60 Stunden täglich

60 Stunden täglich

Nicht nur die Olympischen Spiele müssen abgewickelt werden, sondern auch: Rupert Murdochs Aufsichtsratsvorsitz in England, Kai Diekmanns Chefredakteursrolle und Richard David Precht als Fernsehphilosoph einen Monat vor dem Debüt.

Wie angekündigt (Altpapier vom Freitag) hat Rupert Murdoch sich vom Aufsichtsratsposten der News International, dem britischen Ableger seines Medienkonzerns, zurückgezogen. In der TAZ erklärt Ralf Sotschek:

"Es handle sich lediglich um die 'Vorbereitung auf eine Neustrukturierung des Unternehmens', sagte ein News-International-Sprecher am Wochenende. Murdoch hat vorige Woche auch die Aufsichtsratsposten in einem Dutzend seiner Unternehmen in den USA, in Australien und Indien aufgegeben. Ende Juni hatte er erklärt, dass das Unterhaltungs- und das Verlagsgeschäft künftig in getrennten Unternehmen geführt werden sollen. Der Trennungsprozess wird rund ein Jahr dauern."

Wie Sotscheks TAZ-Kollege Steffen Grimberg in der aktuellen Funkkorrespondenz darlegt, steckt in der Trennung auch die Möglichkeit, die Beerdigung des krisenhafteren Zeitungsgeschäft dereinst geräuschloser zu vollziehen zu können.

Denn im geräuschlosen Schließen hat Murdoch Erfahrung, wie das abrupte Ende der News of the World wegen des Phone-Hacking-Skandals vor einem Jahr zeigte.

Rainer Stadler erinnert in der NZZ an die Geschichte, indem vom enthüllenden Reporter Nick Davies erzählt, der seit 2008 die Praktiken von Murdochs Zeitungsmachern recherchierte und sich anfangs dafür anfeinden lassen musste.

"Der Durchbruch gelang Davies erst, als er im Juli 2011 bekanntmachte, dass nicht nur Prominente, sondern auch ein 'normaler' Mensch, ein Schulmädchen, zum Opfer der Abhöraktionen geworden war. Von da an rollte eine Empörungswelle durchs Land. Die Konsequenzen waren riesig. Murdoch musste sein Sonntagsblatt einstellen, verantwortliche Chefs entlassen und seinen Sohn James aus dem britischen Geschäft abziehen."

Im Folgenden schwenkt der Text über zu Problemen, die der Guardian hat. Ob Murdoch wirklich "musste", wäre allerdings die Frage – er hat es getan, und der Vorteil liegt, wie nun Grimbergs Deutung der Konzernaufsplittung andeutet, auf der Hand: Outsourcing von Problemen. Durch das rasche Ende verschwand News of the World als real existierendes Feindbild.

Apropos Outsourcing: Bild-Chefredakteur Kai Diekmann meldet sich erstmals aus Palo Alto, wo er ein halbes Jahr nach neuen Digitalangeboten für Springer suchen soll, wie die offizielle Erzählung lautet. Stefan Winterbauer, der Springer-Höfling von Meedia.de, begleitet den Aufenthalt von Day 1 an.

Die Vorfreude wird gedämpft durch eine "Anmerkung" unterm Text:

"Auch wenn Kai Diekmann derzeit zu einer ersten organisatorischen Visite im Silicon Valley unterwegs ist, beginnt der offizielle US-Aufenthalt wie vom Verlag kommuniziert erst im September."

Hat der Verlag kommuniziert. Wie ein Bademeister, der den Schwimmschüler daran erinnert, nicht zu weit rauszuschwimmen. Winterbauer versammelt in fünf Abschnitten Überlegungen für den naheliegenden Gedanken, dass Diekmann aus Amerika nicht auf den Chefposten von Springers heißem Blatt zurückkehren wird.

Am interessantesten sind dabei noch die Erkenntnisse, die der gewöhnliche Angestelltengeist sich erstmal trauen muss:

"Dass die Bild auch ohne ihn als Chefredakteur funktioniert, wird schon dadurch bewiesen, dass er sich sechs Monate aus dem operativen Tagesgeschäft zurückziehen kann."

Wer hätte das gedacht: Zeitung erscheint auch ohne Chef. Für Winterbauer vor allem eine Vorlage zu unangenehm-führungsstrategischer Kumpanei, die sich von der Springer-PR nur unterscheidet, insofern letztere vermutlich eleganter formuliert wäre:

"Mit dem Bild-Veteranen Alfred Draxler hat die Zeitung einen Routinier, der die Boulevard-Maschine aus dem Effeff bedienen kann, am Ruder."

[+++] Die PR-Prosa, mit der das ZDF jetzt schon auf das upcoming Talk-Debüt von Richard David Precht (Anfang September) hinweist, zitiert Joachim Huber im Tagesspiegel genüßlich:

"ZDF-Kulturchef Peter Arens jubilierte, 'wir setzen die philosophischen Gedankenflüge am Sonntagabend weiter fort und schlagen zugleich ein ganz neues Kapitel auf: Das ZDF freut sich auf Richard David Precht, den Philosophen, der wie kein Zweiter in Deutschland das Modell des bürgernahen, sichtbaren, engagierten Intellektuellen etabliert hat.'"

"Der unsichtbare Intellektuelle" wäre ein schöner Titel für einen Film mit Yves Montand gewesen, den Constantin Costa-Gavras in den siebziger Jahren leider zu drehen vergessen hat. Wie auch immer: Thema der ersten Sendung steht auch schon (Gast ebenfalls: es handelt sich um den "Neurobiologen, Hirnforscher und Bildungskritiker Gerald Hüther"): „Skandal Schule – Macht lernen dumm?

Hubers Hinweis

"Ehrlich gesagt, würde das Thema auch in jede der gängigen Talkshows passen"

– ist nicht unberechtigt, für eine philosophische Sendung wirkt der Titel reichlich ungesittet. Wenn dass state of the art eines philosophischen Diskurses werden soll, muss man wohl froh sein, dass ein paar Werke in diesem Feld schon geschrieben worden sind, bevor solche dooftuenden Krawalltitel ans "Ruder" (Winterbauer) gekommen sind.

####LINKS####

Wobei man der Frage nicht absprechen kann, knifflig zu sein. Ob Precht, der sympathischerweise untertouriger über seine Programm spricht („Die Sendung ist eine Gesprächssendung in hoch konzentrierter Atmosphäre. Die Kunst wird darin bestehen, ein philosophisches Gespräch zu führen, das anspruchsvoll und dennoch breit verständlich ist“), etwas anderes wird ernsten können als Häme, ist nach Hubers frühem Schuss vor den Bug ("Richard David Superstar") eher zweifelhaft.

[+++] Dass man sich zu offiziellen Geschichten, die so erzählt werden, etwa um zwei Rundfunkorchester zu fusionieren, auch kritisch verhalten kann, zeigt Wolfgang Schreibers langer Text in der SZ (Seite 12)

Darin wird auch auf den epd-medien-Beitrag des Freiburger Jura-Professors Friedrich Schoch verwiesen:

"Schoch stellt vor allem fest, dass es eine sichere Prognose über die öffentlich-rechtlichen Gebühren nach dem Systemwechsel der Rundfunkfinanzierung 2013 gar nicht gebe, somit nicht den Sparzwang von 166 Millionen. 'Die Anstalten haben kein Einnahmedefizit, sondern ein - selbst zu verantwortendes - Ausgabenproblem.'"

Dass muss man jetzt nur noch den Öffentlich-Rechtlichen schonend beibringen. Immerhin wird bei Olympia diesmal nicht mehr geklotzt als zuletzt. Der Berliner ist zu entnehmen:

"Jeweils knapp zehn Millionen Euro lassen sich die beiden TV-Stationen das Spektakel mit mehr als 10.000 Athleten aus rund 200 Nationen kosten. Das zumindest entspricht dem gleichen Budget wie noch vor vier Jahren in Peking. Die Zahl der Mitarbeiter hat sich allerdings deutlich verringert. Waren es 2008 noch 700, so werden an der Themse 'nur' 480 vor Ort sein."

Im Tagesspiegel überrascht Markus Ehrenberg mit einer Zahl:

"Die ARD bringt es immerhin auf 60 Stunden tägliches Live-Streaming, was zum Einen zu einer Ausblendung des ja oft als nervig empfundenen Expertengesprächs mit Michael Antwerpes & Co. führen kann. Livestreams bleiben auch dann an einzelnen Wettkämpfen dran, wenn Sportredaktionen in den Hauptprogrammen in ihre Studios schalten, Experten interviewen oder Zusammenfassungen einspielen. Zum Anderen freut sich Thomas Bach, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, über eine größtmögliche 'Abwicklung' der Spiele."

Über das mobile Internet in London während der Spiele (FAZ, Seite 12) und Twitter-Features (SZ, Seite 31) ist ebenfalls etwas zu erfahren.

[+++] Der schönste Text des Tages hat mit alldem nichts zu tun. In der FAZ (Seite 29) schreibt Jürgen Oetting über seine Tätigkeit als freier Wikipedia-Autor:

"Manchmal lasse ich mich auf eine dieser immer neu aufbrandenden 'Meta-Diskussionen' ein, bis mich der ausufernde und gleichzeitig zirkuläre Debattenverlauf abstößt. Dann ziehe ich mich für eine Weile zurück und nehme alle Diskussionsseiten von der Beobachtungsliste. 'Meine' Artikel aber beobachte ich immer, eine Vorsichtsmaßnahme gegen Vandalismus."


ALTPAPIERKORB

+++ Für das Ende von Waldis Fußballstammtisch (Altpapier von gestern) halten Agenturmeldungen die Meinung der Hierachen bereit: "[ARD-Sportkoordinator Axel] Balkausky sagte, Hartmanns Äußerungen über Simon halte er 'für unpassend und unnötig'. Kaum eine Sendung sei so angepriesen worden wie diese." +++ Jochen Hieber findet in der FAZ heute zu keiner neuen oder überraschenden Deutung von Waldis Schaffen oder Ende. +++ +++ Wie auch immer: Waldis Wirken lebt fort. Etwa im ZDF-Fernsehgarten. Diesmal (anders als letztes Mal) randalierten 80 angetrunkene Partyfreunde ("warfen mit Käse") wohl tatsächlich. Stern.de berichtet in gebotener Sorgfalt. +++

+++ Die FAZ (Seite 29) berichtet über das Piano-Projekt in Polen, dass Online-Geldverdienen möglich machen will, indem, wie beim slowakischen Vorbild, die Angebote vieler Zeitungen eines Landes im Abo bündelt. +++ Daran scheint es in Polen wohl zu hapern, weil Ringier-Springer sich erstmal raushält – wenn wir den Beitrag des DLF-Medienmagazins vom Samstag richtig verstanden haben; er kommt nämlich ohne den Hinweis auf "Piano" aus. +++

+++ Ebenfalls aus dem DLF-Medienmagazin: Bettina Schmiedings beherzter Aufruf an Verlage und ARD, sich in Sachen "Tagesschau-App" professionell zu einigen: "Mir ist es, mit Verlaub, vollkommen egal, wo ich die Informationen finde. Und ich halte es für eine Zumutung, dass sich Gerichte genötigt sehen, Zeilen in Internetartikeln zu zählen, oder die Länge eines Videos zu stoppen. Mir als Gebührenzahlerin und Zeitungsabonnentin ist es wichtig, dass es diese meine Lieblingsmedien noch möglichst lange gibt." Ob die gute Laune den harzigen Verhandlungen auf die Sprünge hilft? +++

+++ Zum Schluss: Thomas Schuler schreibt in der Berliner ausführlich und schön über die Praxis des Obituarys in der New York Times, die neuerdings auch per Video performt wird: "Der Autor und Humorist Art Buchwald war vor fünf Jahren der Erste, und er begann sein Interview mit dem schönen Satz: 'Hi, ich bin Art Buchwald, und ich bin gerade gestorben.' Wie sollten sich die Menschen an ihn erinnern? 'Als jemand, der Leute zum Lachen brachte.' Dabei erzählt Buchwald im Video die traurige Geschichte von seinem langen Sterben." +++

Neues Altpapier gibt es morgen wieder.

weitere Blogs

Symbol Frau und Sternchen
Geschlechtsneutrale oder geschlechtssensible Sprache erhitzt seit Jahren die Gemüter. Nun hat die Bayrische Landesregierung das Gendern verboten. Die Hessische Landesregierung will das Verbot ebenfalls einführen.
Eine Ordensschwester im Kongo wurde wieder freigelassen – weil der Bandenchef keinen Ärger wollte.
Ein spätes, unerwartetes Ostererlebnis der besonderen Art