Vertrauen wagen!

Vertrauen wagen!
Wem kann ich vertrauen, wo finde ich Räume, um mich als Queer zu öffnen oder zu finden? Das Regenbogenzentrum beim Deutschen Evangelischen Kirchentag ist so ein Raum des Vertrauens. Beim Feierabendmahl des Kirchentages kommen regelmäßig Menschen aus der gastgebenden Ortsgemeinde und dem Regenbogenzentrum zusammen. Gemeinschaft der Verschiedenen. Vertrauen wagen, Verschiedenheit aushalten - das war das Thema der Predigt von Wolfgang Schürger, die wir hier in überarbeiteter Fassung wiedergeben.

Was für ein Vertrauen! Die Losung des Kirchentages 2019 lädt dazu ein, Vertrauen zu wagen.

Um Vertrauen wagen zu können brauchen wir Gemeinschaft. Wir brauchen Gemeinschaft, wenn andere versuchen uns zu mobben. Wir brauchen Gemeinschaft, wenn wir nach unserer eigenen sexuellen Identität suchen. Wir brauchen Gemeinschaft, wenn wir uns orientierungslos fühlen in der Flut von Informationen und Meinungen, die auf uns einströmt. In der Gemeinschaft können wir Vertrauen wagen!

Gemeinschaft der Verschiedenen

In Momenten wie dem Coming Out braucht es die Gemeinschaft der Gleichen. Ich brauche Menschen, die diesen Weg schon gegangen sind, die fühlen wie ich, die mich in meinem Weg bestärken. Doch in unserer Gesellschaft beobachten wir immer mehr, dass es auch gefährlich sein kann, sich nur in der Gemeinschaft von Gleichgesinnten zu bewegen. Meine Weltsicht verengt sich, wenn ich mich ständig in derselben Meinungs- und Informationsblase bewege.

Heute, hier in der Lutherkirche, sind wir Gemeinschaft der Verschiedenen geworden: Menschen aus dem Regenbogenzentrum und Menschen aus der Kirchengemeinde, Menschen von weit her und Menschen, die fest in Hörde verwurzelt sind, Junge und Alte, Menschen in unterschiedlichsten Lebenslagen. In Christus ist nicht Jude noch Grieche, nicht Sklave noch Freier, nicht Mann noch Frau, sagt der Apostel Paulus, in Christus und an seinem Tisch entsteht Gemeinschaft der Verschiedenen.

Verschiedene Erlebnisse und Erfahrungen habt ihr mitgebracht und miteinander geteilt. Vielleicht hast du dich darüber gewundert, was die andere gut gefunden hat, vielleicht habt ihr sogar heftig miteinander diskutiert. Vielleicht hat sich dein Bild von Trans-Menschen, von Menschen, die mit Hartz IV leben oder von geflüchteten Menschen verändert, durch das, was dein Gegenüber erzählt hat.

Gemeinschaft der Verschiedenen auszuhalten, ist nicht einfach. Die andere stellt mich in Frage, das Miteinander verändert meine Perspektive…

Christus hat uns zuerst vertraut

Was für ein Vertrauen! Als Christinnen und Christen wagen wir immer wieder Vertrauen, weil wir wissen, dass Gott uns zuerst vertraut hat. Ich habe viele Jahre für die Gleichberechtigung von queeren Menschen in meiner Kirche gekämpft. Mit den Mitgliedern der Kirchenleitung haben wir intensiv diskutiert, mitunter auch heftig gestritten. Und dann habe ich Gottesdienst und Abendmahl gefeiert mit Menschen, von denen ich wusste, die hätten mich nicht ordiniert. Doch Christus war unsere gemeinsame Basis, an seinem Tisch waren wir vereint. Einer, mit dem ich immer wieder intensiv diskutiert hatte, sagte vor einigen Jahren bei seiner Verabschiedung aus der Kirchenleitung: „Ich habe viel von Ihnen gelernt!“ Auf der gemeinsamen Basis, Christus, haben wir Vertrauen zueinander gefunden und neue Wege haben sich aufgetan, Wege, auf denen ich auch akzeptieren kann, dass manche aus ihrer Frömmigkeit heraus sich schwer tun mit queeren Lebensweisen. Wenn viele Kirchen hier in Deutschland jetzt die Trauung für alle mit einem Gewissensvorbehalt für diejenigen verbinden, die diese Trauung für alle von ihrer Frömmigkeit her nicht verantworten können, dann zeugt das für mich von hohem Respekt voreinander. Was für ein Vertrauen – dass wir bei aller Verschiedenheit doch gemeinsam Kirche Jesu Christi sein können!

Vertrauen wagen!

Lasst uns immer wieder dieses Vertrauen wagen! In jeder Gemeinschaft von Verschiedenen gibt es Schwierigkeiten und Herausforderungen. Wenn ich nur die Schwierigkeiten sehe, dann verhärtet sich mein Herz – so, wie sich das Herz der Jüngerinnen und Jünger nach Ostern vor Angst verhärtet hatte. Wenn wir aber versuchen, unter uns Verschieden die Gemeinsamkeiten zu entdecken, dann entsteht Raum, den wir gemeinsam gestalten können. So verschieden wir sind: Gott hat uns an seinem Tisch gestärkt, er hat Vertrauen zuerst gewagt, indem er die Grenzen zwischen Gott und Mensch überwunden hat: In Jesus Christus ist er einer von uns geworden und an seinem Tisch sind wir alle seine geliebten Kinder. Jesus Christus, der uns verbindet, das ist die Basis, auf der wir Vertrauen wagen, miteinander in Verschiedenheit leben und Zukunft gestalten können! Amen.

weitere Blogs

Eine Ordensschwester im Kongo wurde wieder freigelassen – weil der Bandenchef keinen Ärger wollte.
Ein spätes, unerwartetes Ostererlebnis der besonderen Art
Nach 15.000 Kilometern und fünf Monaten ist Leonies Reise vorbei. Was bleibt? In ihrem letzten Blogbeitrag schaut sie auf ihre Erfahrungen zurück.