Tunesien soll eine Übergangsregierung bekommen

Tunesien soll eine Übergangsregierung bekommen
Nach der Flucht des autoritären Herrschers Ben Ali steht Tunesien vor einem neuen Kapitel seiner Geschichte. Heute soll eine Übergangsregierung gebildet werden. Die Lage bleibt unterdessen weiter angespannt. Am Sonntag waren immer wieder Schüsse zu hören.

In Tunesien soll nach der Flucht des tunesischen Diktators Zine El Abidine Ben Ali am Montag eine Übergangsregierung gebildet werden. Die der bisherigen Regierung nahestehenden Parteien sollen daran nicht beteiligt werden, sagte Maya Jribi, Generalsekretärin der PDP (Demokratische Fortschrittspartei), am Sonntag in Tunis. Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi sagte in einer kurzen Erklärung: "Morgen werden wir eine neue Regierung ankündigen, die eine neue Seite in der Geschichte Tunesiens aufschlagen wird."

Neben Vertretern der drei bisherigen Oppositionsparteien sollen auch unabhängige Persönlichkeiten ins Kabinett kommen. Experten, Gewerkschafter und Vertreter von Anwaltsorganisationen seien im Gespräch, berichtete der arabische Nachrichtensender Al Dschasira.

Die drei Parteien hätten sich für eine Amnestie aller politischen Häftlinge ausgesprochen, sagte Jribi. Die kommenden Wahlen sollen von einem unabhängigen Komitee und internationalen Beobachtern kontrolliert werden. Bei den Parteien handelt es sich um Ettajdid, PDP und FDTL (Demokratisches Forum für Arbeit und Freiheiten). Wann und wo das neue Kabinett vorgestellt werden soll, war zunächst nicht bekannt.

Ghannouchi "Teil des alten Systems"

Mehrere Kritiker des alten Regimes erklärten am Sonntag, sie seien mit den Beratungen über die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit nicht zufrieden. Einige von ihnen sagten in Interviews mit arabischen Fernsehsendern, Ghannouchi sei Teil des alten Systems von Ben Ali. Mit ihm sei ein Neuanfang deshalb nicht möglich. Andere erklärten, einige vormals illegale Oppositionsparteien seien zu den Gesprächen nicht eingeladen worden. Diese hätten aber auch ein Recht, mit am Tisch zu sitzen.

Eine Meldung über den angeblichen Tod eines Presse-Fotografen bei den Unruhen sorgte für Wirbel. Das französische Konsulat in Tunis und der Arbeitgeber des Mannes hatten zunächst den Tod des 32-jährigen Fotografen der european pressphoto agency (epa) gemeldet. Sonntagabend berichtigte eine Konsulatssprecherin in Tunis die frühere Darstellung. Die Sprecherin sagte der dpa, dass Lucas Mebrouk Dolega noch lebe. Er befinde sich in einem "kritischen Zustand". Anschließend rückte auch die Foto-Agentur epa von ihren früheren Angaben ab.

Die Armee ging gegen Mitglieder der Präsidenten-Leibgarde vor. In Tunis wurde nach Medienberichten der Chef der Leibgarde festgenommen. Augenzeugen berichteten immer wieder von Plünderungen und verschärften Kontrollen des Militärs. Im Zentrum standen am Sonntag weiter Panzer auf den Straßen. Seit der Flucht von Ben Ali gilt in Tunesien der Ausnahmezustand. Auch der Luftraum war zwischenzeitlich gesperrt.

Letzte Sondermaschinen gelandet

Mit einem Kraftakt holten die großen Reiseveranstalter am Wochenende deutsche Urlauber aus Tunesien nach Hause. Am Sonntagabend kamen in Deutschland die letzten Sondermaschinen an, wie eine Umfrage der Nachrichtenagentur dpa ergab. Bei ihrer Rückkehr berichteten viele von Schüssen und Gewalt.

Die neuen Machthaber und das Militär mühten sich, die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Am Sonntagnachmittag fielen wieder Schüsse im Zentrum der Hauptstadt Tunis. Ein deutsches Paar mit Jagdwaffen soll nach Medienberichten festgenommen worden sein. Die Deutsche Botschaft konnte die Angaben nicht bestätigen. Immer wieder waren am Sonntag Schüsse zu hören. In Tunis sei es ruhig, berichtete Al Dschasira am frühen Montagmorgen.

Die Bundesregierung rief Tunesien auf, eine Demokratie aufzubauen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bot dazu Deutschlands Hilfe an. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) appellierte an Mebazaa: "Gehen Sie den Weg in Richtung Demokratie, sorgen Sie für wirkliche Stabilität."

Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi kritisierte die Proteste im Nachbarland. Zu den neuen Machthabern sagte er: "Ich kenne diese neuen Leute nicht, aber wir alle kennen Ben Ali und die Veränderungen, die in Tunesien erzielt wurden. Warum zerstört ihr dies alles?". Er sei "schmerzhaft berührt", von dem, was in Tunesien geschehe, sagt er am Samstagabend im libyschen Fernsehen weiter. "Tunesien hat sich jetzt in ein Land verwandelt, das von Banden regiert wird", kritisierte Gaddafi, der selbst seit 40 Jahren an der Macht ist.

Ben Ali hatte das Land 23 Jahre in autoritärer Herrschaft regiert und hinterließ Gewalt und Chaos. Auslöser seines Sturzes waren Massenproteste gegen Korruption und hohe Arbeitslosigkeit. Sie hatten sich in der vergangenen Woche zu einem Volksaufstand ausgeweitet.

Neue Demonstrationen in Jordanien

Unterdessen protestierten am Sonntag in der jordanischen Hauptstadt Amman Hunderte Unzufriedene gegen die Regierung und verlangten bessere Lebensbedingungen. Die meisten Demonstranten gehörten zu islamischen Oppositionsparteien und Gewerkschaften. Die Regierungsgegner begrüßten zudem den Regimewechsel in Tunesien. Bereits am Freitag hatten Tausende Jordanier den Rücktritt der Regierung verlangt und gegen die schlechten Lebensbedingungen protestiert.

dpa