Die Talkshow-Aufregung

Die Talkshow-Aufregung
Es gibt viele Gründe, die politischen Talkshows nicht zu mögen. Doch den Zustand der Medien – und der Demokratie – spiegeln sie mit allen Vor- und Nachteilen ziemlich gut ...

"Germany's Next Top Model" und das Dschungelcamp bekommen wahrscheinlich etwas mehr Aufmerksamkeit pro Folge. Aber die Privatsender-Shows laufen ja immer nur einige Wochen pro Jahr – und müssen hart daran arbeiten, mit leichten Variationen ihren Marktanteil zu halten. Polit-Talkshows laufen übers ganze Jahr hinweg. Sogar Urlaub machen ihre Gastgeber zeitversetzt, damit immer einige im Dienst sind. Im Live-Programm, das wegen des Trends weg vom linearen Fernsehen immer wichtiger wird, sind Talkshows von "Anne Will" am Sonntag bis "maybrit illner" am Donnerstag in der Summe ihrer vielen Folgen das aufmerksamkeitsstärkste Fernseh-Genre.

Das hat auch mit Medien-Gewohnheiten zu tun, die sich um sie herum gebildet haben. Nachrichtenportale bringen weiterhin Nacht- oder Frühkritiken, weil sie verlässlich gut geklickt werden. [Offenlegung: Auch ich schreibe manchmal welche, bin also leicht befangen ...]. Viele Zuschauer kommentieren während der Sendung auf ihren "Second Screens" in den sog. sozialen Medien. Das geht schon deshalb gut, weil es auf dem ersten Bildschirm außer redenden und zuhörenden Köpfen wenig zu sehen gibt.

Gerade gab es für die öffentlich-rechtlichen Talkshows noch mehr Aufmerksamkeit. Der sonst wenig auffällige Deutsche Kulturrat forderte "ein Jahr Talkpause im Ersten und im ZDF", da die Talkshows geholfen hätten, "die AfD bundestagsfähig zu machen". Anlass waren zwei Ausgaben mit überdurchschnittlich provokanten Titeln ("Flüchtlinge und Kriminalität – Die Diskussion!", "Die Islamdebatte: Wo endet die Toleranz?", die zunächst sogar "Sind wir zu tolerant gegenüber dem Islam?" hätte heißen sollen) in derselben Woche. Gerne wurde die These zugespitzt: Die Shows hätten "den Rechtsruck herbeigetalkt", schrieb Georg Diez bei Spiegel Online.

Endlose Echtzeit-Diskussionen

Allerdings lief die Plasberg-Show "Flüchtlinge und Kriminalität", die dann auch SPON "nicht so schlimm wie erwartet" fand, im Anschluss an die ARD-Reportage "Das Mädchen und der Flüchtling" unter anderem über eine von einem Flüchtling begangene Mordtat in Kandel – nach der die "Tagesschau" in die Kritik geraten war, da sie darüber spät und wenig berichtet hatte. Kritik, dass die Öffentlich-Rechtlichen Kriminalität von Geflüchteten nur selten und sehr vorsichtig thematisieren, gibt es ebenfalls regelmäßig, bloß von anderen Seiten. Offenkundig ist im Lauf der Jahre "hart aber fair" in die Rolle gerutscht, das zu kompensieren. Möchte sich jemand vorstellen, wie die "Flüchtlinge und Kriminalität"-Sendung und die Diskussionsstränge drumrum ausgesehen hätten, wenn der kurz darauf publik gewordene Mordfall Susanna F. zu dem Zeitpunkt schon bekannt gewesen wäre?

Das führt zu Fragen wie der, was "Rechtspopulisten" (ein in Talkshows gern benutzter, aber unscharfer Begriff) mehr "in die Hände spielt": über ihre Themen zu sprechen, sogar mit ihnen, oder ihre Themen oder wenigstens Perspektiven auszublenden. Also in Meinungskämpfen, die von immer aktuellen Erzeugnissen getrieben quasi in Echtzeit geführt werden. Und die im Prinzip endlos geführt werden können, ohne zu Ergebnissen zu gelangen. Die Antworten hängen eben von den individuellen politischen Ansichten ab, und dass jemand sich von neuen Argumenten überzeugt zeigt, geschieht selten. Lieber ziehen alle jeweils heran, was zur eigenen Weltsicht passt: Das sind die Muster, die man von Facebook und Twitter kennt – und eben aus Talkshows.

"Ihre staatstragende Funktion hat die Talkshow immer gerne überschätzt", schrieb Arno Frank, "taz"-Redakteur und SPON-Talkshowrezensent, in einem weiteren Talkshow-Rant – wenige Tage, bevor die Bundeskanzlerin überraschend als einziger Gast in Anne Wills Sonntags-Talkshow saß, also genau diese staatstragende Funktion besiegelte. Wobei Angela Merkel und ihre Interviewerin aus ihren Blickwinkeln natürlich recht hatten: Wer als Regierungschefin möglichst viele Bürger direkt ansprechen möchte (und nicht twittert), fährt in Talkshows am besten. Den Sendungen hilft das im Einschaltquoten-Wettbewerb: Gastiert die Kanzlerin, schauen mehr zu, als wenn schon wieder bloß Peter Altmaier ihre Politik erklärt. Nur ob das Staatstragende und Bundesregierungs-Nähe dem gerade heftig attackierten kritisierten Fernsehgenre Talkshow gut tun, wäre eine weitere Frage, über die lange diskutiert werden könnte.

Hauptsache provokant

Aber im Prinzip alles halbwegs im Lot, wenn endlosen Diskussionsstoff viel Rede-Sendezeit gegenübersteht? Natürlich nicht. Das über Jahrzehnte tief eingeschliffene System birgt jede Menge Probleme. Dass die Talker, die oft auch Produzenten ihrer Sendungen sind, von jeder Aufregung profitieren, weil in ihrem Geschäft nur keine Aufregung ein Problem wäre, ist eins davon.

Dazu gehören Aufreger-Sendungstitel à la "Der Club der Reichen – wie viel Ungleichheit verträgt das Land?", "Wie kann das noch sein: Judenhass in Deutschland?", "Trumps Botschaft, Irans Bombe – kann Europa Krieg verhindern?", "Erst Macron, dann Merkel - wer hat mehr bei Trump erreicht?", "Stürzt Trump die Welt ins Chaos?" oder "Chaos beim Asyl – warum hat der Staat versagt?", um ein paar jüngere Beispiele zu zitieren.

Sofern sie nicht ausnahmsweise mit einem Ausrufezeichen enden, bestehen die Titel immer in Fragen. Beim Nachtkritik-Schreiben hilft immer zu schauen, ob die titelgebende Frage beantwortet wurde. Oft wurde sie nicht mal gestellt. Talkshow-Titel erfüllen dieselbe Funktion wie zurzeit Überschriften und Vorspänne zu Artikeln und Videos im Internet: Sie sollen anteasern, also mit tagesaktuellen Reizwörtern im Voraus gespannt genug machen, um möglichst viele Einschalt-Impulse (beziehungsweise Klicks) zu provozieren. So oder so zu provozieren. Ob Titel und Teaser schließlich viel mit dem Inhalt zu tun haben, ist gleichgültig. Insofern Talkshows spiegeln den Zustand der Medien und auch der Demokratie mit allen Vor- und Nachteilen ziemlich gut. Weil sie in zwei Sphären, die sonst selten sehr viel mit einander zu tun haben, zugleich als Verstärker funktionieren, dem linearen Fernsehen und den sog. soz. Medien, ist das Schauspiel oft aufschlussreich anzusehen.

Natürlich wäre wünschenswert, dass die Talkshows ihr enges und im Gesamtbild absurd redundantes Themenspektrum erweitern würden und zum Beispiel mehr über Klimawandel diskutieren würden, oder über prägnant begrenzte Probleme so, dass sich vielleicht sogar Antworten geben ließen. Aber um das zu erreichen, müsste grundsätzlicher und breiter über das ganze Fernseh-Programm diskutiert werden, und über mediale Entwicklungen, deren Symptom Talkshows eher sind als deren Ursache. Mit dem Anliegen, dass Wahlergebnisse nicht passen oder andere Meinungen bitte populärer werden sollen, allein auf sie zu schimpfen, hilft niemandem. Eher schadet die Unterstellung, dass Kausalzusammenhänge in den Medien so schlicht funktionieren, allen.

 

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