Das Schweigen schweigt nicht

Das Schweigen schweigt nicht

Öfter mal was Neues: Wie die Gema funktioniert oder wo beim "Supertalent" die Freaks herkommen. Immer der gleiche: Wie Springers PR für RTL Text produziert.

Das Neue erkennt man daran, dass man durch es weiß, was einem gefehlt hat. Wunderbarstes Beispiel von heute: Guido Möbius, Musiker und Musikverleger, schreibt in der Berliner Zeitung einen Text, der einem mehr Welt erklärt als fünf Wochen Dauerautorenempörung im Sibylle-Lewitscharoff-Modus.

Möbuis beschreibt nämlich, wie die Gema funktioniert.

"Etwa 127 Millionen Euro hat die Gema 2010 selbst verbraucht für ihre mehr als 1000 Mitarbeiter, den Unterhalt der beiden Generaldirektionen in Berlin und München sowie der sieben Bezirksdirektionen. Und die Gehälter des Vorstands wollen schließlich auch bezahlt werden. Der Vorstandsvorsitzende Harald Heker erhielt 484000 Euro, den Vorstandsmitgliedern Rainer Hilpert und Georg Oeller wurden 332000 Euro und 264000 Euro überwiesen. Die pensionsvertraglichen Bezüge der früheren Vorstände betrugen 554000 Euro."

Da sind Zahlen, die man für Schätzfragen bei "Schlag den Raab" noch verwenden könnte – die Kandidaten würden garantiert weit drunter liegen mit ihren Tipps. Was auch nicht jeder weiß, oder wie es im Text beiläufig medienkritisch heißt: "Es ist noch nicht oft genug gesagt worden", was tatsächlich eine treffende Formulierung ist, insofern sie einem selten unterkommt – meistens, siehe Lewitscharoff-Modus, geht es doch immer nur darum, dass noch einmal zu sagen, was schon alle gesagt haben und das dann zu bemänteln durch den Hinweis, dass man es nicht oft genug sagen könne. Möbius schreibt jedenfalls:

"Die Gema ist keine Behörde, sondern ein privater Verein. Und trotz seines Jahresumsatzes von durchschnittlich von 850 Millionen Euro untersteht er nur dem Patent- und Markenamt. So kann die Gema intern tun, was sie will, zum Beispiel auf basisdemokratische Entscheidungen pfeifen."

Lustig ist auch die Verteilung der Einnahmen (863 Millionen Euro im Jahr 2010):

"Die ordentlichen Mitglieder, fünf Prozent aller Mitglieder, beziehen knapp 65 Prozent aller Ausschüttungen und haben zudem Anspruch auf Bezüge durch die Sozialkasse. Spricht ein Gema-Oberer von 'den Urhebern', deren Rechte in diesen schwierigen Zeiten gewahrt werden müssen, so meint er die exklusive Kaste der 3400 ordentlichen Mitglieder."

Wobei sich die Gema-Hierarchie noch lustiger liest, wenn man vorher schon ein paar Fernsehkritiken zu einem Scientology-Film (siehe Korb) gelesen hat – dann entwickelt dieses System aus und das Reden von "angeschlossenen" (Fußvolk), "außerordentlichen" (Übergangsstufe) und "ordentlichen" (Herrscher) Mitgliedern einen ganz eigenen Reiz.

Ähnlich instruktiv wie der Gema-Text ist Sabine Sasses "Supertalent"-Beitrag aus der FAS, auf dessen Onlinegang allerdings noch immer gewartet werden muss. Sasse beschreibt darin nämlich, wie die Sendung an die "Freaks" kommt, die sie von dieser anderen Castingshow mit Dieter Bohlen unterscheidet.

"Ohne Hilfe der Agenturen gäbe es weder professionelle Akrobaten und Varieté-Künstler, noch gäbe es all die quotenträchtigen Verrückten, die bei Publikum und Jury regelmäßig für Entsetzen sorgen, den Penismaler Tim Patch etwa, den Kunstfurzer 'Mr. Methan' oder die Amerikanerin Busty Heart, die mit ihren Brüsten Wassermelonen zertrümmert."

Nun ist die Erkenntnis, dass die Casting-Wirklichkeit inszeniert wird, vielleicht etwas weiter verbreitet als die Mitarbeiterzahl der Gema. Aber Sasses Beitrag gelingt es doch sehr gut, die Struktur der Sendung zu beschreiben – den Erfolg, den Auftritte für die Varietékünstler dort bedeuten, und die Anforderungen der Redaktion an diese Auftritte.

"Da ist zum Beispiel die blonde Schweizerin Liz Schneider mit ihrem weißen Cello, die gedrängt wurde, im Halbfinale 'Paparazzi' von Lady Gaga zu spielen, das für ihr Instrument völlig ungeeignet ist. Dafür wurde sie ausgerechnet von Dieter Bohlen runtergeputzt. 'Ich war am Boden zerstört', sagt Liz. 'Hätte ich an mich geglaubt und meine Idee durchgesetzt, wäre das nicht passiert.'"

An Sasses Artikel muss schon deshalb erinnert werden, weil nach der schon irrelevanten Nachricht, dass Thomas Gottschalk seinen Rest-Respekt künftig neben Dieter Bohlen verscherbelt (Altpapier von gestern), es heute munter weiter geht mit unglaublich brisanten Informationen aus diesem Bereich.

Und wenn gestern hier darüber nachgedacht wurde, warum es so schwer geworden ist, eine treffende Kritik von Springers heißem Blatt zu formulieren, dann kann man sich das ganze Elend heute anschauen:

"Wie die Bild-Zeitung berichtet hat, habe es hinter den Kulissen vom 'Supertalent' mächtig Zoff gegeben. Der Grund: Der Einstieg von Thomas Gottschalk bei der RTL-Castingshow. Das Boulevardblatt titelte mit der Frage: 'Schmeißt Bohlen bei Supertalent hin?'"

Fängt der Agenturtext auf der Online-Seite von der Berliner an. Und auch wenn andere Texte nicht ganz so plump daherkommen – wie soll man von Seriosität in Bezug auf Journalismus sprechen, wenn tatsächlich geglaubt wird, die Bild-Zeitung könnte in diesem Falle irgendetwas "berichten" und nicht einfach die Form von PR performen, von der die Aufreger des Privatfernsehens leben.

Man sollte sich von der Medienseite einer seriösen Zeitung also eigentlich erwarten, dass sie einem mal erklärte, wie man sich die Zusammenarbeit von RTL und Springer gerade auch finanziell vorstellen kann, wie so eine "Geschichte" zur Belebung eines routinierten Formats durchgesponnen wird und so weiter.

####LINKS####

Und stattdessen liest man dann Riemen wie den Text von Tilmann P. Gangloff auf KSTA.de, der es schafft, dieses Nichts über sechs Absätze auszuwalzen.

"Bohlen, bekannt dafür, auf Götter neben sich höchst ungehalten zu reagieren, lässt sinngemäß verlauten, dass er die Engagierung Gottschalks gar nicht gut finde."

Ja, da ist der Bohlen wohl bekannt für, aber – who cares?

Im Tagesspiegel merkt man Sonja Pohlmann an, dass sie das Thema auf eine irgendwie abstraktere Ebene heben will – von Springer ist keine Rede und der Nachrichtenwert scheint hier ganz unschuldig darin zu bestehen, dass Bohlen sich doch jetzt mal äußern müsse zu dem Superscoop des Jahrhunderts, der da künftig neben ihm sitzt.

Dennoch übersieht diese Form von Versachlichung, dass sie den Spin etwa vom Werte-Gottschalk übernimmt, wenn es im Text heißt:

"Gottschalk soll allerdings darauf bestanden haben, dass es künftig weniger ausgeflippte Teilnehmer gibt. 'Auch in diesem Jahr wird es wieder Kandidaten aus allen Kategorien geben', so die RTL-Sprecherin. Diese Talente einzuschätzen, zu bewerten und einzuordnen, sei die Aufgabe der Jury. Spätestens dann also wird Bohlen sein Schweigen brechen müssen."

Müssen?


ALTPAPIERKORB

+++ Die Öffentlich-Rechtlichen kündigen den Kabelbetreibern, wie das Handelsblatt schon gestern früh wusste ("exclusiv"). +++ Über weitere öffentlich-rechtliche Sparvorhaben im Angesicht der kommenden Haushaltsabgabe berichtet Christiane Kohl in der SZ (Seite 17) – dort geht es um den Vorschlag der MDR-Intendantin Karola Wille, einen trimedialen Jugendsender einzurichten. "Gegen die Bemühungen um mehr Jugendlichkeit regt sich politischer Widerstand. Die vom Chef der sächsischen Staatskanzlei Johannes Beermann (CDU) geleitete Arbeitsgruppe 'Beitragsstabilität' verlangt, die Versuche einzustellen, gezielt mehr jüngeres Publikum zu gewinnen. Die Quoten der entsprechenden Programme lägen 'an der Untergrenze des Messbaren.'. Beermann war bei der MDR-Intendanten-Wahl im vergangenen Jahr gegen die Berufung Willes eingetreten."


+++ Die Fernsehkritik in ihrer ganzen Vielfalt lässt sich in den Rezensionen zu "Die Spitzel von Scientology – Der Sektengeheimdienst OSA" von Frank Nordhausen und Markus Thöß entdecken (ARD, 22.45 Uhr). Michael Hanfeld, der schon öfter Beeindruckbarkeit gezeigt hat, arbeitet in der FAZ (Seite 31) mit Emotionalität, die Schlimmeres befürchten lässt: "Es ist sagenhaft, zu sehen, wie weit der Arm der Sekte reicht. In Frankreich gelang es dem OSA einst, einen Sicherheitsmann und Elitepolizisten (Deckname 'F 10') im direkten Umkreis des früheren Präsidenten François Mitterrand zu plazieren. In Griechenland musste das Wirken von Scientology als Angriff auf den Staat verstanden werden. In Russland ist es nicht anders, angesichts der Tatsache, dass die 'Kirche' es mit ihren Dianetik-Zentren besonders auf Rüstungsbetriebe und geheime Atomzentren abgesehen hat." +++ Claudia Keller schreibt im Tagesspiegel dagegen mit der nüchternen Distanz agenturhaft alter Schule: "Nordhausen und Thöß decken auf, wie sich die amerikanischen Konsulate seitdem weltweit für Scientolgy einsetzen und als Türöffner in Politik und Gesellschaft fungieren. Ein spannender, gut recherchierter Film, der zeigt, dass mit der Organisation nicht zu scherzen ist." +++ Matthias Drobinski ist in der SZ, ohne Scientology verharmlosen zu wollen, eher skeptisch: "Vor allem aber klingt der Grundton des Films manchmal so, als sei Scientology drauf und dran, die Weltherrschaft zu übernehmen. In Wirklichkeit aber ist die Organisation in der Krise." +++ Und Jens Müller in der TAZ schließlich gelangweilter: "Der Film macht plausibel, was man sich schon dachte: dass es sich bei Scientology um eine bösartige, verachtenswerte, totalitäre Pseudo-Kirche handelt. Als 45-Minuten-Dokumentation am Montagabend hätte man sich das gern angesehen." +++

+++ Außerdem: Im Focus (Seite 84) legt Günther Bährs Bodo-Hombach-Portrait nahe, dass der gewesene WAZ-Geschäftsführer kommender DW-Intendant werden könnte. +++ Die SZ schreibt über die Pläne von Red Bulls Servus TV, Eishockey in Deutschland groß und transparent zu machen (Seite 17). +++ Hanna Ender stellt in der TAZ die neue Aaron-Sorkin-Serie "Newsroom" vor – wie jüngst Nina Rehfeld in der FAZ. +++ Der Tagesspiegel schreibt über den Erfolg von sendereigenen Programmzeitschriften. +++ Und Meedia.de hält einen neuen Lesko parat, von dem man bald wohl als journalistisch-beraterischere Marke à la bonheur sprechen muss, als Maßeinheit des endlos dahinfließenden Interviews, das diesmal mit Alan Posener geführt wurde. Es gibt auch Fotos! +++

Neues Altpapier gibt's morgen gegen 9 Uhr.
 

weitere Blogs

Ein mysteriöser Todesfall, das Mauern der Einheimischen und eine latente Homophobie begegnen einer lesbischen Pastorin bei ihrer Ankunft in einer ostdeutschen Kleinstadt. Aus der Großstadt bringt sie zudem ihre persönlichen Konflikte mit. Beste Zutaten für den Debütroman „In Hinterräumen“ von Katharina Scholz.
Nach 15.000 Kilometern und fünf Monaten ist Leonies Reise vorbei. Was bleibt? In ihrem letzten Blogbeitrag schaut sie auf ihre Erfahrungen zurück.

Vom Versuch nicht zu hassen. Biografische Streiflichter von gestern, das irgendwie auch heute ist.