Schlüsselerlebnis

Schlüsselerlebnis
Erfahrung und Erinnerung sind türöffnend. Auch für den Glauben.

Normalerweiser, wenn ich das Haus verlasse, dann gehe ich im Kopf einen Dreiklang durch: Handy – Portmonee – Schlüssel. Vieles andere kann ich getrost auch mal vergessen, aber ohne diese drei Dinge bin ich ziemlich schnell aufgeschmissen. Doch diesmal, nach einem Besuch bei meinen Eltern, 600 Kilometer von meinem eigenen Zuhause entfernt, ging alles zu schnell, zu viele Dinge wirbelten mir im Kopf umher und ich vergaß meinen Dreiklang – und so auch mein Schlüsselbund. Es blieb bei meinen Eltern zurück. Und schon im ICE nach Berlin fiel mir auf, was für weitreichende Folgen das für mich hatte. Kein Zugang zum Haus, zur Wohnung, zum Briefkasten, zum Büro, zum Fahrrad. Da ich nicht alleine lebe, musste ich die Nacht nicht auf der Straße verbringen, aber alleine das Haus verlassen und ohne Absprache zurückkehren, das ging nun auch nicht mehr so einfach. Zum Glück war auf die Post Verlass: Sie brachte die vergessenen Schlüssel schon am nächsten Tag per Einschreiben in das Büro meines Mannes. Mein Vater schickte sie mir in einem Umschlag nach Berlin – versehen mit den Worten: „Ein ‚Schlüssel-Erlebnis‘. Das passiert dir so schnell nicht wieder.“  Und ich glaube, er hat recht. Wenn ich in Zukunft meinen Dreiklang Handy-Portmonee-Schlüssel im Kopf durchgehe, dann wird besonders das Wort „Schlüssel“ in mir nachklingen und ich werde in meiner Tasche tasten, ob er da ist. Das passiert mir so schnell nicht wieder. Ein Schlüsselerlebnis. Im wörtlichen und übertragenen Sinne.

Solche Schlüsselerlebnisse gibt es oft. Da passiert etwas, das einen nachhaltigen Wert hat. Eine Verbindung entsteht – zwischen Synapsen im Gehirn, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Menschen und Gott.  Manchmal steht am Anfang ein Verlust oder ein Vergessen, ein Sich-verloren-fühlen in der Welt. Und plötzlich ist da ein Moment, der Veränderung schafft. Auf einmal passt etwas, ein Schlüssel lässt sich problemlos im Schloss umdrehen, eine Tür öffnet sich und mit ihr eine neue Perspektive. Sie lässt manches neuartig erscheinen, schenkt Hoffnung oder Erkenntnis – auch neue Fragen, und stellt doch allermeist einen großen Gewinn dar. Was wäre der Glaube ohne solche Schlüsselerlebnisse? Individuell erfahrbar, verbindend und verändernd, seit Jahrtausenden schon.

Übrigens: Wenn mein Schlüssel zum Glauben, zu Gott, sich mal nicht gleich finden lässt, ein Schloss klemmt, eine Tür verschlossen bleibt, dann gehe ich in meinem Kopf noch einen anderen Dreiklang durch.  Vater – Sohn – Heiliger Geist. Dieser Dreiklang der Dreifaltigkeit schafft Verbindung, er erinnert mich an Schöpferkraft und Schwesternschaft, und macht mich wach für die Schlüsselerlebnisse, die heiligen Momente, die erkennen lassen: Da ist mehr möglich.

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