Wer schützt die Jugend vor Hasspredigern?

Wer schützt die Jugend vor Hasspredigern?
Politiker, Muslime und Sicherheitsexperten sind in Berlin zu einem Gipfel zusammengekommen. Innenminister Hans-Peter Friedrich hat ihn einberufen, um über Strategien gegen Radikalisierungen junger Menschen zu beraten. Kritiker halten den Gipfel für eine reine Schauveranstaltung.

"Wir treten hier heute gemeinsam den Menschen entgegen, die die Religion für ihre extremistischen Ziele missbrauchen wollen", sagte Friedrich. Das Treffen in Berlin soll nach den Vorstellungen Friedrichs der Auftakt für eine umfangreichere "Sicherheitspartnerschaft" zwischen den Sicherheitsbehörden und den Muslimen sein.

Zu dem Gipfel wurden die Präsidenten des Bundeskriminalamts, des Verfassungsschutzes, des Bundesamts für Migration, der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) und der Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) erwartet. Auf muslimischer Seite sagten vier Verbände und Einzelpersönlichkeiten ihr Kommen zu, darunter Vertreter der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB), des Verbandes der islamischen Kulturzentren (VIKZ) und der Islamischen Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland (IGBD) sowie des Zentralrats der Muslime (ZMD).

Muslime wollen nicht unter Generalverdacht stehen

"Muslime, evangelische und katholische Christen sowie angehörige anderer Religionen leben heute in unserem Land in Frieden und Freiheit zusammen", sagte Innenminister Friedrich. "Das ist ein hohes Gut, für das wir alle verantwortlich sind. Das müssen wir bewahren." Der Zentralrat der Muslime warnte vor einer Vorverurteilung von Muslimen. "Es wäre fatal, wenn die mehr als vier Millionen Muslime in Deutschland unter Generalverdacht gestellt würden", sagte der Ratsvorsitzende Aiman Mazyek der "Schwäbischen Zeitung" (Freitag). "Bei denen, die sich radikalisieren, handelt es sich um eine verschwindend kleine Minderheit."

Der migrationspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Mehmet Kilic, sagte dem epd, nicht muslimische Verbände, sondern rechtsstaatliche Organe müssten islamistische Gefahren bekämpfen. Es werde versucht, "muslimische Verbände als Religionspolizei in Anspruch zu nehmen". Sich radikaler Gruppen zu erwehren sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, so Kilic.

Die Landesinnenminister hatten bei ihrer Konferenz Anfang der Woche beschlossen, künftig besonderes Augenmerk auf die Gruppe der radikal-islamistischen Salafisten zu legen. Salafisten predigen einen Islam, der sich eng am Wortlaut des Koran und den Überlieferungen aus dem Leben des Propheten (Sunna) sowie seiner frühen frommen Gefährten orientiert. Der Salafismus ist geprägt von stark intoleranten Zügen gegenüber anderen Religionen und Religionsgemeinschaften. In Deutschland wird die Zahl seiner Anhänger heute auf 3.000 bis 5.000 geschätzt.

Kriminologe Pfeiffer: Bildungspolitiker entscheiden

Innenminister Friedrich ist der Ansicht, dass es in Deutschland eine zunehmende Radikalisierung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen gibt - vor allem über islamistische Propaganda im Internet. Der Minister verweist unter anderem auf den jungen Islamisten, der am 2. März am Frankfurter Flughafen auf US-Soldaten schoss und zwei von ihnen tödlich verletzte. Es handelte sich um den ersten vollendeten islamistisch motivierten Anschlag in Deutschland. Der Täter gehörte nach den Erkenntnissen der Ermittler keiner Terrorgruppe an, sondern radikalisierte sich selbst über einschlägige Propaganda im Internet. Dazu sagte der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek: "Wir sollten nicht den Fehler machen, sie aufzuwerten, indem wir den Salafisten zu viel Aufmerksamkeit in der Debatte schenken."

Nach Auffassung des Kriminologen Christian Pfeiffer ist Bildung das effektivste Mittel gegen die Radikalisierung junger Muslime. "Es sind Bildungspolitiker, die entscheiden, wie radikal junge gesellschaftliche Außenseiter werden", sagte der Leiter des niedersächsischen kriminologischen Forschungsinstituts am Freitag im WDR.

Integration scheitere hierzulande in erster Linie daran, dass junge Migranten oftmals durch bindende Schullaufbahnempfehlungen in der Hauptschule und damit in einer "Verliererschule" landeten, beklagte Pfeiffer. "Der Besuch der Hauptschule ist für sich genommen ein Verstärkungsfaktor für Jugendgewalt und Radikalisierung."

Zentralrat will mehr Vertrauensleute und Aussteigerprogramme

Pfeiffer kritisierte "Fachblindheit" und "Fachegoismus" bei den Präventionsmaßnahmen gegen Islamismus. Zwar gebe es Probleme mit salafistischen Gemeinden und dort existierenden Radikalisierungstendenzen, sagte er. Erforderlich sei jedoch eine interdisziplinäre Herangehensweise, die nicht nur das Instrumentarium von Verfassungsschutz, Überwachung und Polizei in den Blick nehme. Der Bund sei für Bildung nicht zuständig, und so fehlten beim Präventionsgipfel die Bildungspolitiker am Tisch, monierte Pfeiffer.

Beispiele wie etwa eine 1.000 Freiwillige umfassende Bürgerinitiative, die in Hannover jungen Migranten kostenlos Nachhilfe erteile, zeigten Erfolge, führte Pfeiffer weiter aus. Junge Türken landeten nun zu 70 Prozent auf dem Gymnasium oder der Realschule, und die Jugendgewalt habe sich um die Hälfte reduziert.

Auch der Zentralrat der Muslime hat unmittelbar vor dem Präventionsgipfel mehr Geld für die politische Bildung junger Muslime gefordert. Der Vorsitzende Aiman Mazyek sagte dem Bayerischen Rundfunk am Freitag, für Investitionen in die Bildung werde nur ein Bruchteil des Geldes benötigt, das im Kampf gegen den Terrorismus eingesetzt werde. "Wir benötigen mehr Mittel für politische Bildung, für Anti-Extremismusprogramme, für die Ausbildung muslimischer Vertrauensleute und für Aussteigerprogramme", sagte Mazyek.

dpa/epd