Getreide mit Geschichte

Mennoniten Brötchen aus Winterweizen
Merel Tuk
Historisches Saatgut
Getreide mit Geschichte
Eine mennonitische Gemeinde in den Niederlanden knüpft an eine alte Tradition an.

Deutsche Sprache ist schwer. Gerade in meiner bayerischen (fränkischen!!!) Heimat. Hier wechseln sogar die Artikel von einzelnen Wörtern je nach Tageszeit, so ein alter Witz. Tagsüber heißt es „der Weizen, das Korn“, abends dann „das Weizen, der Korn“.

Ja, die Artikel. Machen mir auch das Niederländisch-Lernen manchmal schwer. „Het stof“ ist Staub, „de stof“ ist Stoff. Oder andersrum. Nein, stimmt schon so. Glaube ich.

Na jedenfalls, um mal zum Thema zu kommen: Natürlich waren wir auch in diesem Jahr wieder in den Niederlanden, in unserer Lieblings-Gemeinde, der Doopsgezinde gemeente Ouddorp. Mennoniten sind das, und seit immerhin 30 Jahren laden sie jeden Sommer sonntags zur urlauberfreundlichen Zeit 11:15 ein zum deutschsprachigen ökumenischen Gottesdienst. Zwei davon habe ich im August mal wieder übernommen – und zum Abschied bekam ich ein ganz besonderes Geschenk: Mehl! (de meel? Het meel? OK, nachgesehen: Es ist „het meel“. Und zwar ganztägig.)

Das ist nun aber kein ganz gewöhnliches Mehl, im Gegenteil: Es ist Mehl mit einer langen Geschichte, die an die Verfolgung der Mennoniten erinnert. Dazu muss ich heute ein bisschen weiter ausholen, denn es geht Jahrhunderte zurück.

Diese Geschichte reicht tatsächlich zurück ins 16. Jahrhundert, als sich Menno Simons (1496-1561) aus dem friesischen Witmarsum der Täuferbewegung seiner Zeit anschloss und ein bedeutender Reformator wurde, nach dem heute noch die „Mennoniten“ benannt sind, die sich selbst in den Niederlanden aber „Doopsgezind“ nennen, also in etwa „auf die Taufe gesinnte“.

Dort, in Witmarsum, gab es eine besondere Weizensorte. Vermutlich kam sie ursprünglich aus der Türkei. Sie ist ein bisschen rötlich, darum heißt sie auch „Red Turkey Wheat“. Winterweizen, mit langen Grannen und viel Stroh. Als die Mennoniten schließlich aus ihrer Heimat fliehen mussten, nahmen sie etwas Saatgut mit – eingenäht in Taschen und überall, wo sich Körner verstecken ließen. Sie flohen nach Polen, in die Ukraine, selbst nach Sibirien und später in die USA. Überall nahmen sie ihre Weizenkörner mit, bauten sie meist nur im kleinen Rahmen an.

Erst um 1992 taten sich im Staat Ohio einige mennonitische Bauern zusammen, um „ihren“ Weizen in größerem Stil anzubauen. Eine Supermarktkette freute sich, lokale Produkte und nicht veredelte Getreidesorten anbieten zu können. Auch ein aus dem Mehl gebackenes Brot fand guten Absatz.

In der Heimat von Menno dagegen war das Korn mittlerweile fast unbekannt. 2018 jedoch bereitete ein anderer Menno – Menno de Vries – eine Ausstellung vor und hörte in diesem Rahmen von dem Getreide aus Ohio. Er nahm Kontakt mit den dortigen Bauern auf, die ihm gerne Saatgut zukommen ließen – und so schloss sich nach Jahrhunderten der Kreis: Im friesischen Witmarsum wurde im Herbst 2018 zum ersten Mal wieder der mennonitische Weizen angebaut. Die erste Ernte war ein Fest, das lokale Brot „Mennobôle“ wurde ein Erfolg.

Und nun kommen wir endlich zurück zur Gemeinde in Ouddorp. Die feierte nämlich, trotz aller Verfolgungen, im Jahr 2022 ihr 400jähriges Jubiläum auf der Insel Goeree-Overflakkee. Also wurden zum Jubiläum nun auch hier auf Gemeinde-Pachtgrund die Weizenkörner ausgesät, geerntet, in der örtlichen Windmühle gemahlen. Der salzige Seewind, so die Broschüre zum Mehl, verleiht den Körnern einen ganz eigenen Geschmack. Gemeinsam mit einer örtlichen Bäckerei wurde ein eigenes Brot entwickelt, das den Geschmack besonders zur Geltung bringt.

Und so können Sie jetzt auch in Ouddorp nicht nur gemahlenen Weizen erstehen, sondern auch ein ganz besonderes Sauerteigbrot: Das Ouddûrps Menniste Brôôd. Überhaupt verlegte die Gemeinde sich aufs Backen: Verschiedenste Rezepte wurden entwickelt oder einfach vorhandene Rezepte mit diesem Mehl ausprobiert. Kuchen, Kekse, Brot: Alles wird hier geteilt. Und selbst die langen, biegsamen Halme, die modernen Getreidesorten weggezüchtet wurden, eignen sich gut zum Flechten. 

Geschichte verbunden mit Natur und Gemeindeaufbau: Ob die Bauern aus Witmarsum sich das vor Jahrhunderten hätten vorstellen können?

Leider habe ich in meinem Urlaub kein Mennonitenbrot mehr probieren können. Aber nächstes Jahr bestimmt!

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