Wir haben doch nur die Liebe.

Wir haben doch nur die Liebe.
Die Atmosphäre in den Medien ist aufgeheizt und gereizt. Was würde Jesus tun?

Der Ton wird rauer. Viel rauer. Dinge, die vor zehn Jahren im Dialog der Religionen oder auch im Umgang mit Asylsuchenden selbstverständlich waren, werden heute aggressiv „angeprangert“. „Die Kirche“, zumal die evangelische, sorge für ihren eigenen Untergang, sei zu politisch, zu grün (pardon, „grünversifft“), zu rücksichtsvoll im Umgang mit anderen (gemeint ist: mit Muslimen) und was dergleichen da noch an Vorwürfen kommt. Wollen Sie Beispiele? Suchen Sie einfach mal auf Twitter nach dem Wort „Kirche“. Ich spreche hier bewusst (fast) nichts an, denn über diese Themen wird schon an anderen Stellen genug diskutiert, hier soll es eher um das Grundsätzliche gehen:

Die Stimmung ist aufgeheizt und gereizt. Viele Kirchenvertreter/innen erhalten Morddrohungen, werden anonym beleidigt. Auch ich, gelegentlich. Nicht nur Kirchenleute natürlich, auch Politiker/innen, Journalist/innen und so weiter. Was geschieht da? Und wie können, ja sollen, wir als Christinnen und Christen damit umgehen?

Versuchen wir es doch mal mit einer ganz einfachen Frage, die in manchen christlichen Kreisen sogar eine eigene Abkürzung hat: WWJD? What would Jesus do – was würde Jesus tun?

Gut: Was HAT Jesus denn getan? Er hat von Gottes Liebe gepredigt, und er hat sie ganz konkret umgesetzt. Er hat mit dem verhassten Zöllner gegessen. Er hat die Aussätzigen geheilt. Er hat sich allen Menschen liebevoll zugewandt, ganz egal, wo sie herkamen. Und er hat gepredigt in einer Weise, die den Menschen unheimlich war. Da war nichts zu hören von „verteidige deine (bzw. Gottes) Sache tapfer“ oder „kämpfe für deine Werte“. Nein, im Gegenteil: Die berühmte Bergpredigt stellt unsere normalen Werte auf den Kopf. Nicht nur die Seligpreisungen. Sondern auch Jesu weitere Auslegungen des den Juden aus dem Alten Testament bekannten „Gesetzes“:

Matthäus 7, 38 Ihr habt gehört, dass gesagt ist (2. Mose 21,24): »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« 39 Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Bösen, sondern: Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. 40 Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel. 41 Und wenn dich jemand eine Meile nötigt, so geh mit ihm zwei. 42 Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas von dir borgen will.

43 Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst deinen Nächsten lieben« (3. Mose 19,18) und deinen Feind hassen. 44 Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, 45 auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. 46 Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? 47 Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden?

Das ist es, was uns Christen auszeichnen soll: Die bedingungslose Liebe, die nicht aufrechnet, sondern vergibt. Die mehr gibt als gefordert. Und das ist kein Kanzel-Blabla, sondern ernst gemeint und ziemlich ärgerlich. Das kann man doch nicht machen, jedenfalls nicht ständig. Unmenschlich ist das. Ein Ärgernis ist das für alle, die anders denken. Das „Ärgernis des Kreuzes“, das Nichtchristen nicht verstehen können – und auch viele Christen nicht. Und doch: Die ersten Christen, die damals selbst bei ihrer Hinrichtung noch Lieder sangen und für ihre Henker beteten: Sie waren die überzeugendsten Boten dieses damals noch jungen Christentums und ließen viele danach fragen, was diese Christen bewegt.

Wir haben nur diese eine „Waffe“, um unseren Glauben zu verteidigen: die Liebe. Die Liebe, die blauäugig und weltfremd daherkommt, das mag sein, unbenommen. Doch das ist es, was Jesus uns geboten hat. Er, der selbst bei seiner Festnahme sich nicht gewehrt hat. Er, der zu dem Jünger, der ihn verteidigen wollte, sagte: „Stecke dein Schwert an seinen Ort! Denn wer das Schwert nimmt, der wird durchs Schwert umkommen.“ (Matthäus 26,52) Er, der dafür sogar bereitwillig in den Tod gegangen ist.

Zur Liebe gehört aber noch etwas anderes: Der Widerspruch, wenn ich das Verhalten des anderen nicht akzeptieren kann, weil es dieser Liebe widerspricht. Denn Liebe heißt auch: Es ist mir nicht gleichgültig, was der oder die andere tut oder sagt. Jesus hat gestritten mit den Menschen um ihn herum. Er hat klar gesagt, was schief läuft, was nicht Gottes Willen entspricht. Er hat sich voll hineingegeben in diese Gespräche, sich klar und eindeutig geäußert, was Gottes Wille ist und was nicht.

Deshalb sind auch wir verpflichtet, „klare Kante“ zu zeigen, wenn Menschen ausgegrenzt und diffamiert werden, wenn verzweifelte Menschen auf der Flucht vor Verfolgung im Mittelmeer ertrinken, wenn Menschen, die im Bombenhagel alles verloren haben, selbst bei uns, in einem der reichsten Länder der Welt, Verfolgung und Hass erleben müssen. Wenn Fremdenfeindlichkeit und Rassismus gepredigt werden. Vor allem, wenn die Leute, die da Hass und Zwietracht säen, dies vorgeblich im Namen der Verteidigung eines „christlichen Abendlands“ tun.

Das mit dem Einsatz für die Armen und Entrechteten hat nicht erst Jesus „erfunden“. Schon die Propheten des Alten Testaments forderten „Recht und Gerechtigkeit“. Ein gottesgefälliger Glaube ist einer, der sich im Umgang mit den anderen zeigt. Jeremia bringt es im Kapitel 22,3 auf den Punkt:

So spricht der Herr: Schafft Recht und Gerechtigkeit und errettet den Beraubten von des Frevlers Hand und bedrängt nicht die Fremdlinge, Waisen und Witwen und tut niemand Gewalt an und vergießt kein unschuldiges Blut an dieser Stätte.

Eine Kirche, die diese Forderungen ernst nimmt, kann sich aus Politik nicht heraushalten. Es ist unsere Aufgabe, unsere grundlegende Überzeugung, im Rahmen unserer Möglichkeiten dafür zu sorgen, dass alle Menschen menschenwürdig leben können. Und wir tun das nicht nur mit Diakonie und Caritas und durch das selbstlose Handeln vieler Christinnen und Christen, sondern auch, indem wir uns zu sozial- und umweltpolitischen Themen klar und deutlich äußern. Mag sein, dass das manche Politiker ärgert. Mir scheint, dass vor allem diejenigen heute fordern, Kirche solle sich aus der Politik heraushalten, denen diese aus unserem Glauben begründeten Forderungen nicht passen. Schon Bismarck hatte versucht, den Pfarrern politische Äußerungen zu verbieten, sein „Kanzelparagraph“ wurde im „Dritten Reich“ gerne verwendet, um lästige Pfarrer mundtot zu machen, siehe etwa Martin Niemöller oder Pater Rupert Mayer. Nein, wir können nicht schweigen zu politischen Fragen, wenn wir unseren Auftrag als Christen ernst nehmen.

Was würde Jesus heute tun, angesichts der Ängste, die viele Menschen heute umtreibt? Angesicht der Ängste vor „Überfremdung“ und dem Untergang der eigenen Kultur? Er würde sich denen zuwenden, die voller Angst sind, und ihnen den Satz zusprechen, der in der Bibel so oft zu finden ist wie kein anderer: „Fürchte dich nicht!“ Sicher würde er mit ihnen – und auch mit uns – streiten über den Glauben. Er würde weiter von Gottes wunderbarer Liebe erzählen. Er würde auch denen davon erzählen, die anders glauben. Auch denen, die ihm feindlich gegenüberstehen. Und was würde er tun, wenn sie ihm mit Gewalt begegnen? Wir wissen, was Jesus getan hat. „Stecke dein Schwert an seinen Ort! Denn wer das Schwert nimmt, der wird durchs Schwert umkommen.“

Das ist das Ärgernis des Kreuzes: Dass wir eigentlich gar nichts haben. Nichts außer die Liebe und das Wort. Keine Waffen, keine Gewalt, nicht einmal ein „Rechthaben“. Das ist das Ärgernis des Kreuzes: Dass wir völlig anders handeln sollen als der „gesunde Menschenverstand“ das tun würde. Die andere Backe hinhalten. Noch eine Meile mitgehen. "Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach." (Lk 9,23) Frustrierend, oder?

Daran werden wir alle immer wieder scheitern. Auch ich. Was würde ich als Christ in Syrien tun, wenn ich ganz konkret vom IS bedroht werde? Ich weiß es nicht. Wirklich nicht. Aber ich glaube, dass es eigentlich nur so geht, wie Jesus es uns gezeigt hat: Mit radikaler Liebe, selbst meinen Feinden gegenüber. Und mit dem Vertrauen darauf, dass Gott in dieser irren, verrückten, kaputten Welt wirkt, auch gegen den Augenschein, auch gegen den Tod. Und auch dann, wenn ich selbst daran scheitere. Darum:

Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. (1. Joh 4,19)

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