"Dummheit gibt es in jeder Religion"

Katrin Göring-Eckardt, B’90/Grüne, Fraktionsvorsitzende und Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA) diskutieren in der Sendung "hart aber fair".
Foto: WDR/Oliver Ziebe
Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende von B’90/Grüne, und Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes diskutieren in der Sendung "Hart aber fair".
"Dummheit gibt es in jeder Religion"
"Terror im Namen Gottes – hat der Islam ein Gewaltproblem?" – es ist nicht das erste Mal und ganz sicher auch nicht das letzte Mal, dass eine deutsche Talkshow dieses Thema diskutiert.

Frank Plasberg nimmt für seine Sendung "Hart aber fair" die Terroranschläge vom 22. März in Brüssel zum Anlass, darüber zu diskutieren. Der sogenannte "Islamische Staat" (IS) hatte sich zu den Attentaten bekannt.

Die Rezeptur der Sendung ist vertraut – begonnen bei der Gästeauswahl: Abdassamad El-Yazidi, hessischer Landesvorsitzender des Zentralrats der Muslime, sieht im Kampf gegen Terroristen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Der Islam ist für ihn in erster Linie eine friedliche Religion. Von den anderen Gästen wird er immer wieder aufgefordert, sich von radikalen islamistischen Strömungen wie dem IS zu distanzieren. Darauf lässt er sich jedoch nicht ein. Für Constantin Schreiber, n-tv-Moderator, ist der Terrorismus Teil des Islams. Zwischen beiden steht Katrin Göring-Eckardt, Fraktionschefin der Grünen. Außerdem ist noch BKA-Chef Holger Münch da, der – soweit es die Situation zulässt – Einblicke ins Gefahrenpotenzial in Deutschland gibt. Der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn versucht den Blick auf den Nahen Osten zu weiten und erzählt außerdem von seiner jüdischen Religion.

Auch die Instrumente, mit denen Plasberg arbeitet, sind nicht originär: Ein Reporter liest in der Fußgängerzone vermeintlich Suren aus dem Koran vor – die Fußgänger empören sich: Solche Sätze passten nicht nach Deutschland. Erst dann werden sie darüber aufgeklärt, dass es Verse aus der Bibel, vornehmlich dem Alten Testament sind. Auch der Wutausbruch von Amr Adeeb ist schon kurz nach den Anschlägen durchs Netz kursiert. Adeeb sieht eine klare Linie vom Islam zu den Anschlägen.

Exegese in der Debatte

Hätte sich Plasberg das Thema also schenken können? Nicht unbedingt. Denn der Terrorismus in Europa bewegt die Menschen. Einen Zusammenhang zum Islam sieht ein Großteil der Bevölkerung, das zeigt ein Einspielfilm in der Sendung. Es geht also um Ängste – und um eine Einordnung der Fakten. Göring-Eckhardt erinnert zum Beispiel daran, dass die meisten Opfer des IS-Terrors Muslime seien und warnt davor, verallgemeinernd von "dem Islam zu sprechen". Auch verweist die ehemalige Präses der Synode der EKD darauf, dass von den in Deutschland lebenden Muslimen nur ein sehr kleiner Teil gewaltbereit sei.

Da neben der bekennenden Christin und dem Muslim El-Yazidi mit Wolffsohn auch die dritte abrahamitischen Religion vertreten ist, bietet sich ein Exkurs zur Exegese an. Fehlende Aufklärung sei ein innerislamisches Problem, sagt der Historiker. Doch der Westen könne nicht als Gouvernante auftreten – vielmehr müsse man sich auf Augenhöhe begegnen. "Wir können aber gemeinsam einen Prozess einleiten, der im Christen- und Judentum schon lange vorhanden ist. Nämlich die Wortwörtlichkeit der Texte zu verändern." Auf Göring-Eckardts Hinweis, dass es die wörtliche Auslegung auch in Teilen der christliche Kirche gebe, ergänzt Wolffsohn, dass sich Dummheit nicht auf eine Religion beschränke.

Die "4 Ms" der Radikalisierung?

Doch wie ist der Zusammenhang zur Gewalt und dem Islam? El-Yazidi betont, dass es Gewalt auch im Namen anderer Religionen gebe. Münch zitiert die "vier Ms" in der Biografie islamischer Gefährder: Männlich, Misserfolg, häufig Migrationshintergrund und häufig muslimisch. Doch dass diese Muster nicht immer so einfach sind, zeigt das Beispiel Dominic Musa Schmitz. Als Kind deutscher Eltern konvertierte er eines Tages zum islamischen Salafismus. Im eindrucksvollen Einzelgespräch mit Frank Plasberg erzählt Schmitz nicht nur, wie er von der radikalen Glaubensform weggekommen ist, sondern auch, wie sein Weg dorthin war. Beginn war für ihn die Scheidung seiner Eltern und Misserfolge in der Schule: "Ich war Mitläufer, der gerne stark gewesen wäre. Ich wollte Everybodys Darling sein, konnte es aber nicht."

Seine Biografie sei typisch, sagt Münch. Allerdings nicht nur für islamische Extremisten, sondern auch für die Biografie radikal Linker oder Rechter. Eine Studie (allerdings nur mit 39 Teilnehmern) habe ein Muster gezeigt: Es radikalisieren sich vor allem junge Leute, die Schwierigkeiten mit Entwicklungsthemen haben, denen der Rückhalt im Freundeskreis und in der Familie fehlt. Bei jungen Menschen mit muslimischem Hintergrund komme noch die Suche nach der eigenen Identität dazu. So sind sich am Ende alle zumindest darin einig, dass hier ein wichtiger Ansatzpunkt liegt, um Jugendliche vor der Radikalisierung zu schützen. Denn: Wenn der Weg in den Extremismus oft sehr ähnlich ist, dürfte es mit dem Weg raus auch ähnlich sein.