Pfarrhaus verkauft, Gemeinde entzweit

Das Oberholzklauer Pfarrhaus, erbaut 1608.
Foto: Karlfried Petri/Kirchenkreis Siegen
Das Oberholzklauer Pfarrhaus, erbaut 1608, gehört nicht mehr der Kirchengemeinde.
Pfarrhaus verkauft, Gemeinde entzweit
Das älteste Pfarrhaus in der Evangelischen Kirche von Westfalen, Baujahr 1608, ist verkauft worden. Der Verkauf spaltet die Gemeinde in Oberholzklau, Siegerland. Welche Rolle spielt Geld und wie wichtig sind Symbole für die kirchliche Gemeinschaft?

Oberholzklau. 627 Einwohner. Lustiger Name. Siegerland at its best. Mensch ist hier stolz auf ein religionsgeschichtliches Kleinod: Eine Kirche, erbaut im 13. Jahrhundert, daneben ein Pfarrhaus, das summa summarum 39 Oberholzklauer Pfarrern seit 1609 ein Heim bietet - ein, zwei Katholiken darunter, sonst nur Reformierte -, eine Pfarrscheune, die den Pfarrern früher ein wenig Nahrung  bot. Der Pfarrbackes, in dem energieeffizient Brot für das gesamte Dorf gebacken wurde, der Pfarrwald, aus dem der Betriebsstoff kam, und der Pfarrfischteich. Quasi konzentriert der Lebensstil vergangener Jahrhunderte. Ein nicht ernanntes Museum für dörfliche Kirchengeschichte.

Sage keiner, in Oberholzklau wäre es ruhig. Denn der 40. Pfarrer will nicht in das Pfarrhaus von 1608 einziehen, wie es seine Vorgänger klaglos taten. Im Gegenteil: Er hat es verkauft, an eine junge Familie aus Oberholzklau, zu einem ungenannten Preis, wenn auch nicht für einen Euro, wie kolportiert, und er weiß den Superintendenten hinter sich, und das Landeskirchenamtes auch. Oliver Günther ist seitdem bei Teilen seiner Gemeinde persona non grata, andere stehen zu ihm. Auch die Pfarrscheune, erheblich sanierungsbedürftig, soll verkauft werden. Zum Pfarrbackes befinde man sich in Gesprächen.

Im September 2015 ist Oliver Günther aus Nordbrandenburg, wo er zwei Jahre lang Superintendent gewesen ist, nach Oberholzklau berufen worden. Damals war die ganze Misere in den Gemeindefinanzen schon bekannt, und die Vorbereitungen für den Verkauf des Pfarrhauses schon getroffen, für die Aufgabe des Gemeindezentrums im Ort ebenso. Man hatte das bereits in einer Versammlung besprochen, sagt Günther. Denn die Gemeinde ist arm. Alljährlich klafft ein Defizit im Haushalt. Das Dach des Pfarrhauses sei fällig, sagen Handwerker, das denkmalgeschützte Innenleben auch. Heizung, Fenster, Dämmung, Fensterbänke - 100.000, vielleicht 200.000 Euro. "Das kann sich die Gemeinde nicht leisten", sagt der Pfarrer.

Der Käufer unterschrieb gegen den Verkauf

Günther wolle einfach nicht in das Pfarrhaus einziehen, sagt Gemeindemitglied Alfred Becker, dafür nehme der Pfarrer in Kauf, alles zu verhökern, was die Gemeinde insgesamt ausmache. Die Sanierungskosten seien gewissermaßen bedarfsgerecht gestiegen, um den Verkauf argumentativ zu unterfüttern. Günther wohne jetzt zur Miete, zum doppelten Preis, mit Mietzuschuss. Becker stellt Fragen: Warum hat denn die Gemeinde keine gesonderten Rückstellungen für die Sanierung des Pfarrhauses angelegt? Kam der Sanierungsstau überraschend? Es bildete sich ein Arbeitskreis, der die Verkaufsplanung kritisch unter die Lupe nimmt.

Der Pfarrbackes am Fischteich: Früher wurde hier Brot gebacken, später wurde er zu einem kleinen Gemeinderaum umgebaut.

Alfred Becker und seine Frau Cornelia gehören zu jenem Kreis von Kritikern, die den Verkauf des Pfarrhauses rigide ablehnen. 418 Menschen haben eine Unterschriftenliste gegen den Verkauf unterschrieben, darunter auch die späteren Käufer. Es werde eine Tradition zerstört, kirchenrechtliche Ungereimtheiten beim Verkauf gebe es auch. Und der Pfarrer wolle den Rest des Häuser-Ensembles auch noch schnell verkaufen, weil er sonst den erzielten Kaufpreis in seine verbliebenen Denkmäler stecken müsse. Hier werde "schnell und unüberlegt eine Tradition verworfen, dass Glaube und Verkündigung Ausdruck auch in Gebäuden finden und gerade historische Kirchengebäude mit ihrer besonderen Bedeutung offensichtlich gemäß dem 'Neuen Kirchlichen Finanzmanagement' oft nur noch als Ballast empfunden werden".

Das ist letztlich die Kernfrage: Funktioniert Kirche nur mit äußeren Symbolen, oder darf man Gläubigen zumuten, ihren Glauben aus sich heraus zu entwickeln? Pfarrhäuser, sagt der Siegener Superintendent Peter-Thomas Stuberg, seien ja auch eine Projektionsfläche für eine Werteordnung. Aber dann müsse man fragen, welche Werte darauf projiziert werden, und ob das nicht Werte seien, die dem Gottesdienst zugeordnet werden müssten. 

Superintendent Stuberg ist dem Pfarrer in Oberholzklau zur Seite gesprungen. Die Verkaufsplanungen seien in Gemeindeversammlungen diskutiert worden, erklärt Stuberg. Die meisten Gemeindemitglieder hätten sich mit dem Verkauf versöhnt. Nun habe man eine wundervolle Lösung gefunden, sagt Pfarrer Günther. Das Pfarrhaus sei verkauft und bleibe im Ort. Als habe es eine Abrissplanung gegeben.

"Es gibt im Ort sehr unterschiedliche Meinungen zu diesem Thema", sagt der Käufer Udo Schwarz. "Darüber haben wir uns große Gedanken gemacht, dass das auch zu Diskrepanzen führen kann. Uns gegenüber wurde dieser Unmut aber nicht artikuliert." Ihm liege das Gebäude sehr am Herzen, sagt der neue Besitzer, der das Fachwerkhaus jetzt bezugsfertig machen und dann Schritt für Schritt sanieren will.

Und die anderen Gebäude in dem historischen Ensemble? Die Untere Denkmalbehörde ist sehr aufmerksam. Das Presbyterium solle sich grundlegende Gedanken machen, wie die Zukunft des Komplexes rund um den Fischteich aussehen könnte. Die Pfarrscheune solle auf jeden Fall saniert werden, und Umbauarbeiten in der fast 800 Jahre alten Kirche werden befürwortet, aber nur, wenn sie der Barrierefreiheit dienen. Der Architekt des Landeskirchenamtes hat sich die Pfarrscheune kurz angesehen und festgestellt, dass eine Sanierung auf jeden Fall zu teuer wird. Der Pfarrer hält die Aufgabe der Pfarrscheune für unvermeidlich. Über den Backes wird diskutiert.

Verletzungen auf beiden Seiten

Kirchenrechtlich, sagt Stuberg, sei der Verkauf des Pfarrhauses geprüft, völlig in Ordnung und aus Sicht des Gemeindehaushaltes unabweisbar. Es sei genau die Frage, ob man auf die Gefahr des Untergangs der Gemeindefinanzen weiter "in Immobilien investiert bleiben" dürfe. Die Gemeinde habe das Geld über die Jahre nicht zum Fenster hinausgeworfen und sich in den vergangenen Jahren übernommen. Es gebe auch keine Spaltung in der Gemeinde, eben nur jenen Arbeitskreis, bestehend aus "ganz wenigen Mitgliedern". Dennoch macht Pfarrer Günther den Gottesdienst am 21. Mai zum Plebiszit. Er bittet darum, Solidarität durch Gottesdienstbesuch zu üben.

Alfred Becker geht nicht in den Solidaritätsgottesdienst, er will nicht mehr. Er hat gehört, Günther habe in seiner Predigt darum geworben, die Spaltung in der Gemeinde zu beenden. Die Spaltung, die es angeblich nicht gebe, fügt Becker an. Traurig klingt es. Die Familie will aus der Kirche austreten. Doch Becker hat auch einen Termin mit dem Anwalt. Er will die Angelegenheit, die für ihn inzwischen eine Angelegenheit Günther geworden ist, juristisch und kirchenrechtlich geklärt haben.

Mitarbeitende der Gemeinde mit Superintendent Peter-Thomas Stuberg (links) und Pfarrer Oliver Günther (2. von links).

Pfarrer Günthers Bitte um Solidarität, die Klage über persönliche Diffamierungen und über das mediale Zerrbild, das vom Arbeitskreis verbreitet werde, steht nach wie vor auf der Homepage der Kirchengemeinde. Nach wie vor ist die Kommunikation gestört. Das Pfarrhaus ist kein Pfarrhaus mehr, der Männerkreis hat sich aus Zorn aus der Gemeinde verabschiedet. Man spürt Verletzungen auf beiden Seiten.

Mag sein, dass man viele zurücklassen wird, die nicht lassen können, auch und sogar in diesem nüchternen Landstrich, in denen zu religiösen Symbolen eigentlich eine sachliche Beziehung gepflegt wird. Man wird auch viele zurücklassen, die es nicht einsehen wollen, dass das Vorhandensein oder das Fehlen von Geld die Richtschnur für die Struktur und Organisation einer Kirchengemeinde sein kann.

Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern nach der zukünftigen trachten wir. Aber sicher kann man hier nicht sein.