"Vom Himmel hoch"

Stahlstich von 1843 von Carl August Schwerdgeburth (1785-1878) "Martin Luther im Kreise seiner Familie zu Wittenberg am Christabend 1536".
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Stahlstich von 1843 von Carl August Schwerdgeburth (1785-1878) "Martin Luther im Kreise seiner Familie zu Wittenberg am Christabend 1536".
"Vom Himmel hoch"
Luthers Weihnachtslieder als theologisches Manifest
Martin Luther im Kreise seiner Familie, singend und Laute spielend, in mittelalterlicher Stube unterm glänzenden Weihnachtsbaum: Das Bild ist eine Ikone des Protestantismus.
16.12.2016
epd
Renate Kortheuer-Schüring

Auch wenn die Luther-Weihnacht in dieser Form der historischen Realität von 1536 kaum entsprochen hat - der Christbaum war noch nicht erfunden -, so spiegelt sich in den im 19. Jahrhundert verbreiteten Darstellungen doch ein ganz besonderer Aspekt der Reformation: die Musik wird zur Trägerin der frohen Botschaft. Luther selbst musizierte mit Lust. Er schrieb mehr als 30 Kirchenlieder - darunter auch das bekannte Weihnachtslied "Vom Himmel hoch, da komm ich her".

Aus der Stahlradierung von Carl A. Schwerdtgeburth "Luthers Familie unter dem Christbaum" (1843) scheint dieses Lied förmlich zu leuchten. Luther hatte "Vom Himmel hoch" wohl 1534 zur Bescherung für seine Kinder geschrieben; vielleicht sogar speziell für seine Tochter Margarete, die im Advent geboren wurde. Der Text folgt einem Teil der Weihnachtsgeschichte: Engel, Hirten und letztlich die Gläubigen selbst kommen darin wie in einem Krippenspiel zu Wort, um den neugeborenen Heiland zu verehren.

Ein mittelalterliches Spielmannslied

Dass Luther seinem fünfzehn Strophen umfassenden Gedicht zunächst die Melodie eines Gassenhauers beigab, tat der heiligen Sache keinen Abbruch. Die sogenannte Kontrafaktur war damals verbreitet; neu war es allerdings, weltliche Weisen in geistliche Musik zu transponieren. Dies dürfte - neben dem Buch- und Notendruck - auch dazu beigetragen haben, dass sich die reformatorischen Gedanken so rasch und weit verbreiteten, wie der evangelische Theologe Johann Hinrich Claussen in seiner "Geschichte der Kirchenmusik" schreibt.

"Vom Himmel hoch" ging ursprünglich auf ein mittelalterliches Spielmannslied zurück: "Ich kumm auß fremden landen her und bring euch vil der newen mär", hieß es, Luther übernahm die erste Strophe mit kleinen Abwandlungen fast komplett. Einige Jahre später komponierte er jedoch noch eine eigene Melodie dazu - diejenige, auf die das Lied bis heute gesungen wird.

Als Luthers theologisch bedeutendster Choral gilt allerdings ein anderes Weihnachtslied. "Nun freut euch, lieben Christen g'mein", 1523 als Flugblatt veröffentlicht, enthalte in Versen und Tönen Luthers ganzes theologisches Programm, erklärt Claussen. Das heute seltener gesungene zehnstrophige Lied handelt von Gottes Gnade, der Geburt des Erlösers Jesus Christus und der Rechtfertigung des Sünders. Mit der Kernthese, dass der Mensch sein Heil allein aus göttlicher Gnade gewinnen kann und nicht aufgrund eigener Anstrengungen, löste Luther vor 500 Jahren die Reformation aus. Seine Theologie ist den Protestanten allerdings inzwischen fremd geworden, wie Claussen einräumt.

Zur Zeit der Reformation dagegen wurde "Nun freut euch, lieben Christen g'mein" zu einem wichtigen Hymnus. Der "Urkantor" der evangelischen Kirche, der Kirchenmusiker Johann Walter (1496-1570), schrieb, das "Liedlein Lutheri" habe "viel hundert Christen zum Glauben bracht...", die sonst von dessen Lehre nichts hätten wissen wollen. "Die geistlichen Lieder haben nicht wenig zur Ausbreitung des Evangeliums geholfen", berichtete der Kantor, der 1525 mit Luther die deutsche Messe entwickelte und das erste evangelische Gesangbuch herausgab. Für viele seien die Lieder Luthers auch Tröster in Todesnot geworden.

In dem bewegten Rhythmus des Weihnachts-Chorals sind Hüpfen und Freudensprünge angedeutet. Zum Singen, Tanzen und Springen angesichts der frohen Botschaft fordert Luther auch im Text auf: "... lasst uns fröhlich springen, / dass wir getrost und all' in ein, / mit Lust und Liebe singen".

An den berührenden Volkston des Lieds "Vom Himmel hoch" reicht der Choral indes nicht heran. Im Lauf der Jahrhunderte griffen viele Komponisten die Melodie dieses "Kinderlieds" auf und verwendeten sie neu, zuerst Johann Sebastian Bach (1685-1750). In seinem berühmten "Weihnachtsoratorium" finden sich allein drei Choräle, die auf Luthers "Vom Himmel hoch" fußen; auch ein Orgelwerk im kontrapunktischen Stil hat Bach dem Lied gewidmet (1748). Felix Mendelssohn Bartholdy, Max Reger und Igor Strawinski ließen sich ebenso von dem Engelsgesang inspirieren.

Musikalisch-theologisch standen sie damit in der Tradition des leidenschaftliche Sängers aus Wittenberg, der "von der Musica so herrlich zu reden wusste" (Kantor Walter) und sie der Theologie gleichstellte. Bis heute wird dies an Weihnachten und seinen Liedern für viele Menschen besonders spürbar: Dass das Evangelium eine "gute Nachricht" ist, wie Luther sagt, "davon man singet, saget und fröhlich ist".