Der Volksmund macht es sich wie immer einfach: "Trau, schau, wem", warnt eine heutzutage etwas antiquiert anmutende Redensart. Friedrich Schiller hat die Mahnung in seinem "Lied von der Glocke" so formuliert: "Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet!" Wilhelm Busch hat den zweiten Teil später zu "ob sich nicht was Bess’res findet" verballhornt. Auf Basis dieser Erkenntnis hat sich Sathyan Ramesh eine Handlung ausgedacht, die wie eine klassische romantische Komödie beginnt: Mely und Paul werden in einer Woche heiraten, aber nicht einander.
Für den Abschied vom Single-Dasein haben ihre jeweiligen Freundinnen und Freunde die gleiche Kölner Karaoke-Bar ausgesucht. Vor dem Lokal kommt es zu Handgreiflichkeiten, als ein Rassist Pauls schwarzen Freund als "Buschmann" beleidigt und Mely dem Typen den Stinkefinger zeigt. In der Notaufnahme treffen sich die beiden wieder, und weil sie lange warten müssen, gewähren sie einander derart tiefe Einblicke in ihr Seelenleben, wie man das womöglich nur bei Fremden tut.
Die Situation erinnert an die Intimität eines Beichtgesprächs, wenn auch mit dem Unterschied, dass es hier nicht um Sünden geht. Weil Melys Freund Matthias auf einen Hochzeitstanz besteht, bringt Paul ihr bei, wie man Walzer tanzt. Regisseur Ingo Rasper hat diese Szene dank der aufgehenden Morgensonne in ein beinahe überirdisch schönes Licht getaucht. Als sich Mely und Paul noch weitere Male begegnen – Köln ist, wie man weiß, ein großes Dorf –, wird ihnen klar: So viel Zufall muss Schicksal sein. Tatsächlich gesteht sie ihm ihre Liebe; und das wenige Tage vor der Hochzeit.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
In einer schlichter gestrickten Geschichte wäre völlig klar, wie’s nun weitergeht, weil Matthias sowie Pauls Braut Saskia eindeutig nicht die Richtigen sind, um mit ihnen den Rest des Lebens zu verbringen, während Paul und Mely zweifelsohne für einander geschaffen sind. So einfach macht es Ramesh, Autor einer Vielzahl zuverlässig sehenswerter Romanzen und Komödien, jedoch weder sich selbst noch dem potenziellen Paar oder dem Publikum.
Das gehört zwar zur Dramaturgie solcher Filme, sonst wären sie ja bereits nach dem ersten Akt zu Ende, aber die Entlarvung von Braut und Bräutigam als Irrtum grenzt immer auch an Verrat an den Hauptfiguren: Wie konnten sie nur so blind sein? Tatsächlich entpuppt sich die romantische Einführung recht bald als Köder, denn nun wandelt sich "Nächte vor Hochzeiten" mehr und mehr zum Drama: Gerade für Paul gibt es gute Gründe, die es ihm moralisch kaum möglich machen, die Hochzeitspläne leichtfertig aufzugeben.
Entsprechend wichtig war die Besetzung auch der beiden anderen Rollen. Seyneb Saleh und Anton Spieker haben als Liebespaar im Grunde die leichtere Aufgabe, denn sie müssen nur eins glaubhaft vermitteln: Die Gefühle zwischen Mely und Paul sind so überwältigend, dass plötzlich alles andere egal ist. Hanna Plass verkörpert Saskia jedoch nicht weniger liebenswert, zumal die Medizinstudentin ein ganz erhebliches Problem mit sich herumträgt, das mit den hohen Erwartungen ihres verwitweten Vaters (Jan-Gregor Kremp) zusammenhängt.
Bei Mely und Matthias (Nico Rogner) sind die Schwierigkeiten offenkundiger. Paul hat schon im Krankenhaus erkannt, dass ihre Träume die Träume ihres Freundes sind: Die beiden stehen kurz vor der Eröffnung eines gemeinsamen Restaurants, aber es ist Matthias, der sich mindestens einen Stern vom Himmel kochen will. Seine Teenager-Tochter Amelie (Virginia Leithäuser) gibt Mely die Schuld an der Trennung ihrer Eltern, und Melys Mutter (Siir Eloglu) glaubt ohnehin nicht, dass Matthias ihre Tochter glücklich macht.
Wie Ramesh, der zuletzt zwei Bücher für die heitere ZDF-Reihe "Endlich Witwer" mit Joachim Król geschrieben hat, steht auch Rasper für heitere Unterhaltung mit Anspruch. Sein letzter Film war "Winterwalzer" (2023), eine herzerwärmende weihnachtliche Tragikomödie mit Ulrich Matthes als lebensmüder Tanzlehrer und Nina Kunzendorf als Psychotherapeutin, die ihn inkognito behandeln soll. Zuvor hat der Regisseur unter anderem "Sterben ist auch keine Lösung" (2023) gedreht, eine vortreffliche Komödie mit Walter Sittler als an Krebs erkranktem Rentner, der sein Ableben mit Hilfe einer Schwarzen Witwe (Andrea Sawatzki) beschleunigen will. "Nächte vor Hochzeiten" fügt sich dank des ernsten Kerns und einiger cleverer Handlungswendungen ausgezeichnet in diese Reihe, zumal die Bildgestaltung (Kamera: Andreas Höfer) an den richtigen Stellen moderate, aber sehr wirkungsvolle Akzente setzt.