Pfarrer (Oliver Stritzel) Nicola zum Gottesdienst einlädt, erkennt sie in einer Wachsstatue der Heiligen Barbara ihre verstorbene Freundin wieder; Fili erscheint ihr regelmäßig in ihren Albträumen und fragt sie, warum sie sie allein gelassen hat. In diesen Träumen weint die Skulptur blutige Tränen. "Blut und Tränen" keift nun auch Zita. Nicola weiß nun, dass sie es nicht nur sich selbst, sondern auch ihrer Freundin schuldig ist, herauszufinden, was damals wirklich passiert ist. In Filis unverändert gebliebenem Zimmer entdeckt sie endlich eine Erklärung dafür, warum das Mädchen in jenem Winter, der so kalt war, dass die Vögel tot vom Himmel gefallen sind, sein Elternhaus in panischer Angst verlassen hat.

Josefine Preuß verkörpert die Heldin mit der gewohnten Hingabe. Der Rest des treffend zusammengestellten Ensembles (unter anderem Oliver Stokowski, Peter Kremer und Tanja Schleif) steht dagegen für das Böse. Nur Filis Onkel Leon (Steve Windolf) scheint es gut mit Nicola zu meinen; die erste Begegnung der beiden ist die einzige komische Szene des Films. Zahavi, Regisseur unter anderem des Reich-Ranicki-Films "Mein Leben", bedient sich zwar gelegentlich typischer Horrorfilm-Elemente, aber die Spannung ist über weite Strecken eher hintergründiger Natur. Das Finale, als Nicola im stillgelegten Silberstollen die finstere Antwort auf ihre Fragen findet, ist allerdings angemessen fesselnd.