Knorrtütensuppenwerbung

Knorrtütensuppenwerbung

Charlie Hebdo legt mit einer Islam-Satire nach, die Titanic kündigt auch eine an. Julia Schramm steht für "Klick mich" in der Kritik, wird aber auch verteidigt. Und der Doris-Heinze-Prozess könnte heute enden – Urteile über das öffentlich-rechtliche System und Papi Günther sind allerdings schon gefallen.

Eine gute Möglichkeit, Themen, die, journalistenkonferenzisch gesprochen, durchgenudelt sind, noch in eine Wochenzeitung zu bringen: Die Zeit widmet sich heute im Feuilleton mit einem Schlag diversen Aufregerthemen der vergangenen Tage. Der Text beginnt mit Piratin Julia Schramms Buch "Klick mich" und ihrer Verstrickung "in gefährliche Selbstwidersprüche" zwischen Piratenpositionen und gut dotiertem Buchverlag; es folgen das Anti-Islam-Video; Mitt Romneys ungewollt öffentlich gewordener Tiefschlag in die empfindlichen Zonen von 47 Prozent der Wählerschaft; und die veröffentlichten Brüste von Williams Kate. Alles in einem einzigen Text, der sogar noch einen roten Faden hat. Grob zusammengebunden: Das Internet ist diffus; man weiß nicht, mit wem man spricht, wenn man was reinschreibt; Argumente, die man in einer Diskussion unter Experten benutzen würde, werden nun von allen möglichen Twitter-Accountinhabern auf Haltbarkeit am Stammtisch abgeklopft. In Autor Jens Jessens Worten:

"Das eigentliche Dilemma des Netzes besteht in seiner grenzenlosen, für niemanden einschätzbaren Öffentlichkeit. (...) Mit guten Gründen haben die traditionellen Medien, die regional begrenzten Sender und Zeitungen, stets nur Teilöffentlichkeiten bedient – die Parallelgesellschaften der Welt abgebildet."

Man kann sich darüber streiten, ob die "Überschreitung von Milieugrenzen, die in den traditionellen Medien selbstverständlich bestanden", problematischer ist. Oder die Einhaltung dieser Grenzen, welche ein Charakteristium der Massenmedien, also jener der vordigitalen Ära, gewesen sein mag. Aber darüber wird in zehn Jahren wohl auch noch gestritten, und so lautet die weniger zeitlose Frage: Was gibt es darüber hinaus Neues zu den genannten Themen?

Im Blickpunkt bleiben zunächst die Entwicklungen in Sachen Anti-Islam-Video bzw., neu dabei, eine Mohammed-Satire, die in Frankreich erschien, in der Satirezeitschrift Charlie Hebdo, auf deren Redaktionsgebäude im November 2011, wohl wegen des damaligen Titels "Charia Hebdo", ein Brandanschlag verübt worden war (siehe Altpapier von damals). Die taz schreibt, um was es in der aktuellen Ausgabe geht:

"'Intouchables' lautet in Anspielung auf den gleichnamigen Erfolgsfilm (deutscher Titel: Ziemlich beste Freunde) die Überschrift von Charlie Hebdo. Die 'Unberührbaren' sind als Zeichnung abgebildet: Es handelt sich um einen bärtigen Muslim mit Turban und einen orthodoxen Juden. Das Blatt will damit kundtun, dass es heute fast unmöglich geworden sei, mit diesen Religionen satirisch umzugehen."

Spiegel Online machte am Mittwochabend mit einem Text zum Thema auf:

"Explizit provozieren will der Chefzeichner angeblich nicht. 'Wir veröffentlichen jede Woche Karikaturen, aber von Kampfansagen und Kriegserklärungen spricht man nur, wenn es dabei um die Person des Propheten geht oder radikalen Islamismus', sagt Charbonnier. 'Wenn man beginnt zu sagen, dass man derartige Zeichnungen nicht machen kann, dann wird das bald auch für andere, harmlosere Darstellungen gelten', fürchtet er."

Und damit hat Charbonnier natürlich recht, genau wie Titanic-Chefredakteur Leo Fischer, der, haha, ankündigt, sich auch noch auf den Zug zu werfen (die FTD zeigt schon das Titanic-Oktober-Titelblatt mit Bettina Wulff und einem säbelschwingenden Mohammed, das ich zumindest zu der unhellen Stunde nicht verstehe, zu der ich das hier schreibe). Nach wie vor gilt schließlich, und alle, die meiner Meinung sind, sind ebenfalls dieser Meinung: Man muss jeden Witz machen dürfen. Wie gut er ist, ist die andere Frage.

Die FAZ sieht angesichts der düsteren finanziellen Lage bei Charlie Hebdo zudem einen Hauch von Marketing-Gag (der hiermit auch schon mal vorauseilend der Titanic angekreidet sei):

"Will sich die Zeitschrift etwa mit den Machern des unsäglichen Mohammed-Films verbünden? 'Wir provozieren nur, wer sich von uns provozieren lassen will', hat der neue Chefredakteur Charb erklärt: 'Ich gehe auch nicht in eine Moschee und rege mich auf.' Doch das Potential war ihm bewusst. Er macht 'Charlie Hebdo' zum Trittbrettfahrer einer politischen Aktion, die zu billigen Marketingzwecken missbraucht wird."

Das große Fass Meinungsfreiheit ist ohnehin nur ein Teil der Debatte, die längst von allen möglichen Seiten für andere Zwecke instrumentalisiert wird (siehe auch die ersten Absätze des Altpapiers vom Montag). Charlie Hebdo etwa erhalte nun Unterstützung von, zum Beispiel Marine LePen, Chefin des rechtsextremen Front national, heißt es bei Spiegel Online – was Charbonnier "lachhaft" finde, "schließlich sehe Marine Le Pen sich selbst gar nicht gern karikiert".

Um Meinungsfreiheit geht es jedenfalls nicht zwangsläufig wirklich, wenn sie jemand verteidigt. Die eigentlich verteidigte Meinungsfreiheit ist oft genug die Freiheit von den Meinungen anders Denkender. Zuletzt zu beobachten war das nicht etwa, als Mohammed karikiert wurde, sondern der Papst. Formulierte nicht erst im Juli ein deutscher Politiker, er würde der Titanic "die Lizenz zum Schreiben entziehen"? Die Wahl der Mittel zur Gegenwehr gegen missliebige Satiren ist unterschiedlich; und die Reaktionen fundamentalistischer Deppen auf der Suche nach einem Anlass, ein Feuerzeug zu benutzen, rechtfertigt ernsthaft kein Mensch. Aber die Gegenwehr selbst ist jedenfalls nicht islamisch, sondern eher generalreligiös.

+++ Next: Eine Verschwörungstheorie, die der Verschwörungsblogger Fefe für "durchaus plausibel" hält, hat der FAZ-Krawallblogger Don Alphonso in Sachen Julia Schramm – Piratin und Random-House-Autorin – aufgestellt. Zunächst für den Kontext wiederum, wie schon im Altpapier gestern in Sachen Schramm zitiert, Spiegel Online:

"Was Schramm getan hat: Sie hat ein Büchlein namens "Klick mich. Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin" veröffentlicht (...). Und dann hat der Verlag der Piratin eine illegale Gratiskopie von "Klick mich" im Internet sperren lassen."

Don Alphonsos These lautet nun, so fasst sie Fefe zusammen,

"dass Bertelsmann für eine lächerlich geringe Summe die Piratenpartei mitsamt ihrer netzpolitischen Agenda versenkt hat. Inklusive der angedrohten Reformen des Urheberrechts, bei denen Bertelsmann ja viel zu verlieren zu haben befürchten musste."

Oder anders gesagt, wenn die Welt schon komplex ist, dann kann sie doch auch mal einfach sein. Bertelsmann-Fachmann Thomas Schuler fasst das Verhältnis von Piratenpartei und Bertelsmann in der Berliner Zeitung weniger raunend: Die NRW-Partei wolle

"der Bertelsmann Stiftung den Status der Gemeinnützigkeit entziehen (...). Sie werfen ihr Lobbyismus vor und fassten zum Entzug der Gemeinnützigkeit im April einen Parteibeschluss, der – falls umgesetzt – das Medienunternehmen unter großen Druck setzen würde. Immerhin ist die in NRW zugelassene Stiftung Eigentümerin des Unternehmens; wäre sie illegitim, würde die steuerbegünstigte Lobbying-Konstruktion des Unternehmens zusammenbrechen. Bertelsmann hat allen Grund, Anhänger im Kreis der Piraten zu suchen. Deshalb fragten sich Piraten-Anhänger, ob sich Julia Schramm für einen sechsstelligen Vorschuss von Bertelsmann habe kaufen lassen."

Der Vorwurf der Heuchelei, der Schramm gemacht wird, erhoben etwa u.v.a. von Bild, funktioniert allerdings nur, wenn man so tut, als habe Schramm nicht den Begriff bzw. die Idee des "geistigen Eigentums" als "ekelhaft" bezeichnet, sondern das Urheberrecht. "Schramm bezeichnete das Urheberrecht als 'ekelhaft' oder 'bizarr", schreibt heute etwa die Berliner Zeitung. Und Die Zeit fragt sich, was sie im Verlagsgeschäft wolle, wenn sie "geistiges Eigentum 'ekelhaft'" finde. Stefan Niggemeier bittet: Freunde, erkennet den Unterschied! "Geistiges Eigentum" sei ein Kampfbegriff, den man ablehnen könne, ohne das Urheberrecht abschaffen zu wollen! Schramm selbst hat im März, nicht etwa letzte Woche, gebloggt:

"Die Idee des geistigen Eigentums ist für mich bizarr. Natürlich bin ich als Urheberin interessiert daran, dass die Ideen, die ich entwickelt habe, meinen Namen tragen, dass sie mit mir verknüpft sind und ich damit eventuell Geld verdienen kann. (Das gesteht uns aber die Piratenpartei auch vollkommen zu. Es geht ja nur darum, dass man private Nutzer nicht repressiert!)"

+++ Und dann wäre da noch keine Verschwörungstheorie, die auch nicht im Zeit-Feuilleton vorkommt: Der Prozess gegen die ehemalige NDR-Fernsehspielchefin Doris Heinze und zwei Mitangeklagte, denen vorgeworfen wird, Drehbücher unter Pseudonym verfasst und quasi an sich selbst verkauft zu haben, bzw. an all dem beteiligt gewesen zu sein, geht auf die Zielgerade. Unter Umständen wird heute bereits ein Urteil gesprochen, was FAZ (Medienseite und online) und SZ (S. 3) zum Anlass für ausführliche Berichterstattung nehmen (das Zeit-Dossier "Die Doris-Show" handelt von Doris Schröder-Köpf).

Der Fall selbst, der in den Texten noch einmal aufbereitet wird, ist regelmäßigen Medienseitenlesern wohl zur Genüge bekannt, und die nahende Nachricht – nämlich das Urteil – steht vor seiner Verkündung naturgemäß noch aus. Die Deutung aber ist hier, bei FAZ und SZ, sehr ähnlich: Der Fall wird als Lehrstück für den Zustand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks interpretiert. Die FAZ:

"Der Verband der Drehbuchautoren fasste das Problem treffend zusammen, als er von einem 'zu stark hierarchisierten, zu wenig kontrollierten, von einigen Hauptabteilungsleitern und -leiterinnen beherrschten System' sprach."

Die SZ kritisiert die Verteilung von Gebührengeldern "gleichsam unter Ausschluss der Öffentlichkeit: Ausschreibungen für Produktionen gibt es so gut wie keine, obwohl sie im öffentlich-rechtlichen Sektor sonst zwingend vorgeschrieben sind". Und holt am Ende zur großen Stilkritik aus, wenn sie das Auftreten der "Angeklagten und von allen Vertretern der Filmbranche, die im Landgericht als Zeugen auftreten" beschreibt:

"So viel Gestern. So viel künstliche Jugend und zu enge Kleider und gewesene Zukunft. So wenig Inspiration, dass es einen nach jedem Verhandlungstag weniger wundert, warum die Geschichten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen immer irgendwie an die alte Knorr-Familie aus der Tütensuppenwerbung erinnern, in der die Mutti kocht und der Papi Günther heißt und abends alle zusammen am Eichenholztisch essen."

Für alle, die lieber mal gute Nachrichten lesen, wäre da eher das Zeit-Magazin die angemessene Lektüre, das heute die steile These aufstellt, das deutsche Fernsehen sei besser als sein Ruf. Aber Heinze nochmal: Wie das Urteil ausfallen wird? Weiß auch die FAZ nicht, sie weiß allerdings, nachdem sie Heinzes ersten Roman über den Ermittler Karl Hieronymus Schröder gelesen hat, was dieser Schröder für ein Kerl ist:

"Dieser zeigt sich als recht gnädiger Verbrecherjäger. Er weiß, dass er, indem er ein paar gierigen Spekulanten das Handwerk legt, die Schwachstellen des Systems nicht reparieren wird."


ALTPAPIERKORB

+++ Wohin entwickelt sich Twitter? Die SZ macht auf der Medienseite eine Entwicklung des Dienstes zum profitorientierteren Anbieter aus, was sich anfühle "wie das Ende von etwas". Niklas Hofmann: "Längst sind manche Twitter-User gleicher als andere -gemeint sind diejenigen Werbekunden, die für das bevorzugte Erscheinen so genannter promoteter Tweets bezahlt haben. Ende August hat Twitter verbesserte Möglichkeiten präsentiert, solche Tweets zielgerichtet in den Streams jener Benutzer auftauchen zu lassen, zu deren Interessen er inhaltlich gut passt. Die Vorlieben seiner Nutzer wird Twitter in Zukunft wohl so gründlich zu monetarisieren suchen, wie das auch Facebook tut" +++

+++ Foto gesehen, "Sugarman" gelesen, gedacht: what a name! Stan Sugarman jedenfalls, im besten Medienjournalistendeutsch "Vermarktungsboss von Gruner + Jahr" geheißen, wird, im besten Medienjournalistendeutsch, "zusätzlich oberster Digitaler" (Meedia, Meldung auch etwa in der SZ)

+++ Schlechte Stimmung? Zeitungsverlage. Die taz schreibt über die Entwicklung von Spargerüchten zu konkreten -ahnungen bei der WAZ und beim Berliner Verlag +++

+++ Es gibt zwei Geschichten zu einem nicht morgens um 5.30 Uhr an einer Berliner Tanke stattgefunden habenden Interviews: die des RBB und die des Piraten Christopher Lauer. Der RBB schreibt: "Er stellt zunächst die Bedingung, das gesamte Interview selbst mitfilmen zu können, um es dann in voller Länge zu veröffentlichen. Wir stimmen zu, ausnahmsweise. Er schlägt als Interviewzeit 5 Uhr 30 vor, morgens, Ort: Eine Tankstelle an der Berliner Messe. Wir stimmen zu, ausnahmsweise. "Er möchte die Fragen vorab - ebenfalls bei uns nicht die Regel. Dennoch senden wir sie ihm zu, und das schon am Freitag. Ausnahmsweise. Doch dann sagt Herr Lauer plötzlich ab – nach einigen Mails, in denen sich der Fraktionsvorsitzende deutlich im Ton vergreift." Was Lauer störte, steht schon seit einigen Tagen in seinem Blog: "Die Gespräche laufen immer nach dem selben Muster ab: Es werden eine halbe Stunde oder länger aggressiv immer wieder dieselben Suggestivfragen gestellt, am Ende wird das denkbar dümmste Zitat in einen tendenziösen Bericht geschnitten." Aus medialer Sicht bleibt festzuhalten, dass der politische Betrieb sich in Sachen Transparenz und Veränderungsbereitschaft seit der Entdeckung der Piraten zumindest nicht weniger bewegt hat als der mediale +++

+++ Die taz stellt vor dem Start des Dortmunder "Tatorts" einen seiner Hauptdarsteller vor, Stefan Konarske +++ Sonst im Fernsehen: Die FAZ bespricht "Sieben Stunden Todesangst" (WDR, 22.30 Uhr)  und, knapper, "Putins Kuss" (Arte, 23.35 Uhr), eine Doku über die nationalistische russische Jugendbewegung Naschi, die auch die taz bespricht und von der sie schreibt, sie löse, weil sie so gut sei, Grusel aus +++ Guido Knopp macht den Ersten Weltkrieg bunt – der Tagesspiegel hat zwei Historiker davor gesetzt, die das Für und Wider durchkneten: "Die nachträgliche Kolorierung von historischen Filmdokumenten ist eine Manipulation von Quellen und mindert deren Authentizität. Für den Historiker ist das ein Tabu. Die professionellen Hüter des Filmerbes, allen voran die Restauratoren, sehen in der nachträglichen Einfärbung von Filmdokumenten erst recht ein Verstoß gegen alle Reinheitsgebote. Die Dokumentarreihe des ZDF ist jedoch keine wissenschaftliche Filmedition, sondern 'Histotainment', das Interesse an Geschichte wecken und ein breites Publikum mit Geschichte informativ unterhalten will. Hier gelten andere Gesetze" +++ In der SZ wird die 100. Folge von fernsehkritik.tv gewürdigt +++ Und ebd. (anders auch online) wird der NDR für eine Bloßstellung von Jenny Elvers-Elbertzhagen-Sache kritisiert +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Freitag.

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