Erst das Ehrenamt - "dann kann es Heiligabend werden"

Erst das Ehrenamt - "dann kann es Heiligabend werden"
Der Heiligabend gehört der Familie. Wenn eine vorhanden ist. Doch so mancher Mensch ist allein an diesem besonderen Tag. Freunde, wenn es sie gibt, sind nicht immer greifbar. Fremde können am Heiligabend helfen, die Einsamkeit zu lindern. In Altenheimen, am Telefon, in Kirchen und in Bahnhofsmissionen übernehmen an Heiligabend viele Freiwillige diese Aufgabe und verbringen einige Stunden mit Menschen, die sonst niemanden haben.
23.12.2011
Von Rosa Legatis

"Die Vorstellung, dass an Heiligabend ein Mensch allein ist, finde ich schlimm", sagt Catrin Wildau aus Garbsen bei Hannover. Deshalb spielt sie mit ihrem Mann und den beiden Kindern an diesem Tag "ein bisschen Engel". Die Familie beteiligt sich an einer Aktion der Freiwilligenagentur Garbsen: "Weihnachtsengel" heißt sie.  Ehrenamtliche besuchen an den Feiertagen Frauen und Männer in Seniorenheimen, lesen dort vor, reden mit ihnen oder musizieren für die Bewohner.

Zum dritten Mal organisiert Claudia Gerke von der Freiwilligenagentur die Aktion: "Für viele Helfer ist gerade das Einmalige entscheidend. Berufstätige können Ehrenämter im Alltag häufig nicht unterbringen." In diesem Jahr gebe es eine gute Mischung aus neuen Ehrenamtlichen und "Wiederholern", so die Mitarbeiterin der Freiwilligenagentur.

Die Motivation: anderen eine Freude machen

Zu den "Wiederholern" gehört Familie Wildau. Für Mutter Catrin war sofort klar, das ist das Richtige für sie, ihren Mann, die mittlerweile 18-jährige Tochter und den 20-jährigen Sohn. "An Heiligabend sind wir traditionell nur zu viert." Mit der ganzen Familie werde erst am 1. Weihnachtstag gefeiert. Bei ihrem Besuch im Altenheim liest der Vater Geschichten vor, die anderen singen und musizieren.

Auch wenn die Kinder am Anfang unsicher waren, wie sie diesen Auftritt finden werden, sind sie heute gerne dabei. "Obwohl mein Sohn immer noch nicht begeistert ist, vor Publikum zu spielen", erzählt Catrin Wildau. Aber von den Heimbewohnern bekommen sie viel zurück, so die Erfahrung aus den vergangen zwei Jahren. Und: "Wenn wir anderen eine Freude gemacht haben, fühlen wir uns richtig gut – dann kann es Heiligabend werden."

Einsamkeit ist das Hauptthema

Auch Marta J. aus Frankfurt (Oder) - die nicht mit vollem Namen genannt werden möchte - weiß, dass gerade Heiligabend für viele alleinstehende Menschen ein besonders schwieriger Tag ist. Seit zehn Jahren arbeitet sie regelmäßig als Freiwillige bei der Telefonseelsorge Ostbrandenburg mit. Mehrmals hat die 56-Jährige in dieser Zeit schon eine der Telefonschichten am Heiligabend übernommen. "Die Einsamkeit ist da für viele Menschen sehr stark zu spüren." Auch wenn sie selbst sich diese Einsamkeit nicht vorstellen kann, will sie an diesem Abend den Anrufern das Gefühl geben, dass ihnen jemand zuhört.

Ihr Mann sei anfangs noch skeptisch gegenüber ihrer Arbeit bei der Telefonseelsorge gewesen. Mittlerweile habe er sie aber akzeptiert, erzählt Marta J. schmunzelnd: "Wahrscheinlich konnte er sich nicht vorstellen, dass ich mein Ohr noch anderen Menschen leihe." Der Dienst an Heiligabend sei für sie schon etwas besonderes. Natürlich könnte die 56-Jährige nach dem Besuch der mittlerweile erwachsenen Kinder den Tag mit ihrem Mann in Ruhe ausklingen lassen, aber der Dienst gerade an Heiligabend bedeutet ihr viel. "Inzwischen sind neben der Einsamkeit auch soziale Not und soziale Kälte wichtige Themen bei den Anrufern." Nach ihrer Erfahrung rufen an diesem Feiertag vor allem alleinstehende Frauen an.

An Heiligabend arbeiten ist eine Herausforderung

Die Themen der Anrufer sind an Weihnachten anders als sonst, weiß Ulrich Falkenhagen, Leiter der Telefonseelsorge Ostbrandenburg. Schon im Vorfeld hätten viele Angst vor den Feiertagen, vor möglichem Streit in der Familie, vor dem was in dieser besonderen Zeit auf sie oder ihn zukommt. "Deshalb ist auch der Dienst der Ehrenamtlichen an diesen Tagen eine besondere Herausforderung", so Falkenhagen.

Obwohl Marta J. im Lauf der Jahre schon zahlreiche Telefonate während ihrer Dienste an Wochenenden und Feiertagen geführt hat, fühlt sie sich noch immer manchmal hilflos. Sie hat dann das Gefühl, dem Anrufer nicht wirklich geholfen zu haben. An anderen Tagen geht sie mit dem Gedanken nach Hause: "Du kannst glücklich und zufrieden sein, mit dem was du hast, uns fehlt ja nichts." Das löst bei ihr eine große Dankbarkeit aus.

Sorgfältige Vorbereitung

Auch Mario L., der ebenfalls nicht genannt werden möchte, sieht gespannt seinem Dienst an Heiligabend entgegen. Zum ersten Mal übernimmt er einen Feiertagsdienst bei der Telefonseelsorge Ostbrandenburg. Der 50-Jährige ist selbst alleinstehend – aber es ist nicht Einsamkeit, wie er betont, die ihn dazu bringt, gleich zwei Schichten zu übernehmen. Viele der anderen ehrenamtlichen Telefonseelsorger hätten selbst Familie. "Das höchste Gut, das man heute verschenken kann, ist Zeit – gerade an fremde Menschen." Das Besondere ist für Mario L., dass er "nur für das Sitzen am Telefon, zuzuhören, ein ganz tolles Feedback bekommt". Seine Aufgabe sei es nicht, Ratschläge zu erteilen, sondern einfach nur da zu sein. "Dort geht es um wirkliches Zuhören." Das kommt sonst seiner Meinung nach häufig viel zu kurz.

Der 50-Jährige weiß, wie es ist, allein zu sein. Doch Heiligabend ohne Familie oder Freunde verbringen zu müssen, wäre auch für ihn schlimm; würde er nicht bei der Telefonseelsorge arbeiten, wäre auch er bei Freunden. Mario L. ist sich sicher, dass sein Dienst an Heiligabend eine Herausforderung sein wird. Auch wenn er gut vorbereitet wurde, in der dazugehörigen Ausbildung und zusätzlich von den Kollegen speziell für diesen Tag.

"Da hatte ich noch ganz lange etwas davon"

Mit einem richtigen Glücksgefühl ging Cornelia Wolf nach ihrem ersten ehrenamtlichen Heiligabend-Dienst nach Hause. Als "Weihnachtsengel" ist sie im vergangenen Jahr in ein Seniorenheim in Garbsen gegangen und hat demenzkranken Bewohnern zunächst vorgelesen. "Singen hatte ich vorher strikt abgelehnt." Aber dann kam alles anders als gedacht. "Die Damen haben mitgeschmettert und wussten alle Texte, das hat richtig Spaß gemacht." Auch wenn die 42-Jährige im Gegensatz zu den Senioren zum Gesangsbuch greifen musste, um mitsingen zu können.

Nach ihrem ersten Heiligabend-Besuch hat sie immer wieder an diese Stunde gedacht. "Da hatte ich noch ganz lange etwas davon." Obwohl sie mit ihrer Geschichte nicht den erwünschten Erfolg hatte. "Ich hatte mir die 'Weihnachtsgans Auguste' ausgesucht. Das ist eine ganz alte Kindergeschichte und ich dachte, vielleicht erinnert sich einer der demenzkranken Bewohner daran. Aber niemand kannte sie." Doch durch das gemeinsame Singen und die gemeinsam verbrachte Zeit sei es dennoch eine ganz tolle Stunde an dem Nachmittag gewesen, erzählt Cornelia Wolf. In diesem Jahr ist sie wieder dabei und auch für das nächste Jahr hat sich die Garbsenerin schon vorgenommen, an Heiligabend an der Aktion "Weihnachtsengel" teilzunehmen.


Rosa Legatis arbeitet als freie Journalistin in Hannover.