Hudud und ein Entführungsfall

Ein christlicher Schrein in Malaysia
Foto: Ian Teh/VU/laif
In Malaysia gibt es unter den Kirchen typischerweise eine ethnische Trennung, da sich die Sprachbarriere nicht so leicht überwinden lässt
Hudud und ein Entführungsfall
Angstkultur in Malaysia
Malaysia - das Land in Südostasien galt lange Zeit als tolerant gegenüber allen Religionen. Die Hälfte der Bevölkerung besteht aus muslimischen Malaien, die bis weit in die 1970er Jahre eher liberal waren. Mit der Dakwah, einer islamischen Erweckungsbewegung, setzte jedoch eine Islamisierungswelle ein, so dass Malaysia heute streng islamisch ist.

Zwei Dinge beunruhigen Malaysias Christen derzeit gewaltig. Zum einen wurde vor vier Wochen ein Methodisten-Pastor, Raymond Koh, entführt, von dem seitdem jede Spur fehlt. Zum anderen will der Vorsitzende der islamischen Partei PAS noch in diesem Monat einen Gesetzentwurf zur Einführung des islamischen Strafrechts Hudud einbringen. Ob es zwischen dem Kidnapping und dem Hudud-Gesetz einen Zusammenhang gibt, ist Gegenstand wilder Spekulationen.

Das Hudud-Gesetz sieht die Stärkung der Schariagerichte vor, die zudem für "Vergehen" wie Homosexualität, Seitensprünge, Abkehr von Islam und Alkoholkonsum drakonische Strafen verhängen können sollen, wie sie in der Scharia vorgesehen sind. Malaysia hat schon jetzt ein duales Rechtssystem aus zivilen Gerichten und für Muslime in religions- und familienrechtlichen Fragen Schariagerichte.

Angst der Christen: Hudud könnte für alle gelten

Die PAS ist klein und in der Opposition. Das Hudud-Gesetz wäre daher nicht der Rede wert, würde es nicht von Malaysias Regierung unterstützt. Hudud werde nur für Muslime gelten, versichern PAS und die regierende United Malays National Organization (UMNO) unisono. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte heißt: ist das Hudud erst Realität, so die Angst der Christen, wird es über kurz oder lang auch für Nicht-Muslime gelten, wie es im benachbarten Brunei und in der indonesischen Provinz Aceh bereits der Fall ist.

"Für die UMNO ist das Hudud-Gesetz lediglich ein weiteres Mittel, sich als Beschützer des Islam aufzuspielen und gleichzeitig von den wahren Problemen wie Korruption, Preissteigerungen und dem Verfall unserer Währung abzulenken", sagt der politische Karikaturist Zunar, 54, während er in seinem kleinen Büro in Kuala Lumpur einen aktuellen Cartoon zeichnet, den er später auf Facebook und Twitter veröffentlichen wird. Seine Bücher sind in Malaysia verboten und die staatlich kontrollierten Medien dürfen Zunar nicht mehr veröffentlichen.

Zur Korruption kein Wort

"Für die Ablenkung benutzt sie jetzt auch den Mord an Kim Jong Nam", sagt Zunar lachend und hält die Karikatur hoch. Sie zeigt Premierminister Najib Razak, der die Kriegstrommel schlägt, auf der "Nordkorea" zu lesen ist. Najib steht bei seiner Trommelei auf einem Teppich, unter den er Skandale wie 1MDB und geheime Waffenverkäufe an Nordkorea gekehrt hat. Kim Jong Nam, Halbbruder des nordkoreanischen Diktators Kim Jong Un, war am 13. Februar auf dem internationalen Flughafen von Kuala Lumpur von zwei Frauen mit dem Nervenkampfstoff VX ermordet worden.

Der malaysische Karikaturist "Zunar ".

Die PAS meint es Ernst mit dem Hudud. Die UMNO nicht wirklich. "Hudud ist ein weiteres Instrument zur islamischen Indoktrinierung der malaiischen Muslime", sagt der Muslim Zunar. "Die Gehirnwäsche fängt schon in der Schule an. Minderheitsreligionen und ethnische Minderheiten, vor allem die Chinesen, werden schlecht geredet. Das setzt sich in den Moscheen fort. Die Freitagspredigten werden zentral von der Islambehörde verfasst. Zur Korruption ist von denen nichts zu hören."

Wegen seiner witzigen und gleichzeitig beißenden satirischen Politkarikaturen ist der mit vielen internationalen Menschenrechts- und Journalistenpreisen ausgezeichnete Zunar neun Fällen wegen Volksverhetzung angeklagt.

Malaysia wird seit 60 Jahren von der Parteienkoalition Barisan Nasional (BN) regiert. In der BN ist die UMNO, die Partei der Mehrheitsethnie der Malaien, die absolut dominierende Kraft. Die laut Verfassung muslimischen Malaien genießen gegenüber den ethnischen Minderheiten der Inder und Chinesen eine Reihe von politischen, sozialen und wirtschaftlichen Privilegien.

"In den 60 Jahren ihrer Herrschaft hat die UMNO die absolute Kontrolle über das Land gefestigt", sagt Hermen Shastri gegenüber evangelisch.de. Der Generalsekretär des Kirchendachverbands Council of Churches of Malaysia fügt hinzu: "Es ist für viele Malaysier kaum noch vorstellbar, außerhalb der gewohnten Bahnen zu denken. Es herrscht eine Kultur der Angst."

Der Islam als politische Waffe

Hermen Shastri ist der Generalsekretär des Kirchenverbandes Council of Chruches of Malaysia.

Mit der Hudud-Drohung wird die Angstkultur weiter angeheizt. Denn UMNO/BN regieren nicht mehr ungefochten. Bei der Wahl 2008 verlor die BN ihre komfortable Zweidrittelmehrheit im Parlament und ihren knappen Machterhalt bei der Wahl 2013 verdankte sie nur noch dem Mehrheitswahlrecht. Jetzt deuten viele Anzeichen darauf hin, dass Premierminister Najib Razak seine angeschlagene Regierung noch in diesem Jahr durch vorgezogene Neuwahlen retten will.

In ihrem verzweifelten Kampf um die Macht setzt die UMNO verstärkt den Islam als politische Waffe ein. Ihre letzte Hochburg ist die konservative muslimische Landbevölkerung. Die gilt es mit diffusen Warnungen vor der Bedrohung des Islam durch einen Wahlsieg der angeblich von Christen und Chinesen gelenkten Opposition bei der Stange zu halten. "Die UMNO präsentiert sich als Verteidiger des Islam. Deshalb unterstützt sie die Hudud-Initiative der PAS", sagt Hermen Shastri.

Die Minderheitsreligionen warnen vor einer Aushöhlung der Verfassung durch das Hudud-Gesetz. Das Gesetz stelle die "in der Verfassung festgeschriebene säkulare Grundlage" unserer Nation in Frage, warnt der "Malaysische Konsultativrat der Buddhisten, Christen, Hindus, Sikhs und Taoisten" (MCCBCHST).

Entführung als Warnung?

Was hat nun das Hudud mit der Entführung von Pastor Raymond Koh zu tun? Auf den ersten Blick nichts. Das mag so sein. Es kann aber auch sein, dass die Entführung als Warnung an alle jene gedacht ist, die gegen Hudud Sturm laufen. Die Botschaft: seht euch vor. Wir muslimische Malaien haben die Macht.

Der Methodistische Pastor Raymond Kohl wurde vor vier Wochen entführt.

Aber das ist reine Spekulation. "Er ist verschwunden und wir tappen bei den Fragen, wer ihn entführt hat, warum sie das getan haben und wohin sie ihn gebracht haben, im Dunkeln", betonte Susanna Liew, die Ehefrau des Pastors, in einer Erklärung am 13. März, auf den Tag genau einen Monat nach der Entführung.

Nur soviel ist belegt: die Entführung war professionell organisiert. Am 13. Februar um 10:30 Uhr wurde der Honda Accord des Pastors auf der Straße SS4B/10 in Petaling Jaya, einer Nachbarstadt von Kuala Lumpur, von drei großen SUVs gestoppt. In weniger als einer Minute hatten die Entführer die Gewalt über das Auto des Pastors übernommen. Ein viertes Fahrzeug stoppte zusammen mit mindestens zwei Motorradfahrern den nachfolgenden Verkehr. Das zeigt eine zufällige Videoaufnahme durch eine Überwachungskamera eines Hauses nahe am Entführungsort. Das Video war vor kurzem von malaysischen Medien veröffentlicht worden.

Verdacht gegen Koh: Misssionierung von Muslimen

Pastor Koh steht seit langen bei der Islambehörde im Verdacht, Muslime zum Christentum zu konvertieren. 2011 war ein von Koh und seiner Stiftung Harapan Komuniti organisiertes Fundraisingdinner in den Räumen der Damansara Utama Methodist Kirche Ziel einer gemeinsamen Razzia der Islambehörde und der Polizei. An dem Fundraisingdinner hatten auch Muslime teilgenommen. Die Stiftung Harapan Komuniti kümmert sich um Arme und Menschen mit HIV, von denen die meisten muslimische Malaien sind. Selbst prominente Muslime weisen den Verdacht der Missionierung von Muslimen durch Pastor Koh zurück.

Im Fall von Kim Jong Nam hat die Polizei zügig ermittelt und Premierminister Najib Razak legt sich demonstrativ mit Nordkorea an. Um so größer ist bei der Familie von Raymond Koh und unter vielen Malaysiern die Verwunderung über die Unfähigkeit der Polizei, in den vier Wochen seit der Entführung Kohs auch nur den Hauch einer Spur zu finden. Zwar wurde kürzlich ein Mann verhaftet, der ein Lösegeld gefordert hatte. Aber es scheint sich um einen Trittbrettfahrer zu handeln.

Der Karikaturist Zunar sagt: "Wäre ein Imam entführt worden, hätten die Behörden Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um ihn zu finden."