Leihmutterschaft - verboten, aber doch praktiziert

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Leihmutterschaft - verboten, aber doch praktiziert
Der Psychologe Mathias Graf betreut für Profamilia Paare mit einem unerfüllten Kinderwunsch. "Es ist ein existenzielles Thema, das mit keiner Entscheidung vergleichbar ist, die ein Paar sonst treffen kann", sagt er. Der Wunsch nach genetisch verwandtem Nachwuchs kann Paare sogar dazu bringen, ein Kind von einer Leihmutter austragen zu lassen - obwohl das in Deutschland gesetzlich verboten ist.

Es gibt keine offiziellen Zahlen darüber, wie viele Eltern ihre Kinder über eine Leihmutter austragen lassen. In Deutschland ist die Leihmutterschaft gesetzlich verboten. Bestraft werden können nur Vermittler und Ärzte, die das Verfahren durchführen. In vielen europäischen Ländern sowie in Indien, Russland und einigen Bundeststaaten der USA ist die Leihmutterschaft allerdings erlaubt. Eine Übersicht über rechtliche Regelungen in verschiedenen Staaten bietet der Landesverband der hamburgischen Standesbeamten.

Wunsch-Eltern und Leihmütter bleiben allerdings auch in Deutschland straffrei. Der Präsident des Verbands Deutscher Standesbeamten forderte 2014 die Leihmutterschaft aus humanitären Gründen zu legalisieren. Aus dem heutigen Stand der Reproduktionsmedizin ließe sich schließlich ein Recht auf Fortpflanzungsfreiheit ableiten. 1980 wurde der erste Fall einer Leihmutterschaft in Deutschland bekannt. Deutsche Standesbeamte beurkunden regelmäßig nachträglich einige Hundert Kinder im Jahr.

Eine Leihmutter kann entweder eine befruchtete Eizelle der "Wunsch"- beziehungsweise "Bestell"-Eltern austragen oder auch eine befruchtete Eizelle bestehend aus Eizellen- und Samenspende. Diese wird ihr in die Gebärmutterhöhle implantiert. Die austragende Frau nennt sich dann "Tragemutter" und ist nicht mit dem Kind, das sie austrägt, genetisch verwandt. Die zweite Möglichkeit ist, eine Eizelle der Leihmutter mit dem Samen des "Wunsch"-Vaters oder einer Samenspende zu befruchten, womit die Leih- zur Ersatzmutter würde und genetisch mit dem Kind verwandt wäre.

"Wunsch"-Eltern in Deutschland haben nur dann die Möglichkeit, ein Kind nachzuholen, das von einer Leihmutter ausgetragen wurde, wenn wenigstens einer der Partner genetisch mit dem Kind verwandt ist. Dies hatte der Bundesgerichtshof im Dezember 2014 entschieden, als er einem homosexuellen Paar ein Kind zusprach.

"Wunsch"-Eltern, die nicht genetisch verwandt sind, müssen das Kind aus dem Ausland adoptieren. In Deutschland hat der Deutsche Ethikrat 2014 eine Argumentenkarte erarbeitet, die Pro und Contra einer Legalisierung der Leihmutterschaft illlustriert. Die Wünsche und Rechte der Eltern werden neben das Wohl des Kindes und der Leihmutter gestellt. Juristische Aspekte und gesellschaftliche Belange werden abgewogen.

In Deutschland wurden im Jahr 2014 etwa 715.000 Kinder geboren, rund 4.000 Kinder adoptiert, davon cirka 600 aus dem Ausland. Ein Teil der adoptierten Kinder aus dem Ausland entstehen innerhalb von Leihmutterschafts-Verhältnissen.

Der Psychologe Mathias Graf begleitet für Profamilia Paare mit unerfülltem Kinderwunsch. Wir haben mit ihm gesprochen:

Warum ist der Wunsch nach Fortpflanzung so immanent und menschlich?

Mathias Graf: In meinem Studium haben wir in einem Seminar diese Frage behandelt. Wir haben eine zehn Meter lange Tafel vollgeschrieben. Es gibt nicht die eine prägnante Antwort. Sich fortpflanzen zu wollen ist ein nicht zu hinterfragendes, Menschheitsimmanentes Bedürfnis: angelegt von der Biologie oder dem lieben Gott – wie man möchte.

Menschen, die ich betreue, sagen: "Das war für mich schon immer klar, dass ich Kinder bekommen möchte." Zum Menschsein gehört Familie dazu. Es gehört zur Lebenswirklichkeit. Es ist ein existenzielles Thema, das ist mit keiner Entscheidung vergleichbar, die ein Paar sonst treffen kann. Man kann sie nicht revidieren.

"Zum Menschsein gehört Familie dazu"

Was durchleiden Eltern, wenn sie sich Kinderwunschbehandlungen aussetzen und es dennoch lange Zeit nicht mit dem Nachwuchs klappt ?

Graf: Wenn man das nicht einfach bestimmen kann, erleben Menschen eine völlige Ohnmacht. Viele sind es ja vielleicht auch gewohnt durch Fleiß einiges zu erreichen.

Wiederkehrende Themen der Paare, die sich für den reproduktionsmedizinischen Weg entscheiden, sind: Die schweren Zeiten des Wartens und die tiefen Löcher, in die sie fallen, wenn es wieder nicht geklappt hat und die Menstruation einsetzt. Dann die Frage: Warum klappt es bei uns nicht? Liegt es an der Ernährung, am Sport, am Stress in Partnerschaft und Arbeit oder will ich es zu sehr? Sehr viele überlegen, ob es an ihnen selbst liegt. Sie schwanken zwischen Hilflosigkeit und Selbstvorwürfen. Dann das Selbstanpeitschen zu mehr Leistung, das kann sehr belastend sein.

Das Umfeld ist auch ein Thema: Verheimlichen wir, dass es nicht klappt? Die Treffen mit Freundinnen sind belastend, wenn die Freundin schon Kinder hat und man sich mitfreuen soll. Die Bemerkungen der Schwiegereltern: Wie gehen wir damit um? Bei der Arbeitsstelle: häufige Termine, häufiges Krankschreiben, vor allem für die Frauen. Was sage ich meinem Arbeitgeber? Auch die Sexualität verändert sich: Der Frauenarzt, Temperatur und Kalender geben vor, wann man miteinander schlafen soll.

Dann nagt auch die Frage: Was stimmt mit mir als Frau oder als Mann nicht? Gynäkologische und urologische Befunde werden als Kränkung wahrgenommen. Dann ganz konkrete Probleme: Fahren wir zur Taufe des kleinen Neffen oder nicht? Wie belastend wird das nach zwei erfolglosen reproduktionsmedizinischen Versuchen?

"Das Thema sollte nicht diese lebensbestimmende Macht haben"

Wie können sie Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch als Psychologe helfen?

Graf:  Wir versuchen das Paar zu unterstützen, dass das Thema nicht so omnipotent ist, dass es nicht das erste am Morgen und das letzte am Abend ist, woran sie denken. Das Thema sollte nicht diese lebensbestimmende Macht haben. Ich empfehle: Legen sie ein Zeitfenster fest, wo sie ausführlich darüber reden und danach etwas machen, was nichts mit dem Thema zu tun hat. Häufig geht es in der allerersten Sitzung darum, die Bewertung der Gefühle zu normalisieren. Frauen sagen: "Muss ich Angst haben, dass ich durchdrehe, weil es mich so beschäftigt?" Dann zu relativieren, dass auch Aggressionen gegenüber nahestehenden Frauen, bei denen es mit dem Kinderkriegen klappt, okay sind. Das ist eine ganz menschliche Regung. Auch, dass es mich in den Keller haut, wenn der Arzt anruft und einen negativen Befund mitteilt. Zunächst sind die Gefühle nicht zu hinterfragen.

Als ich angefangen habe vor 18 Jahren, wurde bei denjenigen, bei denen es keinen medizinischen Befund gab, geguckt: Muss man psychosomatische Blockaden lösen? Gibt es psychologische Gründe? Aus heutiger Sicht ist das völlig unseriös und in der Regel wenig hilfreich. Es macht den Frauen Stress: "Arbeite deine Vergangenheit auf, und wenn du nicht schwanger wirst, dann liegt es an dir." Das ist gemein. Und wissenschaftlich nicht belegbar.