TV-Tipp: "Einmal bitte alles" (ARD)

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TV-Tipp: "Einmal bitte alles" (ARD)
5.6., ARD, 22.45 Uhr
"Einmal bitte alles": Das ist natürlich ein frommer Wunsch. Tatsächlich wäre Isi schon froh, wenn ihr Dasein in einigermaßen geregelten Bahnen verlaufen würde. Helena Hufnagels Regiedebüt erzählt von einer jungen Frau, die auf der Suche nach ihrem Platz im Leben ist. Im Grunde geht es um einen schmerzlichen Erkenntnisprozess.

Isi, ausgesprochen glaubwürdig und sympathisch verkörpert von Luise Heyer, will nicht einsehen, dass Erwachsenwerden offenbar gleichbedeutend damit ist, sich von den Jugendträumen zu verabschieden. Sie ist 27, hat ein abgeschlossenes Grafikstudium hinter sich und theoretisch ihr ganzes Leben noch vor sich. Ihr großer Traum ist die Adaption von F. Scott Fitzgeralds Klassiker "Die Schönen und Verdammten" als Comicroman; sie hält das 1922 erschienene Buch für verblüffend aktuell. Derzeit macht Isi ein Praktikum in einem Münchener Verlag, aber die arrogante Chefin (Sunnyi Melles) findet die Idee leider längst nicht so gut wie sie. Als sie aus ihrem WG-Zimmer raus muss, weil vor lauter Schimmel die Decke runterkommt, und ihre beste Freundin Lotte (Jytte-Merle Böhrnsen) vor Glück beinahe platzt, weil sie sich erst verliebt, dann verlobt, eine richtige Anstellung findet und schließlich auch noch schwanger wird, hat Isi das Gefühl, irgendwie den Anschluss verpasst zu haben; ihre Mutter war im selben Alter längst verheiratet und hatte bereits zwei Kinder. Als Lotte anfängt, veganen Wein zu trinken und sich mit blasierten Kolleginnen (Julia Hartmann und Annika Blendl in winzigen Gastrollen) zu treffen, kommt es zum Zerwürfnis.

Lebenswege, die ihr Ziel erst erreichen, nachdem sie allerlei Umwege eingeschlagen haben, sind in der Regel die interessanteren; für "Einmal bitte alles" gilt das nicht minder. Dabei gelingt Hufnagel das Kunststück, ihre Heldin allen Rückschlägen zum Trotz nicht in Tristesse versinken zu lassen (Drehbuch: Sina Flammang, Madeleine Fricke). Schon der Einstieg ist witzig, als Isi und eine Spontanbekanntschaft beim Sex von einem alten Mann gestört werden: Was sie für ein Wohnheim hielt, ist in Wirklichkeit ein Altenheim, und der Freund für eine Nacht ist nicht etwa Student, sondern Altenpfleger. Der Tonfall des Films bleibt heiter, obwohl Isi immer weiter nach unten durchgereicht wird: Sie ist pleite und ohne Bleibe. Auf ihre Eltern kann sie auch nicht zählen, denn die haben ihr unmissverständlich klar gemacht, dass sie nun alt genug sei, um auf eigenen Beinen zu stehen. Sie findet zwar ein anderes WG-Zimmer, doch das düstere Loch erinnert eher an eine Gefängniszelle; Hauptmieter Klausi (Maximilian Schafroth), ein ehrgeiziger, aber offenbar nur mäßig talentierter Musiker (seine Band heißt "Beatzeps"), will trotzdem 600 Euro dafür haben. Also versucht Isi irgendwie, sich durchs Leben zu schummeln, und steckt mit bewundernswerter Duldsamkeit einen Rückschlag nach dem anderen weg. Den passenden Soundtrack bietet die Hörbuchversion von Fitzgeralds Roman, vorgelesen von Jessica Schwarz; die Passagen passen perfekt zu Isis Stimmung ("Ihre Tage verloren immer mehr an Farbigkeit"). Trotzdem sorgen die Missgeschicke immer wieder für Heiterkeit, dabei sind auch sie alles andere als witzig: Kaum hat ihr der freundliche Besitzer eines Fahrradladens (Boris Aljinovic) einen Job gegeben, da wird ihr in einem Augenblick der Unachtsamkeit ein teures Rad geklaut; und schon sind die 500 Euro, die sie für Lottes versehentlich geklauten Verlobungsring bekommen hat, wieder weg. Es ist vor allem die absurde Häufung nach dem Motto "Schlimmer geht immer", die für komische Momente sorgt; selbst wenn die stimmige Auswahl der eingespielten Popsongs eher zur Melancholie Fitzgeralds passt.

Gespielt ist das alles vorzüglich; das gilt vor allem für Freundschaftsszenen von Heyer und Böhrnsen. Die auf diese Weise vermittelte Authentizität ist die große Stärke des Films, weil Hufnagel das Lebensgefühl so perfekt trifft: hier die junge Frau (Lotte), die zugunsten der Karriere ihre einstigen Ideale verleugnet, dort die verkrachten Künstler (Klausi), die wider jede Vernunft stur an ihrem Traum festhalten, und dazwischen Isi, die etwas später erwachsen wird. Umso bedauerlicher, dass die ARD ihre "Filmdebüts im Ersten" hartnäckig erst am späten Abend ausstrahlt; "Einmal bitte alles" würde sogar als Freitagsfilm um 20.15 Uhr funktionieren.