Drive-Through-Beerdigung

Drive-Through-Beerdigung
In den USA kann man mit dem Auto an den Sarg fahren. Und eigentlich ist das gar nicht so schlecht.

Der Postillon, eine der bekanntesten Satire-Seiten im deutschsprachigen Netz, brachte vor kurzem eine Meldung: „Erste Drive-In-Schule ermöglicht Eltern, ihr Kind mit dem Auto zum Klassenzimmer zu bringen“. Schöne Satire, die die Eltern auf die Schippe nimmt, die ihre Kinder tatsächlich am liebsten bis zum Klassenzimmer fahren würden, statt ihnen zuzutrauen, dass sie ihren Schulweg auch selbständig bewältigen können.

Bei diversen Fast-Food-Restaurants ist es dagegen gang und gäbe, die Bestellung durchs Autofenster entgegenzunehmen. Menschen sind halt bequem, und praktisch ist es auch.

In den USA hat sich die Idee in den letzten Jahren auf ein völlig anderes Geschäft ausgebreitet: Einige Bestattungsunternehmen bieten offenbar die Möglichkeit einer „Drive-Through-Bestattung“ an. Der offene Sarg steht hinter einer Glasscheibe, die Trauergäste fahren mit dem Auto vor und können in aller Ruhe Abschied nehmen. Oder einfach nur mal durchs Fenster winken.

„Diese Amis mal wieder“ denken Sie jetzt vermutlich. „Willkommen beim Beerdigungsinstitut, Ihre Beerdigung bitte!“ Alle weiteren Kalauer mit Sarg und Drive in verbieten sich eigentlich von selbst.

Aber so schlecht ist die Idee gar nicht. Gerade für alte, kaum noch gehfähige Menschen ist dies eine Möglichkeit, von einem geliebten Menschen Abschied zu nehmen, den sie sonst vielleicht nicht mehr am Sarg besucht hätten. Viel wichtiger scheint aber zu sein, was beispielsweise den Bestatter Robert L. Adams zu diesem Angebot bewegt hat: Er beobachtete, dass viele Trauergäste einfach keine Erfahrung mehr im Umgang mit dem Tod hatten. Ihnen ging es im wahrsten Sinn des Wortes zu nahe, mit dem Sarg in einem Raum zu sein. Das kann man durchaus kritisieren, daran müsste man arbeiten – aber nicht unbedingt im akuten Trauerfall. 

In anderen Beerdigungsinstituten gab es daher bereits die Möglichkeit, den Sarg über eine Kamera aus einem Nebenraum zu betrachten oder auch der Trauerfeier zu folgen. Das erschien ihm unpassend. So kam er auf die Idee, eine Glasscheibe zwischen Trauergästen und Sarg zu installieren. Offenbar ein guter Einfall – der den Angehörigen oft auch die Ausrichtung einer Trauerfeier ersparte. Schließlich konnte jeder Abschied nehmen, wann er oder sie wollte. Das mögen wir kritisch sehen, ist doch ein Abschied im Vorbeifahren etwas ganz anderes als eine gemeinsame Feier, in der das Leben des oder der Verstorbenen noch einmal überdacht wird und gerade bei christlichen Feiern auch die Hoffnung auf die Auferstehung gefeiert wird. Aber na ja, andere Länder, andere Sitten.

Mehrmals wurde die ganze Einrichtung auch andersrum angewendet. Denn überraschenderweise gab es dann auch Mitglieder einer örtlichen Straßengang, die von einem verstorbenen Mitglied Abschied nehmen wollten – aber auf der gleichen Seite der Glasscheibe. Durch die kugelsichere Scheibe waren sie nämlich vor Angriffen einer verfeindeten Gang geschützt. In der außerordentlich gefährlichen Gegend wäre ihnen so ein Abschied am offenen Grab nicht gefahrlos möglich gewesen, hier gab es schon Schießereien auf dem Friedhof.

Im übrigen hilft die Glasscheibe vielleicht wirklich, die Distanz zum Tod ein wenig abzubauen. Manchmal, so ein Bericht, kommen auch völlig Unbekannte. Sie wollen sehen, wie das aussieht: Ein toter Mensch. Sie wollen sich damit beschäftigen, was das bedeutet. Vielleicht sind sie dann, wenn eines ihrer Familienmitglieder sterben sollte, auch bereiter dazu, sich dem Tod zu stellen und ihn nicht nur durch eine Kamera oder eine Glasscheibe zu betrachten.

Ob das Angebot beim Bestatter Robert L. Adams noch existiert, können wir übrigens nicht sagen. Auf der Homepage haben wir dazu keine Angaben gefunden, und auf diese seltsame Mail aus Deutschland hat sich leider bis heute niemand gerührt.
 

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