TV-Tipp: "Tatort: Vom Himmel hoch" (ARD)

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TV-Tipp: "Tatort: Vom Himmel hoch" (ARD)
9.12., ARD, 20.15 Uhr
Der Titel weckt womöglich falsche Erwartungen: Dieser "Tatort" aus Ludwigshafen erzählt eine alles andere als vorweihnachtliche Geschichte. "Vom Himmel hoch" bezieht sich vielmehr auf das Thema des Krimis, der mehr und mehr zum Thriller wird: Thomas Bohns Film ist eine geschickt und spannend verpackte Anklage gegen die amerikanische Drohnenpolitik.

Die Geschichte beginnt dennoch klassisch mit einer Leiche: Ein Psychiater ist erschlagen worden. Der Mann war Spezialist für Kriegstraumata und ein gefragter Gutachter, wenn es darum ging, die Tauglichkeit von Soldaten festzustellen. Weil er Mann Flüchtlinge betreute, gaben sich in seiner Praxis gewissermaßen Täter und Opfer die Klinke in die Hand. Nachdem Johanna Stern (Lisa Bitter) endlich Ordnung in das Aktenchaos des Arztes gebracht hat, stößt sie auf einen Verdächtigen, den sie in der Nähe des Tatorts gesehen hat. Die Spur ist zwar nicht die richtige, aber auch nicht falsch: Die beiden kurdischstämmigen Brüder Martin und Mirhat Rojan (Diego und Cuco Wallraff) versuchen schon seit geraumer Zeit vergeblich, Politik und Öffentlichkeit auf Mirhats Schicksal aufmerksam zu machen; er hat bei einem amerikanischen Drohnenangriff im Irak seine beiden Kinder verloren. Nun wollen die Brüder mit einem Fanal dafür sorgen, dass ihre Botschaft endlich wahrgenommen wird. Ziel ihres Anschlags ist Jason O’Connor,  Staatssekretär im amerikanischen Verteidigungsministerium. Er besucht gerade den Militärflugplatz im pfälzischen Ramstein und wird sich mit dem deutschen Verteidigungsminister treffen, um über die Entwicklung einer neuartigen Drohnengeneration zu sprechen. Aber die Mirhats sind nicht die einzigen, die es auf O’Connor abgesehen haben.

Bohn hat in den Neunzigerjahren diverse Ludwigshafener "Tatort"-Episoden inszeniert, einige davon ausgesprochen sehenswert oder zumindest ungewöhnlich; in "Tod im All" (1997) wirkten gar Außerirdische mit. Nun ist der frühere Werbefilmer zurückgekehrt und macht dort weiter, wo er damals aufgehört hat: mit einem Film, der deutlich aus dem Rahmen fällt. In den letzten Jahren waren die SWR-Krimis aus der Pfalz nicht immer rundum geglückt. Dank der neuen Kollegin Stern (seit 2014) gab’s zwar eine erfolgreiche Verjüngungskur, aber die ersten gemeinsamen Episoden waren von einem völlig überflüssigen Zickenkrieg zwischen der Fallanalytikerin und Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) geprägt. Mit den beiden Improvisationsversuchen von Axel Ranisch, von denen zumindest "Babbeldasch" völlig verunglückt war, sind die Krimis zuletzt auf dem Tiefpunkt angelangt. Roland Suso Richters Mafia-Thriller "Kopper", die zwischen den Ranisch-Folgen ausgestrahlte Abschiedsepisode für Andreas Hoppe, war zwar zwei Klassen besser, hat aber ebenfalls gewisse Schwächen.

Jemand wie Bohn kam da offenbar gerade recht. Seine Arbeiten scheitern mitunter an dem Vorsatz, große Themen auch so groß wie möglich umzusetzen, aber "Vom Himmel hoch" könnte ein Neustart für den "Tatort" aus Ludwigshafen darstellen: weil es dem Regisseur gelingt, im Rahmen der fesselnd erzählten Geschichte auch die Rollen der beiden Ermittlerinnen zu verfeinern. Davon profitiert vor allem Lena Odenthal und damit auch Ulrike Folkerts. Die erfahrene Hauptkommissarin erweist sich einerseits als knallhart, darf andererseits aber auch weiche Seiten zeigen, unter anderem, weil sie Kopper vermisst; außerdem steckt selbst eine wie sie es nicht so ohne Weiteres weg, einen Menschen zu erschießen. Dass Bohn mehr als nur ein gewöhnlicher Sonntagskrimi vorschwebte, zeigt spätestens der unvermittelte Einschub einer rasch geschnittenen Sequenz, die mit dokumentarischen Bildern den ganzen Schrecken der Drohnenkriegsführung skizziert. Ähnlich wie der britische Thriller "Eye in the Sky" (2015) beschreibt "Vom Himmel hoch", wie auch die Piloten der Kampfdrohnen unter ihrer Arbeit leiden.

Die große Qualität des Films basiert nicht zuletzt auf einem offenbar sorgfältigen Drehbuch. Geschickt schürt Bohn die Neugier, indem er am Anfang diverse Handlungsebenen anreißt. Eindrucksvoll ist auch die Detailfreude, weil er Szenen wie etwa das Auffinden der Leiche zu Beginn überraschend komplex erzählt. Gleiches gilt für die Bildgestaltung; die Aufnahmen des ausgezeichneten SWR-Kameramanns Jürgen Carle, der ohnehin sehr oft überdurchschnittlich gute Arbeit leistet und regelmäßig ein interessantes Licht setzt, wirken sehr aufwändig. Treffend ist auch die Musik (Jan Kazda), die anfangs wie eine Geräuschkulisse klingt und später, wenn sich der Film zum Wettlauf mit der Zeit entwickelt, für die richtige Thriller-Atmosphäre sorgt. Und doch sind es letztlich die beiden Hauptdarstellerinnen, die die emotionalen Anknüpfungspunkte bieten: Odenthal darf mal hart, mal zart sein, und wenn sie einen Durchhänger hat, ist Stern, die zwischendurch gehörig unter die Räder kommt, als kollegiale Trösterin zur Stelle. Das ist viel schöner als die überflüssigen Animositäten aus den früheren Filmen. Die besondere Stimmung der Schlussszene wird durch den Song "Strong" von London Grammar betont, weshalb das Lied ausnahmsweise anstelle von Klaus Doldingers berühmter Abspannmusik erklingen darf.