TV-Tipp: "Was im Leben zählt" (ZDF)

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TV-Tipp: "Was im Leben zählt" (ZDF)
7.9., ZDF, 20.15 Uhr: "Was im Leben zählt"
In der Wirklichkeit sind fast vier Jahre vergangen, im Film nur sechs Monate: Kurz vor Weihnachten hat das ZDF 2012 "Obendrüber, da schneit es" gezeigt, eine tragikomische Sammlung kleinerer und größerer Dramen, die sich in einem Münchener Mietshaus zutrugen. Während es beim Ensemble den einen oder anderen Wechsel gegeben hat, sind die beiden maßgeblichen Frauen hinter der Kamera die gleichen: Vivian Naefe hat Regie geführt, das Drehbuch stammt erneut von Astrid Ruppert, die damals ihren eigenen Roman adaptiert hatte. Treu geblieben ist sich das Duo auch hinsichtlich der Erzählweise, die diesmal aber nicht mehr ganz so flüssig funktioniert: Wie eine tägliche Serie hüpft der Film von Etage zu Etage und somit von Ebene zu Ebene, ohne die Handlungsstränge harmonisch miteinander zu verbinden.

Kleine Schwächen gibt es auch bei den Dialogen: Die Sätze, die Wotan Wilke Möhring als protestantischer Pfarrer von sich geben muss, klingen samt und sonders wie aus einem spirituellen Abreißkalender, zumal er sie auch vorträgt, als seien sie in Stein gemeißelt. Andererseits passt diese Art sowohl zur Persönlichkeit des Priesters, für den die praktizierte Nächstenliebe an erster Stelle steht, wie auch zu dem Druck, der auf ihm lastet: Gregor liebt die Sängerin Miriam. Die alleinerziehende Mutter hat sich von ihrem Mann Jan (Max von Thun) getrennt, ist aber noch nicht geschieden, weshalb Gregors Verhältnis in seiner Gemeinde für viel Unmut sorgt. Da der Pfarrer noch in der Probezeit ist, stellt der Kirchenvorstand ihm ein Ultimatum. Als besonders bigott entpuppt sich dabei eine ältere Dame; seltsam, dass die Repräsentanten der jeweiligen Kirchengemeinde in so vielen Filmen die Antagonisten der Pastoren sind. Entsprechend harsch fällt die Moralpredigt aus, die Gregor am Ende hält.

Als mindestens ebenso großes Problem für die Beziehung zwischen den Liebenden entpuppt sich jedoch der rückkehrwillige Jan. Eine Wiedervereinigung kommt für Miriam zwar nicht infrage, aber Tochter Julchen macht sich große Hoffnungen, und Miriam will ihr eigens Glück nicht über das des Mädchens stellen. Die junge Lara Sophie Rottmann hält sich neben den prominenten Schauspielern ausgezeichnet. Im ersten Film hat noch Diana Amft die Rolle der Mutter gespielt, nun wird Miriam von Petra Schmidt-Schaller verkörpert, was schon allein deshalb eine schöne Sache ist, weil sie und Möhring gewissermaßen die Romanze ausleben können, zu der es in ihren sechs gemeinsamen "Tatort"-Krimis bis 2015 nur in Ansätzen gekommen ist. Die nicht ganz einfache Beziehung zwischen dem Priester und der Jazz-Sängerin bildet das Rückgrat des Films, allerdings nur strukturell, weitere Anknüpfungspunkte zu den anderen Strängen sind rar; das ist der Hauptgrund dafür, warum die verschiedenen Erzählebenen nebeneinander herlaufen. Nur ganz selten gibt es filmische Verknüpfungen wie jene, als die Kamera das Haus mit den einen Bewohnern verlässt, um mit den anderen wieder zurückzukehren.

Beim Rest des Ensembles sind die Veränderungen inhaltlicher Natur: Der etwas verstaubte Achim (August Zirner) ist Strohwitwer, weil Gattin Waldi (Gisela Schneeberger tritt nur in einer Rückblende auf) nach Goa gereist ist, um sich selbst zu finden. Ihre Rolle übernimmt nun quasi die junge Berlinerin Lori (Nina Gummich), die sich Achim als Putzfrau andient. Zunächst nimmt sie ihn nach Strich und Faden aus, aber dann bekommt sie Krach mit ihrem Freund und zieht zum Entsetzen von Achims Tochter bei ihm ein. Wie Achim dank Loris provokanter Lebenslust aus seinem Dornröschen geweckt wird, ist berührend inszeniert und von Zirner wunderbar gespielt, zumal der ältere Herr seine vergessene Liebe zur Querflöte wiederentdeckt und schließlich sogar gemeinsam mit Miriam auftritt (Schmidt-Schaller singt allerdings nicht selbst). Zur Gemeinschaft werden die Hausbewohner, als der verwitwete alte Eberling (Fred Stillkrauth) vergisst, seinen Herd auszumachen. Die Feuerwehr kann größeren Schaden verhindern, aber angesichts der möglichen Katastrophe rücken alle näher zusammen, und unverhofft ergeben sich sogar für Michael (Thomas Loibl), alleinerziehender Vater einer kessen pubertierenden Tochter (Janina Fautz), deren erste Liebe ihm gar nicht geheuer ist, neue Beziehungsperspektiven. Gerade die vielen lebensnah umgesetzten Alltagsbeobachtungen sorgen dafür, dass "Was im Leben zählt" den Einwänden zum Trotz eine sehenswerte Sammlung unterschiedlichster kleiner und großer Geschichten ist; eine Vielzahl emotionaler Anknüpfungspunkte hat der Film ohnehin zu bieten.