Glauben heißt nicht nur beten

Foto: Sonja Poppe
Vom kalten Wetter lassen sich die Klimapilger auf ihrem Weg nach Paris nicht abhalten.
Glauben heißt nicht nur beten
Herausfinden, was wirklich wichtig ist im Leben. Zeit mit den Kindern verbringen. Das Einfache schätzen lernen. Zuhause endlich die alte Zisterne wieder füllen. Auf dem "Ökumenischen Pilgerweg für Klimagerechtigkeit" von Flensburg nach Paris kommen nicht nur die Füße in Bewegung, sondern auch der Kopf.

Kalt und diesig ist es an diesem Oktobermorgen. Die Menschen, die aus allen Richtungen auf die Christuskirche Hasbergen im südlichen Landkreis Osnabrück zuströmen, lassen sich davon nicht beeindrucken. Gut gelaunt laden sie einen Teil ihres Gepäcks in einen bereitstehenden Transportwagen und betreten die warme Kirche. Etwa 85 Pilger haben sich hier eingefunden, einige laufen schon seit Tagen oder Wochen mit, andere werden nur die heutige Etappe mitgehen.

Die Orgel spielt, auf dem Altar brennen die Kerzen. "Selig sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit", zitiert Superintendent Friedemann Pannen aus der Bergpredigt, "auch der Weg nach Paris soll ein Weg der Gerechtigkeit sein". Gemeinsam begrüßen die Pilger den Tag mit dem Lied "Morgenlicht leuchtet" (Morning has broken). Anschließend ist Zeit für eine stille Andacht. Dann empfangen die Pilger den Reisesegen und machen sich auf den Weg durch die herbstliche Landschaft Richtung Lengerich in Westfalen.

Wasser nach Paris tragen

Sie pilgern für Klimagerechtigkeit. Mit der Initiative "Geht doch! Ökumenischer Pilgerweg für Klimagerechtigkeit" möchten Landeskirchen, Diözesen, christliche Entwicklungsdienste, Missionswerke und Jugendverbände Menschen auf den Weg in eine gerechtere und klimabewusstere Zukunft bringen. Gestartet sind die ersten Pilger im Juni 2015 am Nordkap. Auf traditionellen Pilgerwegen geht es unterbrochen von Zeiten der Stille, Workshops, Ausstellungsbesuchen und Vorträgen bis nach Paris.

Ganz unterschiedliche Menschen haben sich hier zusammengefunden. Da ist ein Lehrer aus Dortmund, der mit einer kleinen Gruppe nur einige Tage mitpilgert. Irgendwie müsse man anfangen, das Thema Klimagerechtigkeit bewusst zu machen, meint er. Pfarrer Michael Brendler aus Lemgo läuft mit seinen Kindern ein paar Tage mit. Er stammt ursprünglich aus Thüringen und möchte neben der Auseinandersetzung mit der Klimafrage auch eine intensive Zeit mit den Kindern verbringen und die Landschaft im Westen kennenlernen. Einige Studentinnen und Studenten haben sich auf diesen Weg gemacht, um mehr über die Klimaproblematik zu lernen. Durch die begleitenden Veranstaltungen bekämen sie viele neue Denkimpulse, betonen sie.

Eva Katarina und ihre Tochter

Eva Katarina Agestam ist Langzeitpilgerin. Sie stammt aus Schweden und hat die Reise in Lund begonnen. Nachdem sie wegen einer Fußverletzung einige Tage pausieren musste, geht es nun weiter. Eine Woche lang wird ihre Tochter sie begleiten. Eva Katarina möchte eine Wasserflasche bis nach Paris tragen, in die sie an allen Orten der Tour etwas Wasser hineinfüllt. "Dieses Wasser soll ein Zeichen der Zusammengehörigkeit und des Friedens" sein, betont sie.

Der Weg führt vorbei an Maisfeldern, alten Bauernhöfen und an Apfel- und Walnussbäumen, die den Pilgern kleine Stärkungen hinhalten. Auf dem Stiftshof in Leeden wird die Gruppe mit selbstgepresstem Apfelsaft begrüßt. Im warmen Saal duftet es nach der "Reitersuppe", die gleich serviert wird. Zuvor aber wird einem Mitpilger noch ein Geburtstagsständchen gesungen.

Nach dem Essen sitzen alle noch eine Weile zusammen. Unter Pilgern duzt man sich, jeder kommt mit jedem ins Gespräch. Da geht es nicht nur um die Erfahrungen auf dem Pilgerweg, sondern auch um Themen, die die Menschen darüber hinaus bewegen. Sie diskutieren über den Zusammenhang zwischen Fleischkonsum, Überdüngung und Wasserqualität, über Lebensmittelpreise und über die Flüchtlingsproblematik und ihre Ursachen.

Erwin ist in Flensburg gestartet und möchte bis nach Paris mitlaufen. Er ist ein erfahrener Pilger. Es sind nicht in erster Linie religiöse Motive, die ihn antreiben. "Pilgern bedeutet einfaches Leben", erklärt er, und "Pilgern verändert einen". Das lasse sich dann auch auf das "richtige Leben" übertragen. "Dass wir anfangs mit Nahrung verpflegt wurden, die im Supermarkt sonst entsorgt worden wäre, macht bewusst, wie viel man im normalen Leben oft verschwendet", ergänzt er, "auch die Vorträge während der Reise vermitteln viele neue Eindrücke". Diese Themen möchte er weitervermitteln. Er verteilt Infomaterial an Menschen die ihm begegnen, und hofft: "Die Pilger können als große Gruppe Aufmerksamkeit wecken."

"Wie viel brauche ich für mein Leben?"

Auch Wolfgang pilgert von Flensburg bis nach Paris. "Ich möchte nicht auf Kosten anderer leben" und " ich möchte mit Gleichgesinnten etwas unternehmen und andere dazu bewegen, selbst etwas zu tun", erklärt er und stellt fest: "Durch die Veranstaltungen und Gespräche fällt es einem manchmal wie Schuppen von den Augen." Auf der Reise hat er schon viele konkrete Ideen gesammelt, die er zuhause umsetzen will. Da muss der Dachboden besser isoliert werden und auch eine alte Zisterne möchte er wieder in Betrieb nehmen.

Inzwischen ist der Bus mit etwa 50 Delegierten der Konferenz Europäischer Kirchen in Leeden angekommen. Gemeinsam geht es in die schlichte Stiftskirche des ehemaligen Zisterzienserinnenklosters. Pastorin Ulrike Wortmann-Rotthoff und Pfarrer Günther Witthake halten eine zweisprachige ökumenische Andacht. Sie endet mit dem Vaterunser, das jeder in seiner Muttersprache spricht. Mit einem erneuten Segen bricht die große Gruppe nun auf zur letzten Etappe des Tages.

Hubert und sein Windschutzschirm.

Noch immer ist es kühl, ein leichter Herbstwind weht. Hubert jedoch hat vorgesorgt. Auch er ist ein erfahrener Pilger und läuft diesmal von Flensburg bis nach Paris. Sein Schirm ist immer mit dabei. Der nämlich nützt Hubert nicht nur bei Regen, sondern dient ihm auch als Windschutz.

Hubert erlebt auf seinen Pilgerreisen vor allem, dass man auch mal loslassen kann, um zu erfahren, dass die Dinge sich trotzdem wie von selbst fügen und funktionieren. Gabi sucht auf der Reise Zeit für sich selbst. "Ich möchte herausfinden, was wirklich wichtig ist in meinem Leben", sagt sie. Heinz empfindet das Pilgern als wichtigen Gegensatz "zu all den Ablenkungen im Alltag". "Beim Pilgern", ist er sich sicher, "kann man Tiefe erleben und zu Gott und sich selbst finden."

Auch für Heinz-Otto hängt die Pilgerreise eng mit seinem Glauben zusammen: "Die Zusage Gottes 'macht euch die Welt untertan' bedeutet auch, dass der Mensch sorgfältig damit umzugehen hat." Wer aus dem Glauben heraus verantwortungsvoll mit der Schöpfung umgehen wolle, könne sich zum Beispiel fragen: "Wie viel brauche ich für mein Leben? Wie viel ist genug? Wie gehe ich sorgsam damit um? Und wie bewahre ich Ressourcen für die nächste Generation?" Heinz-Otto betont: "Glauben heißt nicht nur beten, sondern auch konkretes Tun oder Nicht-Tun!"

In Lengerich endet die heutige Etappe durch die herbstliche Landschaft. In der Stadtkirche finden die Pilger nun Ruhe bei meditativer Klavier- und Saxophonmusik. Anschließend bieten ein Markt der Möglichkeiten und Vorträge neue Anregungen zum Thema Klimaschutz. An der Abendveranstaltung "Herausforderung Klimawandel – Verantwortung und Engagement von Kirchen in Europa" nimmt neben Vertretern der Konferenz Europäischer Kirchen auch der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm teil.

Für Erwin, Wolfgang und die anderen geht es am Mittwoch weiter über Dortmund und Wuppertal, Perl und Montmirail bis zur Weltklimakonferenz in Paris.