Warschauer Aufstand: Die Suche nach dem deutschen Freund

Jens Mattern
Jerzy Kasprzak sucht nach 70 Jahren seinen alten Freund Hans Roth.
Warschauer Aufstand: Die Suche nach dem deutschen Freund
Mit Schilderungen von Zeitzeugen hat Polen an den Warschauer Aufstand gegen die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg erinnert. Zum 70. Jahrestag versammelten sich ehemalige Untergrundkämpfer, Pfadfinder und Veteranen am Freitag in verschiedenen Warschauer Stadtteilen zu Gedenkveranstaltungen. Auch Jerzy Kasprzak ist anwesend und sucht nach 70 Jahren immer noch nach seinem Freund Hans Roth.

Vor 70 Jahren, am 1. August 1944, brach die größte Erhebung während des Zweiten Weltkriegs gegen die NS-Besatzer aus, der in 63 Tagen von den Deutschen und ihren Hilfstruppen niedergeschlagen wird. Knapp tausend Veteranen sind in der Stadt geladen, die an Feierlichkeiten wie Kranzniederlegungen Märschen und Messen teilnehmen. In dem Warschauer Stadteil Mokotow gedenken zweitausend Menschen, Jung und Alt, der Erschießung von vielen hundert Zivilisten und gefangenen Aufständischen.

Unter den Veteranen ist ein kleiner älterer Herr mit einem feinen Lächeln. Jerzy Kasprzak, 85 Jahre alt, unterhält sich gerade mit einem jugendlichen Pfadfinder. Er ist einer ihrer Idole. Kasprzak war und ist Pfadfinder aus Leidenschaft. Damals im besetzten Warschau konnte er die Pfadfinder-Kluft nicht tragen, sie war im Dritten Reich verboten, sein gleichaltriger Freund, der sich lange Janek nannte, später Hans, der trug Uniform, es war die der Hitlerjugend. Kaszprzak freut sich, einen deutschsprachigen Journalisten zu treffen, im allgemeinen sind die Veteranen freundlich und auskunftsfreudig, doch er hat ein besonderes Anliegen.

In dem Stadteil Mokotow lebten viele Deutschstämmige, Hans Vater Karl, der 1942 an Tuberkolose starb, war einer. Ihre Freundschaft und ihre gemeinsamen Interessen, Angeln, Fußballspielen auf dem Hinterhof litten unter der Besetzung Warschaus mit den zunehmenden Repressionen. Hans Roth ging auf eine deutsche Schule oder beser gesagt auf eine Schule nur für Deutsche. Sein Vater hatte die sogenannten Volkslisten unterschrieben, die polnische Mutter war nicht begeistert. Jerzy war offiziell geringer und durfte als Pole im besetzten Warschau nur die Grundschule besuchen, er besuchte jedoch heimlich ein polnisches Gymnasium im Untergrund.

Kasprzak hat ein Buch über seine Erlebnisse in Warschau geschrieben, er hat es bei den Feierlichkeiten dabei und zeigt die Bilder seines Freundes und seiner Verwandtschaft, den Gemüseladen, den dessen Tante hatte, die Sielecka-Straße, wo sich ihr Leben abspielte und die sehr zerstört wurden und heute Gagarin-Straße heißt.

Bote bei der "Pfadfinder Feldpost"

Beim Ausbruch des Aufstands kam Hans fast gesamte Familie durch deutsche Kugeln ums Leben. Insgesamt  200.000 Zivilisten starben bei den Kämpfen, in dem Stadtteil Wola wurden bewohnte Mietshäuser durch SS-Einheiten gesprengt. Hans wurde als Waise ins Reich abtransportiert. Doch seine verbliebene Tante Karolina rettete dem damals 15jährigen Jerzy mit einem Einfall das Leben. Nach Ausbruch des Aufstandes war Warschau zerteilt in polnisch besetzte und deutsche Gebiete. Die Kommunikation zwischen den polnischen Teilen lief über Schleichwege und Abwässerkanäle.

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Als geübter Pfadfinder wurde Jerzy Kasprzak mit 15 Jahren ein solcher Bote, Pseudonym "Albatros". Doch er wurde am dritten Tag des Aufstands von den deutschen Soldaten geschnappt. Sie "pazifizierten" damals die breite Marszalkowska-Straße mittels einer Razzia, Jerzy befand sich in einer Menge von Menschen, die nach Frauen und Männer geteilt wurden. Dabei traf er zufällig auf die Tante. Sie legte ihm ein Kopftuch um verkleidete ihn so als Mädchen, so dass er bei ihr bleiben konnte.

Alle wurden ins Gestapo-Hauptquartier in der Szucha-Straße gebracht, die  männlichen Aufgegriffenen erschossen. Weibliche Häftlinge mussten als lebendige "Schilde" vor deutschen Truppen und Einheiten vorangehen, wenn diese sich einer polnischen Stellung näherten. Jerzy und die Tante konnten in einem unbeobachteten Augenblick fliehen und später in das von Polen gehaltene Zentrum dringen. Dort arbeitete er wieder als Bote von militärischen wie auch privaten Briefen bei der "Pfadfinder Feldpost". Mit seinen Botengängen vermittelte er damals Lebenszeichen und Todesnachrichten.

Nachdem die Aufständischen am 3. Oktober kapitulierten, wurde Warschau auf Befehl des Reichsführer der SS Heinrich Himmler systematisch niedergebrannt und zerstört, ihre Bewohner in Lager deportiert. Jerzy überlebte die Zeit bis zum Einmarsch der Roten Armee im Januar 1945 auf dem Land.

Wo ist Hans?

Nach dem Krieg arbeitete er als Journalist für den polnischen Pfadfinderverband. In den sechziger Jahren machte er es sich zur Aufgabe die Menschen von unzugestellten Briefen aufzuspüren, ihre Adressen zu finden. Das war schwer, da die Stadt neu aufgebaut werden musste, kaum jemand wohnte an seinem alten Platz. Den letzten Adressanten konnte er 1981 ausfindig machen, eine Frau, die nicht mehr lebte, der Brief war von ihrem Sohn, der sich auf einen Artikel von ihm gemeldet hatte.

Doch eine Adresse fehlt ihm immer noch. Wo ist Hans? Er konnte herausfinden, dass er den Krieg überlebte und 1949 eine Arbeit in den Zeiss-Werken bei Jena aufnahm. Doch dann verliert sich die Spur. In seinem jüngsten Buch "Albatros aus der Clique von Sielecka-Straße" wünscht er sich auf der letzen Seite ein Gespräch mit seinem Kumpel, über die noch unbelastete Vorkriegszeit.

Die letzten Zeilen heissen: "Janek, Hans, es vergingen viele Jahre. Wir leben jetzt im vereinigten Europa. Es gibt keine Grenzen, die Menschen haben sich verändert. Was war, das war. Wenn Du irgendwo noch bist, dann wende Dich an Jurek (andere Form von Jerzy), Straßennummer neun."