Kritische Solidarität? Nahost-Tagung in Bad Boll wird zum Politikum

Shrinking Spaces
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Kritische Solidarität? Nahost-Tagung in Bad Boll wird zum Politikum
In Bad Boll wird am Wochenende über den Nahost-Konflikt konferiert. Im letzten Jahr musste die Evangelische Akademie Tutzing eine ähnliche Tagung noch absagen. Der öffentliche Druck und die Vorwürfe, hier würde auf Kirchenkosten illustren Antisemiten ein Podium geboten, war einfach zu groß. Auch nun gibt es schon im Vorfeld Protest.

Direktor Jörg Hübner ist sich ganz sicher, dass in seiner Evangelischen Akademie Bad Boll die Tagung "Shrinking space im Israel-Palästina-Konflikt - Aufbruch zu einem konstruktiven Miteinander" vom 21. bis 23. September stattfinden wird. "Weil im Laufe der letzten beiden Jahre die Zahl der Veranstaltungen um diesen Themenkomplex, die auf Druck hin abgesagt worden sind, in Deutschland deutlich zugenommen hat", betont Hübner.

Dieses Argument überzeugt den grünen Politiker Volker Beck, der sich seit langem für die deutsch-israelische Partnerschaft einsetzt, gerade nicht. "Die Evangelische Akademie Bad Boll plant eine Veranstaltung, die judenfeindliche Vorurteile schürt. Die Delegitimierung Israels durch antizionistische Propaganda im kirchlichen Namen darf es nicht geben", empört sich Beck.

In der Tat finden sich auf der Referentenliste für die Tagung in Bad Boll bekannte Namen. Manfred Budzinski etwa, der 2012 mit pax christi die Boykottaktion "Besatzung schmeckt bitter" organisiert hat. Deutsche sollten Waren aus den besetzten Gebieten verschmähen, um so Druck auf Israel auszuüben. Da es aber eine solche Kennzeichnung kaum gibt, hat pax christi faktisch zum Israel-Boykott aufgerufen. Kritiker sahen da eine fatale Nähe zum Nazi-Hetzruf "Kauft nicht bei Juden!" Der evangelische Theologe Ricklef Münnich von der Arbeitsgemeinschaft Kirche und Judentum in Thüringen zeigte sich schon damals verwundert, welche Obsession gerade deutsche Christen beim Nahost-Konflikt entwickeln: "Da gibt es auch Tibet. Oder die West-Sahara, wo es Streitigkeiten mit Marokko gibt. Hier weist niemand darauf hin, dass wir jetzt zum Beispiel Waren aus dem besetzten Tibet, die von chinesischen Firmen kommen, boykottieren sollen. Oder marokkanische Waren aus der West-Sahara. Das interessiert in Deutschland nicht."

Judenhasser möchte man bei pax-christi nicht

Manfred Budzinski fand nichts dabei, wenn deutsche Christen mehr als 70 Jahre nach dem Holocaust faktisch Waren aus Israel boykottieren. Dass die Aktion gerade auch bei Neonazis in Thüringen Applaus fand, ärgerte die pax-christi-Initiatoren dann aber doch. Mit solchen Judenhassern will die katholische Friedensorganisation nicht in Verbindung gebracht werden.

Auch auf dem Tagungsprogramm in Bad Boll: der Publizist Abraham Melzer, dem die Stadt Frankfurt am Main nach Antisemitismus-Vorwürfen keinen Raum zur Verfügung stellen wollte. Und die Linken-Politikerin Annette Groth, die bei der berühmten Gaza-Flottille auf dem Frauendeck mitfuhr. Sie ist eine klare Unterstützerin der antiisraelischen BDS-Boykottbewegung.

Für besonders große Verstimmung sorgt aber die Präsentation der umstrittenen Nakba-Ausstellung in der Evangelischen Akademie Bad Boll. Nakba ist die arabische Bezeichnung für die Katastrophe und Vertreibung der Palästinenser im Zuge der Staatsgründung Israels. Zusammengestellt und seit Jahren auf Tournee geschickt wird sie vom "Verein Flüchtlingskinder im Libanon" aus Pfullingen. Die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde von München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, sagte bereits 2014, dass Vereinigungen wie "Flüchtlingskinder im Libanon" den Frieden im Nahen Osten behinderten. Die Deutsch-Israelische-Gesellschaft protestierte ebenfalls gegen die Wanderausstellung. Denn die Shoah und die Vorgeschichte des Staates Israel, aber auch die arabischen Massaker an Juden blieben so gut wie ausgeblendet.

Deidre Berger, Leiterin des Berliner Büros des American Jewish Committee, bekräftige noch im letzten Jahr: "Organisationen wie der Verein Flüchtlingskinder in Libanon sind nicht darauf orientiert, einen Dialog anzufangen. Stattdessen verbreiten sie das Narrativ, das ausschließlich die Palästinenser als die rechtmäßigen Bewohner von Israel zeigt. Es ist sehr verhetzend und außerordentlich einseitig und gefährlich in der Manipulation von Information."

Die Erste Vorsitzende des Vereins "Flüchtlingskinder im Libanon" Ingrid Rumpf, die nun auch in Bad Boll als Referentin auftritt, weist diese Vorwürfe zurück: "Die Ausstellung besteht aus 13 Texttafeln und eine Tafel befasst sich genau mit dem israelisch-arabischen Krieg. Da steht auch, dass die arabischen Staaten Israel den Krieg erklärt haben. Die Ausstellung ist gefördert worden vom Evangelischen Entwicklungsdienst und der Stiftung Entwicklungszusammenarbeit des Landes Baden Württemberg. Wenn die Ausstellung eine Verfälschung der Geschichte wäre, hätten beide Einrichtungen sie niemals gefördert."

Die Gründung Israels hat sehr viele Facetten

Doch die amerikanische Jüdin Deidre Berger widerspricht: "Sehr strittig sind die Umstände, als Palästinenser 1948 das heutige Israel verlassen haben. Da gibt es einen großen Historikerstreit, der nicht in dieser Ausstellung präsentiert ist. Sehr viele sind weggegangen, weil die arabischen Länder dazu gerufen haben. Es gab viele Fälle von Vertreibung, aber die waren begrenzt. Es gab viele Fälle, wo israelische Juden ausdrücklich ihre arabischen Nachbarn gebeten haben zu bleiben. Es gibt sehr viele Facetten von der Gründung des Staates Israel."

So gibt der Leiter der Akademie Bad Boll auch eine israelkritische Einseitigkeit der nun anstehenden Tagung zu. Man habe sich aber im Vorfeld vergeblich um eine ausgewogene Rednerliste bemüht, sagt Hübner: "Es ist aber erreicht worden, dass Herr Dr. Michael Blume als Antisemitismus-Beauftragter der Landesregierung von Baden-Württemberg dabei ist. Zugleich ist eine Vertreterin der Deutsch-IsraelischenGesellschaft anwesend. Und wir haben Herrn Volker Beck dazu eingeladen, an dieser Tagung teilzunehmen und ihm ein Zeitfenster eröffnet."

Bindend ist eine kritische Solidarität mit Israel

Darauf kann der grüne Politiker nur noch ironisch antworten, "drei Tage vor Beginn der Tagung als Zaungast einer BDS-Veranstaltung teilnehmen zu dürfen", könne er terminlich nicht mehr einrichten. Und weiter: "Sie leisten mit dieser Veranstaltung antisemitischen Haltungen Vorschub und dürfen sich hier vor Ihrer Verantwortung nicht wegducken. Sie verschlechtern mit dieser Veranstaltung das Klima für die Juden in unserem Land und Sie bringen Ihre Landeskirche in Verruf."

Akademiedirektor Jörg Hübner aber will die Tagung auf jeden Fall stattfinden lassen. Die Württembergische Landeskirche stehe voll und ganz hinter ihm und es sei Teil des Akademieprogramms, Wagnisse einzugehen: "Die kritische Solidarität mit Israel ist das, was uns antreibt, eine solche Tagung durchzuführen und den Dialog zu suchen. Diese kritische Solidarität mit Israel ist das Leitbild, von dem wir herkommen und das auch uns als Kirche bindet", sagt Hübner.

Update 21.9.: Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, fordert die Absage der Konferenz in Bad Boll.