Rückzugschristen

Rückzugschristen

Oh Mann, dieser Galileo. Wie konnte er nur das Weltbild der Kirche so erschüttern. Manchmal habe ich den Eindruck, selbst heute noch denken manche Christen so. Haben Angst, am Rand der Erde herunterzufallen, sehen wissenschaftliche Forschung als etwas Böses an. Und je weiter die Forschung ihre Erkenntnis vorantreibt, desto weiter ziehen sie sich mit ihrer Argumentation zurück. „Ja, aber...“ so dürften viele ihrer Sätze beginnen. „Rückzugschristen“ nenne ich sie, so für mich. Das sieht dann ungefähr so aus:

Irgendwann arrangiert man sich damit, dass die Erde nicht das Zentrum des Universums ist. Aber die Sonne doch wohl, oder? Nee, auch nicht. Dann halt unsere Milchstraße. Ähm, ja gut, aber den Urknall, den hat Gott doch bestimmt gemacht, oder? Sonst wäre er ja irgendwie nicht Schöpfer. So. Beweist doch mal das Gegenteil.

Gut, dann wäre da noch der Herr Darwin. Der macht das Gleiche von der biologischen Seite. In Ordnung, schon Recht, der Mensch stammt vom Affen ab, und überhaupt ist alles aus irgendwelchen mikroskopisch kleinen Lebewesen enstanden, aber sicher hatte bei der Entwicklung des Menschen irgendwann Gott die Finger drin. Der hat diese Entwicklung gesteuert. Oder bei der Entstehung der allerersten Mikroben. Oder... auch nicht? Er ist doch der Schöpfer. Ach ja, und schaut mal: Wenn man statt „Tage“ „mehrere Millionen Jahre“ einsetzt im Schöpfungsbericht, dann passt es doch auch fast wieder. Nur zwei der beschriebenen Ereignisse kommen dann nicht in der richtigen Reihenfolge. Also hat die Bibel doch Recht! Sagt doch schon der Psalm: Tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist. Puh. Nochmal Glück gehabt. Gott als Schöpfer gerettet. Weltbild in Ordnung.

Jetzt kommt der brillianteste Physiker der Neuzeit, Stephen Hawking, und beweist: Selbst für den Urknall, die letzte Bastion der Rückzugschristen, war kein Gott notwendig. Die Atheisten kichern hämisch, die Rückzugschristen sind verwirrt, weisen Hawking zurück. Was bleibt ihnen auch anderes übrig? Weiter zurückziehen als bis zum Urknall geht irgendwie nicht. Wirklich interessant die Äußerung des Erzbischofs von Canterbury, Rowan Williams: Der Glaube an Gott verlange nicht, „eine Wissenslücke mit Erklärungen zu stopfen, wie die Dinge zusammenhängen“. Ähm ja. Ich habe diesen Satz jetzt mindestens zehnmal gelesen. Ich glaube, er heißt: Hört jetzt mal auf zu forschen, weil wir wissen nicht mehr, wohin wir uns noch zurückziehen sollen.

Ehrlich gesagt: Ich finde das – oder Bücher mit trotzigen Titeln wie „und die Bibel hat doch recht“ – ziemlich peinlich.

Ja, die Bibel bezeichnet Gott als den Schöpfer. Sie tut das an vielen Stellen, in zwei völlig unterschiedlichen Schöpfungsberichten am Anfang der Bibel und noch in ein paar Psalmen. Schon diese „Berichte“ sind so unterschiedlich, dass sie einfach nicht zusammenpassen. Das fängt schon damit an, dass im einen der Geist Gottes „über den Urfluten schwebte“, während es im anderen am Anfang strohtrocken ist, weil „Gott es noch nicht hatte regnen lassen“.

Das große Problem dahinter ist, dass wir die Bibel heute kaum noch so verstehen können, wie sie gemeint ist. Unser Geist ist wissenschaftlich geschult. Wir erwarten klare Berichte, die hundertprozentig nachvollziehbar sind. Exakte Definitionen. „Wahrheitsgetreue“ Aussagen. 

Für die Menschen, die diese Geschichten niederschrieben, waren dagegen ganz andere Dinge wichtig. Für sie lag die „Wahrheit“ nicht so vordergründig in den geschriebenen Worten. Sondern in den Bildern, die sie damit transportierten. In den Bildern, die sagten: Gott hat diese Welt in der Hand. Auch wenn wir aus unserer Heimat deportiert wurden und im fernen Babylon leben müssen: Gott hat die Welt und damit uns in der Hand. Der Nutzer Ismael hat dazu hier einen ausgezeichneten Artikel geschrieben, der das Ganze näher ausführt; diese Argumentation spare ich mir heute.

Jedenfalls: Der Bibel ging es nie darum, die Entstehung der Welt exakt zu beschreiben. Das war schon immer vollkommen irrelevant. Es ging nur darum, in diesen Bildern zu „transportieren“: Gott ist da. Er ist uns nahe, auch in der fremden Umgebung. Er ist stärker als die Götter der Babylonier, auch wenn die den Sieg davongetragen zu haben scheinen. Das meint die Bibel mit „Gott ist der Schöpfer“. So kann ich auch von Gott als dem Schöpfer reden. Als dem, der alles in der Hand hat. Es kommt eben immer darauf an, welche Vorstellungen man mit einem Wort verbindet. (In meiner mittelfränkischen Heimat zum Beispiel ist ein Schöpfer, nun ja, eine Suppenkelle – aber das ist eine andere Geschichte.)

Auch Jesus hat ja ganz viele Geschichten erzählt, um darin etwas über Gott auszusagen. Viele kennen das Gleichnis vom verlorenen Sohn, aber kaum jemand käme auf die Idee, es wörtlich zu verstehen und sich Gott als einen erfolgreichen Landwirt mit zwei Söhnen vorzustellen. Warum es bei der Schöpfung anders sein soll, ist mir wirklich ein Rätsel.

Die Existenz Gottes – aber auch seine Nichtexistenz – lässt sich nicht beweisen. Es ist eine Glaubensentscheidung, so oder so. Und das wird sie auch immer bleiben. Ich jedenfalls glaube, dass ich Gottes Nähe in meinem Leben schon oft gespürt habe. Andere würden das als Einbildung abtun, mag sein. 
Ich stehe nicht in einem Rückzugskampf, denn was am Anfang der Welt geschehen ist, das interessiert mich zwar sehr (ich werde Hawking sicher auch lesen), aber es hat nichts, überhaupt nichts damit zu tun, dass ich mich von Gott getragen fühle.

Mein Glaube ist vorwärts gerichtet, nicht rückwärts. Auf das Leben, das noch vor mir liegt. Und auf das Leben, das nach meiner Überzeugung auch nach dem Tod auf mich wartet. Und das ist wirklich eine Glaubensentscheidung.

Ob ich mit dieser Entscheidung Recht habe oder nicht – darüber können wir uns dann ja mal nach unserem Tod unterhalten. Ich freue mich darauf. 

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