Markschies: Islam beeinflusste europäische Geschichte

Markschies: Islam beeinflusste europäische Geschichte
Mit seiner Aussage, der Islam gehöre historisch gesehen nicht zu Deutschland, hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) eine neue Diskussion über die Stellung der Muslime in der Bundesrepublik losgetreten. Der Berliner evangelische Kirchenhistoriker Christoph Markschies hält die Aussagen des neuen Kabinettsmitglieds für wenig tragfähig.
09.03.2011
Die Fragen stellte Barbara Schneider

Wie beurteilen Sie als Kirchenhistoriker die Aussage des Bundesinnenministers?

Markschies: Es handelt sich um eine nicht besonders hilfreiche Vereinfachung eines komplexen Sachverhaltes. In gewisser Hinsicht stimmt die Aussage natürlich: Im Mittelalter gab es in Speyer oder Worms neben den großen Kathedralen immer wieder auch größere Synagogen, aber eben keine Moscheen. Der Islam gehörte jedoch damals trotzdem insofern zu Deutschland, als Menschen aufbrachen, um sich gegen ihn militärisch zu verteidigen. In den folgenden Jahrhunderten wurde die Präsenz des Islam immer sichtbarer. 1779 wurde beispielsweise im Schoßpark von Schwetzingen eine Moschee errichtet, 1798 in Berlin ein Gelände für muslimische Beerdigungen ausgewiesen und 1866 ein bis heute bestehender türkischer Friedhof eingerichtet.

Ein Blick in die Geschichte: Wie hat der Islam Europa beeinflusst?

Markschies: Der Islam hat seit dem Mittelalter und bis heute die Entwicklung Europas auf verschiedenen Gebieten beeinflusst. Der griechische Philosoph Aristoteles wurde der abendländischen Tradition durch seine arabische Rezeption zurückgegeben, Mozarts Opern sind ohne die Musik der Janitscharen nicht denkbar und einige der schönsten Gedichte Goethes sind freie Bearbeitungen arabischer Poesie. Neben solchen Allianzen freier Geister gab es den großen politischen und religiösen Konflikt um die Herrschaft über das Mittelmeer. Dessen Wirkungen sind bis heute zu spüren und werden teilweise sogar bewusst gegenwärtig angeheizt: Mit der Erinnerung an die Kreuzzüge oder die Türken vor Wien lässt sich immer noch besser politische Stimmung erzeugen als mit der abendländischen Aristoteles-Rezeption, obwohl deren Wirkungen mindestens genauso groß sind.

Worin unterscheidet sich Deutschland heute in der Wahrnehmung des Islams von Ländern wie Spanien, die schon früh in ihrer Geschichte Kontakt mit Muslimen hatten?

Markschies: Bei uns ist die lange gemeinsame Geschichte Europas mit dem Islam vor allem Bildungsbürgern bekannt, die lesen, reisen oder sonst wie ihre Welt erkunden. Ein Spanier kann viel weniger übersehen, dass der Islam einen deutlichen Einfluss auf die Entwicklung seines Landes hatte. Bei uns war der Einfluss deutlich geringer, aber doch vorhanden. Man kann ihn freilich verdrängen oder übersehen, und dann streitet man über Verallgemeinerungen, die zugleich richtig und falsch sind, aber im Endergebnis wenig nützen.

epd

Christoph Markschies (48) ist Professor für Ältere Kirchengeschichte an der Berliner Humboldt-Universität.